Der Boxer René Weller spricht in der Stuttgarter Zahnradbahn über sein Leben – flankiert von seiner Frau Maria, die ihn manchmal korrigiert.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Auf den ersten Blick erfüllt René Weller wirklich alle Erwartungen. Eine goldene Panzerkette mit einem brillantbesetzten Boxhandschuh baumelt über dem durchtrainierten Oberkörper, die Rolex am Handgelenk, am Bund der hautengen Jeans mit der geschätzten Taillenweite 28 ein Gürtel mit Harley-Davidson-Schnalle und zwei Handys griffbereit, dazu schwarze Cowboystiefel. Als standesgemäß, so könne man das Outfit des größten Showtalents der deutschen Boxgeschichte nennen. „Sie halten mich wahrscheinlich für ein Arschloch“, sagt der 61-Jährige schon kurz nach der Begrüßung und gibt dem Zahnradbahngespräch so eine ganz neue Offenheit.

 

René Weller ist in Begleitung seiner auch nicht unauffälligen Frau nach Stuttgart an den Marienplatz gekommen. Maria Weller, die Hund Bella im Schlepptau hat, fungiert beim Zahnradbahngespräch als eine Art Co-Moderatorin, und das ist der Unterhaltung gar nicht abträglich. Immer wieder ordnet sie Aussagen ihres Mannes ein. „René, mach mal langsam, du hast auch viel Mist gebaut.“ Und sie plaudert ebenso ungeschminkt wie ihr Mann drauflos: „Wir lernten uns damals in einer Disco kennen. Das Erste, was ich dachte, als er mich ansprach, war: mit einem Zuhälter will ich auf gar keinen Fall etwas zu tun haben.“

Und damit ist ein zentrales Thema des Zahnradbahngesprächs mit René Weller vorgegeben. Schein und Sein. „Ich bin nicht so, wie ich wirke, so wie ich mich oft darstelle und wie ich dargestellt werde“, sagt René Weller, als sich die Zahnradbahn Richtung Degerloch in Bewegung setzt. Der vermeintliche Lautsprecher redet sehr leise, mit einer angenehm sonoren Stimme, mit der später auch noch eigene Gedichte vortragen werden. Die hören sich dann vom Autoren gesprochen auch gar nicht so schlecht an.

Wie ein Schauspieler

René Weller war auch immer Schauspieler. Seinen Rollen: Großmaul, böser Bube, Liebling der Halbwelt, Frauenheld. „Ich musste auffallen, um populär zu werden. Wer interessiert sich in Deutschland schon für einen ganz normalen Leichtgewichtsboxer?“, sagt er. Der Pforzheimer umgab sich mit schönen Frauen und schrägen Typen, ließ sich mit Leoparden-Tanga fotografieren. Und dazu haute er Sprüche wie diesen raus: „Ich bin einer der ganz wenigen Männer, die nackt besser aussehen als angezogen.“

An der Zacke-Mittelstation schaltet sich Maria Weller ein und rückt das aus ihrer Sicht schiefe Bild vom schönen René, vom schillernden Golden Boy gerade: „Er ist ein Partymuffel, raucht nicht, trinkt nicht, ist überhaupt nicht aggressiv. Aber ein großer Macho ist er, und er will immer das letze Wort haben – wie ich.“

Der Name steht für die große Show

René Weller, dieser Name stand aber nicht nur für die ganz große Show. Er war auch noch ein begnadeter Boxer, ein Künstler mit schnellen Beinen und schnellen Reflexen. Ein Ästhet im Ring, der austeilen konnte und nur selten einstecken musste. Als Amateur bestritt er 355 Kämpfe, von denen er 338 gewann, die Bilanz dürfte in Deutschland unerreicht bleiben. Und dann kommt Weller zu einem ganz entscheidenden Höhepunkt in seinem Leben zu sprechen, die Begegnung mit Muhammad Ali.

Eine Woche lang begleitet er sein Idol Mitte der 70er Jahre auf Einladung des gemeinsamen Sponsors Sunkist auf einer PR-Tour durch Deutschland. Danach ist ihm klar: „Ich werde Profi und reiße die Klappe genauso auf.“ Weller wird Europameister und sogar Weltmeister, allerdings nur im unbedeutenden Verband WAA. Zwischen 1971 und 1995 ist er erst als Amateur und später als Profi durchgehend Deutscher Meister im Bantam-, Feder- oder Leichtgewicht. Als Berufsboxer verliert er nur einen einzigen Kampf – verletzungsbedingt gegen den späteren WBO-Weltmeister Gert Bo Jacobsen aus Dänemark.

