Japan und China streiten um eine Hand voll winzigen, nur von Ziegen bewohnten Inseln. Es geht um Bodenschätze, um Fische, und um das Prestige. Ein Besuch auf Ishigaki – dem japanischen Eiland, das die Senkaku-Inseln offiziell verwaltet.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Ishigaki - Hier in Japans Süden sind die Förmlichkeiten Tokios weit entfernt. 2000 Kilometer, um genau zu sein. Yoshitaka Nakayama empfängt den Besuch mit kurzem Hemd und ohne Krawatte. Das ist sympathisch bei fast 30 Grad. Yoshitaka Nakayama ist der Bürgermeister von Ishigaki. Das ist die südlichste Stadt Japans, ein aufstrebender Touristenort, erst recht seitdem vor drei Jahren der neue Flughafen eingeweiht wurde. Es gibt traumhafte Strände und ein Tauchparadies.

 

Yoshitaka Nakayama ist ein sportlicher, durchtrainierter Typ. In zwei Tagen wird er auf der Nachbarinsel bei einem Wohltätigkeitsmarathon starten. Bei den knapp 50 000 Bewohnern Ishigakis ist Yoshitaka Nakayama beliebt, nach vier Jahren im Amt wurde er 2014 wiedergewählt. Ishigaki ist so etwas wie ein Geheimtipp in Ostasien. Eine nahe gelegene Inselgruppe ist hingegen weit über die Region hinaus bekannt: die Senkaku-Inseln – sie werden von Ishigaki aus verwaltet.

Für den Bürgermeister heißt es: Betreten verboten

Es ist eine Verwaltung der besonderen Art. Der Bürgermeister jedenfalls hat in seinen sechs Amtsjahren noch nie einen Fuß auf die unbewohnten Eilande setzen dürfen, die das Zeug dazu haben, das ohnehin nicht gerade gute Verhältnis zwischen Japan und China weiter zu beschädigen. Tokio verbiete das Betreten, sagt Yoshitaka Nakayama. Was er davon hält? Nichts. Yoshitaka Nakayama lehnt sich in seinem Sessel zurück und lächelt freundlich. Er sei dafür, schleunigst einen Hafen oder Piers auf den Inseln zu errichten, sagt Nakayama: „So wie das China auch auf den Inseln im Südchinesischen Meer macht.“ Dass dies zur totalen Eskalation führen könnte, ist dem Lokalpolitiker bewusst. Seine Argumentation: Es gibt keinen Territorialkonflikt, die Inseln sind japanisch – „und das muss man der Welt auch zeigen“.

Letzteres hat sich auch die japanische Regierung zum Ziel gesetzt. Der Etat des Außenministeriums für öffentliche Diplomatie beträgt im laufenden Fiskaljahr knapp 460 Millionen Euro. In umfangreichen Broschüren stellt Tokio seine Argumente zusammen, mehrsprachig. Genau gezählt werden auch die chinesischen Schiffe, die in den Gewässern rund um die Inseln gesichtet werden. Bis 2012 waren das wenige, dann aber ähnelt die grafische Aufarbeitung der chinesischen Schiffssichtungen der eines Seismografen bei einem Erdbeben der stärkeren Kategorie. Vor vier Jahren war ein Teil der Inseln vom japanischen Privatbesitz in die staatliche Obhut Japans gewechselt. In China hat das zu einem Aufschrei geführt.

Kazuhiko Yosekawa hält eines der Argumente in den Händen, das Tokios Anspruch beweisen soll – zumindest als Kopie. Yosekawa ist Kurator des Heimatmuseums von Ishigaki. Für einen Eintritt von 200 Yen, etwa 1,70 Euro, gibt es die Scherben von 4000 Jahre alten Töpfen zu sehen, dazu Einbaumbote und Reisigbesen. Und eben das Dokument, das Yosekawa vor allem den ausländischen Besuchern präsentiert. Es ist ein Brief, der im Mai 1920 vom chinesischen Konsul in Nagasaki verfasst wurde. Darin bedankt sich Feng Mien dafür, dass chinesische Fischer von Japanern aus Seenot gerettet wurden und auf den Inseln wieder aufgepäppelt wurden. Der chinesische Diplomat war nicht nur dankbar, er war auch korrekt: „Die Senkaku-Inseln im Yaeyama-Distrikt der Präfektur Okinawa des japanischen Reichs“, schreibt er.

