Die Kulturstadt hat im Großen und im Kleinen viel zu bieten, behält das aber häufig für sich. Sie darf gerne lauter auftreten, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Nimm „Stuttgart“. Streich die erste Silbe und von der zweiten Silbe den ersten Buchstaben. Übrig bleibt „art“ – der englische Ausdruck für Kunst. Das kann kein Zufall sein. Tatsächlich steckt viel Künstlerisches in Stuttg-art. Immer schon. Das beginnt mit den Kupferstechern des 18. Jahrhunderts, das setzt sich fort mit den Dichtern und Philosophen, Malern, Baumeistern der beiden vergangenen Jahrhunderte und reicht bis zu den Architekten, Bildhauern, Musikern, Tänzern, Grafikern und Filmschaffenden der Gegenwart. Und immer schon gab es das Phänomen, dass Künstler Auswege aus der merkwürdigen Enge suchten, die in Stuttgart auch zu finden ist. Vielleicht weil in „Stuttgart“ nicht nur „art“ steckt, sondern auch ein Anklang von „artig“.

 

In jedem Fall hat sich Stuttgart den Ruf einer Kulturstadt erworben. Einer Stadt der schönen Künste – weniger der künstlichen Schönheit. Und glücklicherweise gibt es viele Menschen, die sich bemühen, diesen Ruf zu festigen. Zum einen die Kunstschaffenden selbst. Zum anderen die Freundeskreise der Galerien, die Kunstförderer, teils auch die Politiker – vor allem aber das kulturell interessierte Publikum selbst. In Stuttgart ist das Klima für Kunst im allgemeinen günstig. Das zeigt auch die intensiv geführte Diskussion um einen Ersatz-Standort für die Oper mit dem ehemaligen Paketpostamt als einer weithin begrüßten Lösung.

Mehr Offenheit für die Subkultur

Stuttg-art drückt sich jedoch nicht nur in der zurecht gefeierten Hochkultur aus. Für das Gesamtgefüge der Stadt genauso wichtig ist das, was sich auf anderen Ebenen entwickelt – beginnend mit der sogenannten Subkultur, die von Freiheit lebt und von Flächen, auf denen sie sich entwickeln kann. Diese Erkenntnis hat sich nur mühsam durchgesetzt. Mit der Sanierung der Wagenhallen ist es nicht getan, so begrüßenswert die Maßnahme ist. Subkultur folgt Impulsen, die nicht berechenbar sind. Dafür sollte die Kulturstadt Stuttgart offen sein und Oasen wie die Cannstatter Kulturinsel wertschätzen.

Immerhin: Stuttgart lernt Stuttg-art zu pflegen. Das drückt sich in Investitionen in die Kultur aus. Wichtige Initiativen wie das Kulturwerk Ost, die Freie Tanz- und Theaterszene oder das Theater Lokstoff erhalten nach dem Willen der Gemeinderatsmehrheit künftig städtische Unterstützung. Das folgt der von der Künstlervereinigung FUKS („Freie Unabhängige Künstler Stuttgarts) formulierten Logik: „Um Kunststadt zu sein, ist die Förderung und Anerkennung der Aktivitäten der Künstler vor Ort konstituierend.“

Hineinleuchten in die reiche Chor-Landschaft

Tatsache ist: An vielen Stellen in Stuttgart wird an Kultur getüftelt und wird Kultur gepflegt. Auf unterschiedlichsten Ebenen: Die Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts bewegen sich auf Weltniveau, die Mitglieder des Vokalensembles ebenso – um nur zwei kulturelle Leuchttürme zu nennen. Daneben hat die Kleinkunst ihren Platz, entwickeln sich Laienbühnen und spielen junge Kreative mit „Stuggi-Town“. Woran es noch fehlt, sind Schnittstellen der Kultur zur Öffentlichkeit. Wenn unsere Redaktion jetzt in loser Folge in die reiche Chorlandschaft der Stadt hineinleuchtet, ist das der Versuch, eine solche Schnittstelle zu bilden. Stuttg-art klingt gut. Im Großen und im Kleinen. Nur manchmal zu leise.

jan.sellner@stzn.de