Verkatert auf die Bühne? Eine schlechte Idee, zumindest in der ersten Hälfte des Konzerts. Die Sterne reißen ihren Stuttgart-Auftritt im zweiten Teil aber rum: mit Disco-Nummern, schnodderigen Protestsongs und einem immer noch gültigen Hit.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - In dem popkonzertmäßig übervollen Oktober 2014 kann es einer Band wie Die Sterne passieren, dass ihr Stuttgart-Auftritt mangels ausreichend verkaufter Tickets von den Wagenhallen in den Club Schocken verlegt wird. Was finanziell gerade für den Veranstalter ärgerlich sein mag, war Freitagabend musikalisch die Rettung. Anders gesagt: in den Wagenhallen wäre dieser Abend womöglich ein Fiasko geworden.

 

Auf dem Vice-Musikblog Noisey hat der Musiker Hannes Naumann einen unterhaltsamen Text über die verschiedenen Suff-Zustände von Musikern auf Konzertbühnen verfasst. Die Sterne fallen an diesem Abend nach eigener Aussage in die Kategorie „verkatert Konzerte spielen“: am Abend davor ein bisschen zu viel gehabt, jetzt mühsam auf die Bühne gekämpft und direkt den ersten Einstieg verhauen. Auch nach zehn Alben ist eine Band nicht davor gefeit, sich davon in den ersten Minuten des Konzerts stark verunsichern zu lassen.

Jedenfalls holpern Die Sterne mehr in dieses Konzert, als es ihrem durchaus genau darauf ausgelegten Stil entspricht. Sie wollen, das merkt man ihnen an, die Stücke vom neuen Album „Flucht in die Flucht“ präsentieren, schon weil sie mit Dyan Valdes von The Blood Arm eine neue Livekeyboarderin dabei haben, die etwas weniger schweineorgelt als ihr Vorgänger Richard von der Schulenburg.

Das Publikum – erkennbar viele langjährige Fans – nimmt die neuen Songs zurückhaltend auf. Nicht auszudenken, wie das in den Wagenhallen hätte laufen können. Aber das ist wieder der Vorteil, wenn man so lange im Geschäft ist wie Die Sterne: Man weiß, wie man richtige Setlists schreibt. Mit dem dritten Song, dem Sterne-Klassiker „Tellerwäscher“, groovt sich die Band ein; das darauffolgende neue Stück „Mach mich vom Acker“ schließt an diesen Sound an und wärmt das Publikum auf. Schon beim Song „Bär“, bei dem der Bassist Thomas Wenzel singt (und prompt den Text vergisst) ist fast alles verziehen. Nach dem unprätentiösesten aller prätentiösen Pop-Songs („Drei Akkorde“) setzt „Convenience Shop“ den Abend endgültig aufs richtige Gleis.

In die Indie-Disco

Dieser Song vom letzten, vor schnalzenden Discobässen strotzenden vier Jahre alten Album „24/7“ eröffnet den zweiten Teil des Konzerts: den, in dem Die Sterne so rumpeln wie es ihre Art ist und nicht, weil sie noch nicht warmgespielt sind. „Pack den Kater am Genick und nutze dein klägliches, schmerzverzogenes Alkoholleichen-Gesicht für die Emo-Parts in der Mitte des Songs. Alles wird gut“, schreibt der Noisey-Kolumnist zu dieser zweiten Hälfte eines Katerkonzerts.

Und ja, die Sterne packen ihn, den Kater, und natürlich auch das Publikum. Erst mit ein paar weiteren Disconummern aus „24/7“, zu denen der Sänger Frank Spilker, von seiner Gitarre befreit, so wunderbar ungelenk tanzt. Dann holen sie ihre Klassiker aus dem Köfferchen. Und streuen noch Neues ein, etwa „Ihr wollt mich töten“ oder „Innenstadt Illusionen“. Das Publikum im sehr vollen Schocken hält da kaum mehr an sich, man geht euphorisiert mit und im Schocken ist es heiß wie lange nicht mehr.

Die interessanten

Dank des gut ausbalancierten Sounds kommen auch nicht ganz so textsichere Fans auf ihre Kosten. Denn davon leben Die-Sterne-Songs ja ganz besonders: dass es immer noch eine zweite Schicht gibt, dazwischen, daneben oder sonstwo. So vermischen sich Fragen nach dem Leben, das man selbst leben will („Mach mich vom Acker ... aber flott!“) mit reichlich Kapitalistenkritik und den radikal misanthropischen, aber eben auch aufrichtigen Bemerkungen im weiterhin besten Sterne-Song „Die interessanten“.

Die Sterne machen Disco-Songs und spielen Funk-Gitarren, ja. Aber sie tun es auf eine Die-Sterne-Art: so lässig, wie man als Norddeutscher halt sein kann. Spröde und schnodderig vorgetragen sind das im Grunde alles Protestsongs von Leuten, die so jung nicht mehr sind dass sie klassischerweise Protestsongs schreiben. Oder aber gerade noch jung genug sind, um aus einer Zeit zu kommen, in der man noch an Protestsongs glaubte. Die ihre Kritik vortragen, ohne wütend Grimassen zu schneiden. Und denen man im Schocken so viel näher ist als man es in den Wagenhallen je sein könnte.

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