Die Stimmung in der deutschen Start-up-Szene ist gut, denn die Gründer genießen hohe Aufmerksamkeit. In der Bundespolitik freilich fehlen die richtigen Rezepte gegen den Mangel an Wagniskapital.

Stuttgart - Auf Branchentreffen suchen Politiker gerne die Nähe zu jungen, aufstrebenden Unternehmen. Wann immer es der Terminplan erlaubt, nehmen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Zeit für Gespräche mit der Gründerszene. Auch in den Ländern gibt es inzwischen viele Netzwerke mit der Politik. Einig sind sich die Beteiligten dann schnell, dass die Bedingungen für Start-ups in Deutschland verbessert werden müssen. So heißt es im jüngsten Eckpunktepapier der Bundesregierung: „Deutschland braucht eine neue Gründerzeit“.

 

Trotz der Bekenntnisse gibt es aber wenig Fortschritte. Die Bundeskanzlerin sagte unlängst auf dem Nationalen IT-Gipfel, dass sie dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker mit dem Thema Gründungsförderung ständig im Ohr liege. Es geht um steuerliche Änderungen, die es Investoren erleichtern sollen, ihr Geld in junge Unternehmen in der Wachstumsphase zu stecken. Berlin macht Änderungen davon abhängig, dass Brüssel grünes Licht gibt. Wirtschaftsminister Gabriel ist schon lange ungeduldig: In den nächsten sechs Monaten müsse bei der Förderung von Wagniskapitals endlich was passieren, sagt er. Dahinter steckt auch die Erkenntnis, dass die große Koalition auf diesem Gebiet bisher nicht geliefert hat.

Die Konzerne wollen von den „Schnellbooten“ lernen

Was aus Sicht der Gründerszene geschehen soll, davon kann die Jungunternehmerin Stephanie Renda, Geschäftsführerin der Mainzer Technologiefirma Match2blue GmbH, berichten. Auf dem IT-Gipfel beschrieb die Unternehmerin ihre Erwartungen so: Notwendig seien Anreize, dass Mittelständler und Großunternehmen stärker in Start-ups investieren können, sagte Renda in Anwesenheit des Wirtschaftsministers. „Es ist nicht leicht in Deutschland, Wagniskapital zu bekommen“, sagte die Unternehmerin. Gabriel quittierte das mit einem Kopfnicken.

Dabei ist die Stimmung der jungen Unternehmen gut. Start-ups werden inzwischen stärker beachtet. So versuchen Großunternehmen, von den kleinen, wendigen „Schnellbooten“ zu lernen. Ob der Autozulieferer Bosch, das Medienhaus Springer oder der Stahlhändler Klöckner: Viele Konzerne haben Start-Up-Unternehmen gekauft und gegründet, um Erfahrungen zu sammeln. Deutschland hat nicht so sehr ein Problem, weil es zu wenig Existenzgründer gibt. Die staatliche KfW-Bank, die mit ihren Kreditprogrammen Existenzgründer unterstützt, stellt fest: „Die Zahl der Gründer steigt abermals.“ Im vorigen Jahr nahm die Zahl der Gründungen auf 915 000 zu, das ist ein Plus von 47 000 Unternehmen. Als erfreulich bezeichnet es die KfW, dass sich die Zahl der Jungunternehmer erhöht hat, die im Vollerwerb ein neues Geschäft aufziehen. Im langfristigen Vergleich ist zwar festzustellen, dass seit dem Aufschwung am Arbeitsmarkt 2005 die Gründungstätigkeit gesunken ist. Das liegt daran, dass die jungen Menschen bei stabiler Konjunktur leichter gut bezahlte Jobs bei Mittelständlern und Großunternehmen finden. Immerhin hat sich die Gründungstätigkeit zuletzt leicht belebt.

Das Beispiel Facebook ist unerreicht

In den Fokus rückt ein anderer Punkt: Wie kommen junge, innovative Unternehmen an Kapital, das sie für ein schnelles Wachstum benötigen? Auf diese Frage konzentriert sich die Politik. Im Eckpunktepapier der Bundesregierung steht, dass die fünf mit Wagniskapital finanzierten amerikanischen IT-Unternehmen Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft zusammen eine größere Marktkapitalisierung an der Börse haben als alle 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex Dax. Das deutet nicht nur auf die Dominanz der IT-Giganten in den USA. Dies zeigt auch, wie wichtig es ist, dass neugegründete Garagenfirmen Kapital finden, um in neue Dimensionen vorstoßen zu können. Ein Manager eines Wagniskapitalfonds bringt das auf diesen Nenner: Facebook bekam von seinen Kapitalgebern rund zwei Milliarden Dollar, bevor es an die Börse ging. Solche Größenordnungen sind in Deutschland unvorstellbar. Es besteht Einigkeit, dass es zu wenig Wagniskapital gibt.

Die Länder drängen den Bund zum Handeln

In ihrem Positionspapier kündigt die Regierung an, dass Kapitalgeber künftig höhere staatliche Zuschüsse erhalten. Das sogenannte Invest-Zuschussprogramm soll 2016 aufgestockt werden. Investitionen von Privatpersonen und Kapitalgesellschaften, die Wagniskapital bis zu 500 000 Euro im Jahr bereitstellen, werden mit 20 Prozent gefördert – bisher liegt die Investitionsgrenze bei der Hälfte. Allerdings wird die Förderung bisher nur wenig genutzt.