Verzwicktes internationales Recht

Das Original auf Seide liege im Keller und werde konserviert, sagt der Kurator, der sich auskennt mit der wechselvollen Geschichte in der Region. Sein kleines Museum ist in einem Haus untergebracht, das vor mehr als 140 Jahren einmal das Rathaus des Ortes gewesen ist, der damals noch gar nicht zu Japan gehörte, sondern zum Königreich Ryukyu. Daran dass die Senkaku-Inseln zu Japan gehören, hat er ebenso wenig Zweifel wie der Bürgermeister. Tatsächlich ist die Sache verzwickt.

Experten schauen in die Kairoer Erklärung von 1943, in die Potsdamer Erklärung von 1945 oder in den Friedensvertrag von San Francisco, um Argumente zu finden. Aus Sicht Chinas, wo die Inseln Diaoyu heißen, und nach Ansicht Taiwans gehören die Eilande zu China, weil sie bis 1895 über Jahrhunderte chinesisch verwaltet worden seien. Japan sei durch den Sieg über China 1895 in den Besitz gelangt. Japan argumentiert, dass China zwar im Vertrag von Shimonoseki 1895 die Kontrolle über Taiwan und zugehörige Inseln an Japan abgetreten habe – doch habe die japanische Regierung schon zuvor entschieden, die unbewohnten Inseln in Besitz zu nehmen. Im Klartext: Während China argumentiert, dass die spätere dauerhafte Kontrolle durch Japan die eigenen, älteren Rechte nicht außer Kraft setzen dürfe, geht Japan davon aus, dass es gar keine älteren Rechte gibt.

Dienstags und freitags tritt die große Politik, der erbitterte Streit um die Inseln, deren größte gerade einmal drei Kilometer lang ist, zumindest in Ishigaki in den Hintergrund. Dann legen die Kreuzfahrtschiffe aus Taiwan im Hafen an, und die Menschenmassen fluten die kleine Innenstadt auf der Suche nach Souvenirs. Glasperlen in Meeresblau gehören zu den typischen Mitbringseln, und die Händler begrüßen Taiwanesen wie Festlandchinesen als Kunden. Angst um seine Sicherheit müsse kein einziger chinesischer Tourist haben, sagt der Tourismusmanager. Übergriffe habe es noch nicht gegeben; daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern.

Die Küstenwache bremst die Fischer

Auf hoher See ist das anders. Youji Gushiken ist ein Seebär wie aus dem Bilderbuch. Sonnengebräuntes Gesicht, wie Leder gegerbte Haut. Die Visitenkarte des Fischers ziert das Bild eines Thunfischs, der größer ist als der Bootsführer. „Ich würde sehr gern um die Inseln herum fischen“ sagt Gushiken, „aber unsere eigene Küstenwache erlaubt es nicht.“ Die weißen Schiffe der japanischen Coast Guard starten wie die Boote der 300 Berufsfischer aus dem Hafen von Ishigaki – und passen darauf auf, dass die eigenen Leute nicht zu nahe an die rund 170 Kilometer entfernten Inseln kommen. „Sie wollen nicht, dass wir China provozieren“, sagt Gushiken und erzählt von einem Kollegen, der kurzfristig festgenommen wurde, als er doch versucht hat, in die fischreichen Gewässer zu gelangen.

Die Fische und vermutete Rohstoffe sind ein wichtiger Grund für den erbitterten Streit um die Inseln, auf der sich seit Jahren ausgesetzte Ziegen ungestört vermehren. Ob es inzwischen 300 oder 500 dieser Tiere sind, weiß niemand so genau. Und auch über die Zahl der Inseln selbst schwanken die Angaben. In der deutschsprachigen Informationsbroschüre zählt das japanische Außenministerium „unter anderem“ sieben Inseln namentlich auf. In der englischsprachigen Ausgabe ist von fünf Inseln und drei Riffen die Rede. Die Unterscheidung ist nicht unwesentlich. Nur um Inseln können Staaten eine exklusive Wirtschaftszone von 200 Seemeilen für sich beanspruchen.

US-Truppen könnten Bomben werfen

Im Außenministerium von Tokio haben sie die Wirtschaftszone auf Karten markiert – und sehen Japans Handel bedroht, sollte die Zone chinesisch sein. So weit darf es nicht kommen, da sind sich die Regierung in Tokio und der Bürgermeister von Ishigaki einig. Gleichwohl würde sich Yoshitaka Nakayama „mehr Mut“ von den Parteifreunden in der Hauptstadt wünschen. Und dann würde sich der Bürgermeister noch über Bomben freuen. Eine der Senkaku-Inseln sei schon lange als Bombenabwurfplatz für US-Truppen ausgewiesen, sagt Nakayama. Das sei wohl kaum möglich, wenn es sich um chinesisches Gebiet handle. „Wir müssen jetzt mal abwarten, was Donald Trump machen will“, sagt der Bürgermeister. Damit ist er nicht alleine.