Andrea Breth und Karin Henkel haben zum Auftakt des Premierenreigens bei den Salzburger Festspielen Pinter und Hauptmann inszeniert.

Salzburg - Auf nichts ist mehr Verlass, auch nicht auf die Salzburger Festspiele, Abteilung Schauspiel. Unter der Leitung von Sven-Eric Bechtolf dümpelte das Sprechtheater des größten europäischen Sommerfestivals zuletzt träge vor sich hin. Kaum eine Inszenierung, die über die Routine eines gehobenen Stadttheaters hinausreichte, kaum ein Schauspieler, der sich mit seiner Leistung ins Gedächtnis eingebrannt hätte – und die einzig verbliebene Exklusivität neben den stolzen Preisen: der Termin zur Sommerzeit, wenn überall sonst Theaterferien sind.

 

Fünf, sechs Jahre ging das so, ohne jeglichen frischen Wind, ein schleichender Untergang des Schauspiels, der auch dem neuen Führungsteam nicht verborgen bleiben konnte: Mit einer „Salzburger Dramaturgie“ will die vom Intendanten Markus Hinterhäuser berufene Schauspielchefin Bettina Hering wieder Leben in die Bude bringen – und dieses Leben ist weiblich.

In der bald hundertjährigen Festspielgeschichte ist Hering die erste Frau an der Spitze des Schauspiels. Um diese Gender-Revolution aber gleich zum Einstand perfekt zu machen, hat sie drei der vier Großproduktionen in die Hände von Geschlechtsgenossinnen gelegt. Der Salzburger „Jedermann“, eiserner Bestand der Lustbarkeiten, ist unter der Regie von Michael Sturminger zwar männlich geblieben, davon abgesehen aber blasen ab sofort Frauen zur Attacke: Athina Rachel Tsangari mit Wedekinds „Lulu“ in zwei Wochen und schon jetzt Andrea Breth mit Harold Pinters „Geburtstagsfeier“ und Karin Henkel mit Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“. Drei moderne Klassiker, in denen es um männliche Machtstrategien geht, die programmatisch dem weiblichen Sezierblick unterworfen werden: Just das ist die auf inhaltliche Vernetzungen jeglicher Art zielende, Schauspiel und Oper umfassende neue „Salzburger Dramaturgie“. Als Theorie geht sie im vorliegenden Feminismus-Fall schon mal auf. Und in der Praxis? Mehr oder weniger, immerhin.

Eine Party mit Hindernissen

Ihre Liebe zu Pinter hat Breth vor drei Jahren entdeckt, als sie am Münchner Resi seinen „Hausmeister“ inszenierte. Sprache, die nicht mehr der Verständigung dient, sondern als Folterinstrument eingesetzt wird: Dieses Lebensthema des englischen Dramatikers meißelt sie auch aus der 1958 uraufgeführten „Geburtstagsfeier“ heraus. Die Story ist überschaubar: Meg und Petey führen eine heruntergekommene Pension in einem Strandbad, in der sich als einziger Gast seit Jahren Stanley Webber einquartiert hat. Ihre in Alltagsritualen erstarrte Menage à trois – Zeitung lesen, Cornflakes essen, übers Wetter reden – wird gestört, als sich zwei weitere Gäste einfinden, Goldberg und McCann. Begeistert schließen sie sich Megs Plan an, für Stanley eine Geburtstagsparty auszurichten, gegen dessen ausdrücklichen Willen. Doch Widerstand ist zwecklos. Stans Vernichtung nimmt ihren Lauf.

„Die Geburtstagsfeier“ ist zwar ein Klassiker des absurden Theaters, aber mit sechzig Jahren Abstand zur Uraufführung muss man sagen: Das Stück ist vorhersehbarer und geschwätziger, als es sogar seinem genuinen Thema, eben der Perversion der Sprache, gut tut. Ins Salzburger Landestheater hat sich Breth nun von ihrem Bühnenbildner, dem an der Stuttgarter Kunstakademie lehrenden Martin Zehetgruber, einen Frühstücksraum bauen lassen, der Stans Schicksal vorwegnimmt und sich widerstandslos einer anderen Gewalt ergibt, der Naturgewalt. Sanddünen mit Grasbüscheln sind in die Pension am Meer eingewandert, eine erste Irritation der leicht ins Albtraumhafte gerückten Szenerie, der weitere folgen. Immer wieder unterbricht Breth nicht nur den Bewegungsfluss ihrer merkwürdigen Pensionisten, um sie hernach in Zeitlupe agieren zu lassen, sondern auch den gesamten Handlungsfluss des Dramas: Abruptes Dunkel setzt harte Schnitte, bevor dann unter Scheinwerfern ein neues, grotesk eingefrorenes Figurentableau erscheint, das einige Sekunden zum Auftauen braucht.

Mit solchen Tricks verwandelt Breth die mit dem Wiener Burgtheater koproduzierte „Geburtstagsfeier“ in eine effektsichere Gespenstersonate. Das Ensemble hilft ihr dabei, allen voran Nina Petri als geistig beschränkte, aber erotisch bedürftige Meg sowie Roland Koch als Goldberg und Oliver Stokowski als McCann, zwei elegante graue Herren, die im Auftrag einer ominösen „Organisation“ den Stanley des Max Simonischek einem Kreuzverhör aussetzen, das zum Psychohorror wird. In sich zusammengesunken, schweißnass und willenlos spielt sich der anfangs herrische Simonischek in feinen Abstufungen zum menschlichen Wrack herunter, das sich der Vergehen, die es nie begangen hat, schuldig fühlt. Allein: All die von Breth und ihren Spielern aufgebotene Kunstfertigkeit kann die Schwächen des Stücks und die Längen der Bedeutung schindenden Inszenierung nicht wettmachen. Am Ende: erlesene Langeweile im Landestheater, ganz anders als auf der Perner-Insel in Hallein, wo eine andere Großregisseurin eine Großtat vollbringt und den Naturalismus von Hauptmann rehabilitiert.

Im Ruß der Unterwelt

Karin Henkel inszeniert „Rose Bernd“, die 1903 uraufgeführte Tragödie, in der das titelgebende Bauernmädchen sein außerehelich gezeugtes Kind erwürgt. Hauptmann klagt in seinem Schauspiel aber nicht die Kindsmörderin an, sondern die Männerwelt, deren mal offene, mal verdeckte Tyrannei die verzweifelte Rose ins grässlichste aller Verbrechen drängt. Verblüffend schon das Bühnenbild: Statt Wiese, Feld und Wohnstuben breitet sich der Schacht eines Kohlebergwerks aus, den Schauplatz des Dramas von der bäurischen Oberwelt komplett in die verrußte Unterwelt der Malocher verlegend.

„Future is a fucking Nightmare“ steht auf dem Vorhang, der den Chor der Kirchgänger und Dorfbewohner von Rose Bernd trennt – und dass sich die Zukunft des von triebhaften Männern begehrten Mädchens tatsächlich als moderner Albtraum in Gothic entpuppt, ohne der Textvorlage weitere Gewalt anzutun, ist das Kunststück der ergreifenden, auch den schlesischen Dialekt nicht unterschlagenden Aufführung. Herausragend in der Titelrolle: Lina Beckmann, die Rose mit einer psychosozialen Intensität spielt, als stamme sie nicht von Hauptmann, sondern vom bis heute unerreichten Horváth. Grandios! Henkel, Breth, Hering: Frauen blicken anders auf die Welt als Männer. Nimmt man alles in allem, ist das neue Salzburger Schauspiel auch deshalb wieder ein Versprechen.