Der Nachholbedarf ist offenkundig

Gründer und Beteiligungsfirmen setzen ihre Erwartungen deshalb auf bessere steuerliche Rahmenbedingungen. Das fordert der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK). Nach den Zahlen des BVK wurden in Deutschland in den vergangenen drei Jahren rund zwei Milliarden Euro Wagniskapital in junge Unternehmen investiert. In den USA waren es laut dem Verband im gleichen Zeitraum 64 Milliarden Euro. Auch die Bundesregierung räumt Defizite ein und kommt in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass in den Vereinigten Staaten – bezogen auf die Wirtschaftskraft – das Zehnfache des in Deutschland investierten Kapitals mobilisiert wird. Auch wenn berücksichtigt werden muss, dass in Deutschland der klassische Bankkredit bei der Finanzierung von Unternehmen eine größere Rolle spielt, ist der Nachholbedarf offenkundig. Die große Koalition will deshalb die steuerlichen Bedingungen verbessern. Doch damit kommen SPD und Union kaum voran. „Abgesehen von Absichtserklärungen ist nichts passiert“, sagt die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae. Auch die Finanzexperten der Koalition sind unzufrieden.

Auch die Länder drängen die Bundesregierung zum Handeln. Passiert ist aber wenig. Zunächst griff das Finanzministerium einen Wunsch der Länder auf und wollte Gewinne beim Verkauf kleiner Firmenbeteiligungen steuerpflichtig machen. Bisher sind Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften unter zehn Prozent steuerfrei. Bund und Länder wollten dies ursprünglich ändern, was ihnen den Vorwurf einbrachte, ein „Anti-Angel-Gesetz“ vorzubereiten. Die „Business Angels“, die als Investoren bei jungen Unternehmen einsteigen, sind für Start-ups wichtig. Sie beteiligen sich mit dem Ziel, die Anteile nach einigen Jahren mit Gewinn zu verkaufen. Neue steuerliche Hürden würden das erschweren. Die Finanzminister von Bund und Ländern versicherten zwar, es solle Ausnahmen für Wagniskapital geben. Doch Sonderregeln sind europarechtlich schwer zu begründen. Inzwischen hat das Bundesfinanzministerium die Pläne zurückgestellt. Es soll zumindest vorerst nicht zur Besteuerung von Veräußerungsgewinnen kommen. Damit hat sich die Lage für Start-ups nicht verschlechtert, aber auch nicht verbessert.

Dem Ausland gefällt das deutsche Steuerrecht nicht

Die Bundesregierung versucht nun, mit einer anderen steuerpolitischen Vergünstigung Anreize für Investoren zu schaffen. Der Regierung geht es darum, dass Investoren Verlustvorträge von jungen Unternehmen auch nutzen können. Bei einem Eigentümerwechsel ist das bisher schwer möglich. Dies betrifft beispielsweise Unternehmen aus der Bio- und Medizintechnik, die hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung stemmen müssen und deshalb in den Anfangsjahren rote Zahlen schreiben. Seit der Unternehmenssteuerreform 2008 sind Verlustvorträge bei einem Eigentümerwechsel kaum nutzbar. Das erschwert den Einstieg von Investoren. Berlin will hier Abhilfe schaffen und versucht, die EU-Kommission davon zu überzeugen, dass es Ausnahmen beim Einstieg von Investoren geben soll. Aus Sicht der internationalen Geldgeber gibt es im deutschen Steuerrecht zu viele Hürden. Die SPD und die Grünen wollen zusätzlich die Forschungsaufwendungen von kleinen und mittleren Unternehmen steuerlich fördern. Das lehnt der Bundesfinanzminister ab, weil er hohe Steuerausfälle befürchtet.

Auf der Wunschliste der jungen Unternehmen steht auch ein besserer Zugang zur Börse. Seit dem Zusammenbruch des Neuen Markts fehlt Investoren die Möglichkeit, Anteile an der Börse zu verkaufen. „Wir sollten die Deutsche Börse ermuntern, ein Segment für Technologieunternehmen zu eröffnen“, sagte die Mainzer Unternehmerin Renda. Inzwischen hat die Börse zwar eine neue Internetplattform eröffnet, auf der sich wachstumsstarke Unternehmen präsentieren. Das reicht den Gründern aber nicht. „Wir brauchen ein neues Segment, damit wir nicht an die US-Technologiebörse Nasdaq gehen müssen“, so Renda.

Jung-Unternehmer und die Börse

Erfahrungen
Die Bundesregierung hat zunächst das Ziel verfolgt, einen Neuen Markt 2.0 als Börsensegment einzurichten. Doch die Deutsche Börse hat dabei nicht mitgemacht. Vor 15 Jahren waren die Kurse junger, stark wachsender Gesellschaften abgestürzt. Viele Privatanleger zogen sich enttäuscht vom Neuen Markt zurück. Aus Sicht der Politik und der Unternehmen ist es dennoch wichtig, dass Kapitalgeber, die bei einem Start-up einsteigen, ihre Anteile nach einigen Jahren wieder veräußern können. Nur dann kann auf Dauer mehr Wagniskapital mobilisiert werden.

Wagniskapital Die Deutsche Börse AG gründete im Sommer 2015 eine neue Internetplattform mit dem umständlichen Namen Deutsche Börse Venture Network. Die Idee dahinter ist, junge Unternehmen in der Wachstumsphase mit einem exklusiven Kreis von Geldgebern zusammenzubringen. Das Angebot richtet sich nicht an Neugründungen. Rund 100 Unternehmen etwa aus dem Onlinehandel wurden aufgenommen. Auf einer nicht-öffentlichen Onlineplattform präsentieren sich die Start-ups Wagniskapitalgebern. Darunter sind Konzerne wie Allianz,Burda und Holtzbrinck.