In Weingarten geht es an diesem Samstag um die deutsche Meisterschaft. Den Hinkampf hat der ASV Nendingen mit Frank Stäbler gewonnen. Dabei zeigt sich Ringen als ein großartiges Liveerlebnis, kämpft aber mit Problemen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Die Atmosphäre im Ringen, das wird jeder bestätigen, der jemals irgendwo bei einem wichtigen Bundesligakampf in einer vollen Halle gewesen ist, kann, Pardon: ziemlich geil sein.

 

An diesem Samstag, 19.30 Uhr, steht wieder ein wichtiger Kampf an. Der wichtigste der Saison. SV Germania Weingarten empfängt den ASV Nendingen, es ist der Rückkampf um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Das erste Duell hat der Titelverteidiger Nendingen 11:7 gewonnen, aber noch sei nichts entschieden, sagt der ASV-Trainer Volker Hirt: „Im Zelt des SVG in Weingarten wird ebenfalls eine grandiose Stimmung herrschen und unser Gegner gibt sich noch lange nicht geschlagen.“

Dieser Samstag wird wieder ein Festtag für den Ringkampfsport werden. Inmitten eines zähen Ringens ums Überleben, das seit Jahren die Sportart in Atem hält.

In Nendingen (bei Tuttlingen) oder im badischen Weingarten ist die Welt noch in Ordnung. Ringen funktioniert. Die Wirtschaft zieht mit, die Zuschauer strömen in die Hallen oder wie jetzt beim Finale in das große Eventzelt auf dem Platz vor Weingartens Generalix-Arena. Der Etat des Vizemeisters wird auf knapp 400 000 Euro geschätzt, Nendingen soll sich noch weiter oben bewegen, so ganz genau weiß man das nicht. Über Geld spricht man nicht. Aber es ist ein Problem, weil die einen viel haben und die anderen wenig. Dazu später mehr.

Wer je beim Ringen war, wird das nicht vergessen

Ringen wie im Hinkampf in der Balinger Sparkassen-Arena oder nun in Weingarten ist rasant. Schnell. Laut. Heavy-Metal. Weingartens Vorsitzender Ralph Oberacker trägt dazu bei als Einheizer der 3000 Fans, als brillanter Animateur der Meute. Wer je dort beim Ringen war, wird das nicht vergessen. Es ist irgendetwas zwischen Dorfdisco, Ballermann und Darts-WM. Das mag in manchen Ohren schrecklich klingen, ist als Liveerlebnis aber ziemlich gut.

Aber es ist zu selten so. Der Ligaschnitt der normalen Saison liegt bei knapp 500 Besuchern, das ist nicht viel, wenn auch verglichen mit anderen Randsportarten nicht so wenig. Aber man ist weit weg von den Glanzzeiten des Ringens, etwa, als der KSV Aalen im Finale die Stuttgarter Schleyerhalle füllte: 1984 sahen damals 8000 Zuschauer zu – bis heute Zuschauerrekord. Immerhin: 2014 lockte Nendingen beim Finale 6000 Fans in die Schwenninger Arena.

Die Festtage funktionieren bis heute einigermaßen bei den Spitzenclubs, es ist der Alltag, der das Problem ist. Es ist für viele Teams ein Leben am Abgrund. Der Traditionsverein VfK 07 Schifferstadt war schon insolvent, auch den KSV Aalen hat es mal erwischt, viele andere Clubs waren oder sind ebenfalls in finanziellen Turbulenzen. Die Bundesliga ist im ewigen Krisenmodus.

Das Ringen muss um Aufmerksamkeit kämpfen

Das hat viele Gründe, hausgemachte wie das traditionelle Wettrüsten oder der ewige Streit mit dem Verband und die Debatte um zu viele ausländische Ringer, aber es gibt auch andere Ursachen, grundsätzliche Verwerfungen in der Entwicklung der Sportlandschaft in Deutschland nämlich: War Ringen früher ein fester Bestandteil der bundesdeutschen Sportwelt, so muss die Sportart heute um Aufmerksamkeit kämpfen, und außerhalb von Gemeinden wie Nendingen oder Weingarten erfolglos.

