Als vor 50 Jahren die große Flut über Hamburg hereinbrach, hat Helmut Schmidt durch sein energisches Eingreifen 1200 Menschen das Leben gerettet.

Hamburg - Auch in einer Demokratie kann es in krisenhaften Situationen nötig sein, im Interesse der Menschen sogar Verfassungsnormen zu durchbrechen. Vorausgesetzt, es ist jemand da, der sich das zutraut. Als am 16. Februar 1962 die große Flut über Hamburg hereinbrach, hat Helmut Schmidt durch sein energisches, alle Zuständigkeiten missachtendes Eingreifen an die 1200 Menschen aus unmittelbarer Lebensgefahr gerettet und rund 18 000 vorsorglich evakuiert. Die Feldjäger der Bundeswehr unterstellte er kurzerhand der Polizei und beging damit einen Verfassungsbruch, denn das Grundgesetz hält Polizei und Armee streng getrennt.

 

Als Innensenator von Hamburg war Helmut Schmidt nicht aufgefallen. Dieses neu geschaffene Amt hatte er im Dezember 1961 angetreten, nachdem der SPD-Chef Erich Ollenhauer dem Bundestagsabgeordneten Schmidt geraten hatte: „Helmut, du musst jetzt mal ein bisschen regieren.“ Schmidt kannte die Hamburger Verwaltung, denn nach seinem Studium wurde er 1949 Referent für Wirtschaft und Verkehr und bald Chef des Verkehrsamtes. Im Bundestag trat er, der sich für den Auf- und Ausbau der Bundeswehr besonders interessierte, als scharfer Oppositionsredner hervor.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar fuhr Schmidt von Westberlin, wo er an einer Konferenz der Innenminister teilgenommen hatte, durch die DDR nach Hamburg zurück und fand bei seiner Ankunft die sich überschlagenden Katastrophenmeldungen vor. Er ließ sich sofort ins Polizeipräsidium fahren, und da er dort nur auf heillose Verwirrung stieß, übernahm er, ohne nach Kompetenzen zu fragen, das Kommando über alle verfügbaren Einsatzkräfte. Das war ein Glück für Hamburg und seine Bewohner, denn durch die Vorgabe klarer Anordnungen konnten die Folgen dieser seit Kriegsende schwersten Katastrophe erheblich gemildert werden.

„Paul, halt dein Maul, du störst hier!“

Schmidt kam nun zugute, dass er viele der Behördenleiter von früher her kannte: „Ich wusste, auf wen ich zählen konnte und auf wen nicht.“ Wohl wichtiger noch war, dass er dem Verteidigungsausschuss des Bundestages angehörte und die Befehlshaber der Bundeswehr und im Nato-Oberkommando gut kannte. Sofort rief er den Stabschef der Nato, General Lauris Norstadt, in Brüssel an: „Hier sind die Deiche gebrochen, wir brauchen dringend Hubschrauber.“ Er bekam sie. Die Bundeswehr, die Schmidt in die Rettungsaktion einband, schickte Soldaten, Sturm- und Schlauchboote. Damit konnten viele der Flutopfer, die auf den Dächern ihrer Häuser Zuflucht gesucht hatten, rasch gerettet werden.

Als Bürgermeister Paul Nevermann, der seinen Urlaub in Süddeutschland unterbrochen hatte, in Hamburg ankam und sich einmischen wollte, fuhr Schmidt ihn an: „Paul, halt dein Maul, du störst hier!“ Tatsächlich hatten sich alle, ob hohe Bundeswehroffiziere oder Behördenchefs, dem Kommando Schmidts bereitwillig untergeordnet. Nur so konnte der Apparat der Hilfsmaßnahmen auf volle Touren gebracht werden. Schmidt hatte einen Einsatzstab geschaffen, in dem alle Organisationen vertreten waren. Der Innensenator befehligte 8000 Bundeswehrsoldaten, 4000 Nato-Soldaten, Amerikaner, Briten und Holländer, dazu Bundesgrenzschutz, Feuerwehr, Bereitschaftspolizisten sowie karitative Helfer.

Sechzig Stunden nach Eintritt der Katastrophe hatte sich die Lage beruhigt, war die unmittelbare Not beseitigt. Helmut Schmidt konnte sich erstmals wieder einen Achtstundenschlaf gönnen. Er war nicht nur zum populärsten Senator der Hansestadt geworden, sondern auch zu einem bundesweit bekannten Politiker, mit dem fortan zu rechnen war.