Wenn man in diesen Tagen Sportler und Funktionäre in Rage bringen will, dann reicht oft das Wort „Darts“ . Die WM fasziniert immer mehr Menschen, hunderte Stunden ist Darts live im Fernsehen zu sehen, während traditionsreiche Sportarten wie Ringen um Sekunden betteln müssen.

Die Welt hat sich verändert. Ringen nicht. Und vielleicht ist dies das Problem. Es war ja soweit, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Sportart in einem Akt er Geschichtsvergessenheit aus dem Programm tilgen wollte. Zu langweilig. Zu statisch. Ausgerechnet Ringen, diese olympische Ur-Disziplin. Es taucht ja sogar in der olympischen Hymne von 1896 auf, es ist Teil der olympischen DNA. „Beim Laufen, Ringen und beim Weitwurf / Erleuchte die Kraft, die den edlen Spielen innewohnt, / Und kröne mit dem nie verwelkenden Zweig, / Und mache den Körper ehrenwert und wie aus Stahl.“, heißt die zweite Strophe der offiziellen Hymne des IOC.

Dieser sportpolitische Tiefpunkt war im Nachhinein gesehen aber die Wende zum Guten, weil dadurch das System Ringen neu kalibriert wurde. Es wurden Regeln geändert, um den Kampf aktiver zu machen, an der Präsentation gearbeitet – mit dem Ergebnis, dass das IOC sein Votum rückgängig machte und Ringen dank des Updates tatsächlich attraktiver geworden ist.

Topringer bekommen bis zu 2000 Euro pro Einsatz

Die Probleme der Liga löst das allein aber nicht. Die Situation ist komplexer. Das Ligensystem wie hierzulande ist weltweit gesehen eher ungewöhnlich, entsprechend attraktiv ist die Bundesliga als Einkommensquelle für ausländische Spitzenringer. Angeblich bis zu 2000 Euro sollen Topringer für einen Einsatz bekommen, die wenigsten Vereine können sich das leisten, entsprechend groß ist das Gefälle innerhalb der Liga – und die Angst kleinerer Vereine groß, sich in der ersten Liga finanziell zu übernehmen und am Ende als Verein vor einem Scherbenhaufen zu stehen.

Das hat in der Vergangenheit zu der absurden Situation geführt, dass Zweitligisten kurz vor Ende der Runde absichtlich auf kuriosem Weg alles getan haben, um Kämpfe zu verlieren, damit sie auf keinen Fall Erster werden und nicht in die Verlegenheit kommen, aufsteigen zu müssen. Auch diese Saison will keiner der drei Staffelmeister der zweiten Liga aufsteigen.

Der Modus ist ein ewiger Streitpunkt, an der Bundesliga wird seit Jahren herumgeschraubt wie an einem verunfallten Auto.

Zehn Teams bilden die eingleisige Bundesliga

Vor wenigen Tagen gab der Verband die neueste Reform bekannt: Künftig wird in einer eingleisigen Liga mit zehn Teams gerungen. Nendingen, Weingarten, Ispringen, Köllerbach, Mainz sowie Aalen sind dabei – und auch Luckenwalde, Adelhausen und Schifferstadt, die lange über einen Rückzug nachdachten. Den Schritt vollzogen hat RWG Mömbris-Königshofen, nach 30 Jahren Zugehörigkeit tritt das Team nicht mehr in der Bundesliga an. „Wir wollen dem stetigen Wettrüsten in der Liga nicht mehr folgen“, begründete der Club den Schritt. Die Liga sei zu teuer geworden, die Zuschauer kämen nicht mehr so, und so weiter. Statt der geplanten zehn sind es also nur noch neun Teams, 2007 traten noch 24 Mannschaften in der ersten Liga an. „Die Lage ist bedrohlich“, sagt Ralph Oberacker.

Nun auch in Weingarten: ausgerechnet beim Vorzeigeverein wurde vor wenigen Tagen in die Geschäftsstelle eingebrochen und die Einnahmen aus dem Kartenverkauf gestohlen – um die 40 000 Euro. Ein existenzieller Betrag. Der Verein hat deshalb einen Aufruf gestartet, um das Überleben zu sichern. Viele haben geholfen. Die Unterstützung sei großartig, bedankt sich der Verein auf Facebook. Ringen lebt.