Der Publikumsmagnet

Weller ist ein Publikumsmagnet – und mit ihm beginnt die große Zeit des Sauerland-Boxstalls. „Die Leute sind zu mir in die Halle gekommen, weil sie das Großmaul Weller verlieren sehen wollten. Mir war ja egal, warum sie kommen: Hauptsache sie waren da“, sagt Weller und erzählt, was ihn der Promoter Wilfried Sauerland immer wieder wissen ließ: „Ich hätte einfach alles gehabt, meinte Sauerland: die boxerische Klasse, das Extrovertierte, die Ausstrahlung, ein Sexsymbol hat er mich genannt.“ Beim Wort „Sexsymbol“ fährt die Zacke am Wendepunkt in Degerloch ein. Es ist Zeit, René Weller darauf vorzubereiten, dass es auf der Fahrt zurück zum Marienplatz gleich um die Tiefpunkte in seinem Leben gehen wird. „Dazu fällt mir einer meiner alten Sprüche ein: Wo ich bin, ist oben, und falls ich mal unten bin, ist unten oben“, sagt René Weller und lacht über sich selbst. Über seine Zeit im Gefängnis, um die es auf der Talfahrt gehen wird, lacht er dann aber nicht mehr.

Am 16. Juli 1999 wird Weller wegen Kokainhandels, Hehlerei, Anstiftung zur Urkundenfälschung und unerlaubten Waffenbesitzes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Zur Hehlerei, zur Urkundenfälschung, und zum fehlenden Waffenschein sagt Maria Weller noch bevor ihr Mann Antworten kann: „René, da gibt es jetzt gar nichts schön zu reden.“ Sie erzählt von Imitaten teurer Uhren, die ihr Mann vertickt hat. Aber die Sache mit den Drogen, die wollen sie jetzt mal klar stellen.

In die Falle getappt

„Das war eine Falle“, sagt René Weller und erzählt die ganze Geschichte, in der es um eine andere Frau geht, die sich einst sein Vertrauen erschlichen habe. „Sie war finanziell in einer Notlage. Ich habe sie, als ich Junggeselle war, bei mir aufgenommen. Und dann hat sie mich angefleht, ihr 200 000 Mark zu leihen. Sie sagte mir, dass sie davon Drogen kaufen will, um die dann einem Schweizer Geschäftsmann zu verkaufen. Blöd wie ich war, habe ich mich darauf eingelassen. Ich sollte ihr das Geld an einen Parkplatz bringen. Und dann rief sie mich an, dass Sie einen Unfall habe, nicht kommen könne und ich das Geld den Dealern aushändigen müsse. Die Dealer waren am verabredeten Treffpunkt, ich war mit dem Geld in den Satteltaschen meiner Harley da und dann ganz schnell auch die Polizei. Da wurde mir klar, dass ich auf eine V-Frau reingefallen bin, die im Gefängnis angeworben wurde und bei der Gerichtsverhandlung als Kronzeugin nicht aussagen musste. Heute lebt sie mit einer neuen Identität in Amerika. Die Polizei wollte mich wegen Steuerhinterziehung drankriegen, weil sie das nicht geschafft hat, wählte sie diesen Weg.“ Nach viereinhalb kommt Weller aus dem Gefängnis frei.

Den Mann in den Griff bekommen

In Freiheit warten auf ihn Steuerschulden in Höhe von 465 000 Euro, aber auch seine On-off-Beziehung Maria Dörk, die Gesellschaftsreporterin aus Hannover, die René Weller und seine Finanzen in den Griff bekommt. Im vergangenen Jahr haben sie dann sogar geheiratet, was René Weller bis kurz vor dem Standesamtstermin eigentlich ausgeschlossen hatte.

Die Zahnradbahn ist am Marienplatz angekommen, und René Weller erzählt von einem Gefängnisfreund, der aus Stuttgart kommt: „Den haben wir Oma genannt, weil er kochen konnte wie die Großmutter – ein feiner Kerl.“ Weiter kommt René Weller nicht in seiner Erzählung, vor ihm steht nämlich der Zahnradbahnfahrer und sein Sohn, die unbedingt Fotos vom prominenten Fahrgast machen wollen. Auf Knopfdruck verwandelt sich der zuvor so ruhig erzählende Herr Weller, in Rampensau René, die mit dem Jungen herumalbert und sich für die Fotos mit hoch gehaltenen Fäusten in die typische Boxerpose wirft. Es ist eine sympathische Show, die Weller hier am Marienplatz abzieht.

Die Leute haben ihn nicht vergessen

Und dann noch der Auftritt im Café Kaiserbau, wo das Zahnradbahngespräch traditionell in die Verlängerung geht. Der Mann einer Mitarbeiterin hat Weller sofort erkannt und kommt mit seinen eilig herangeschafften Boxhandschuhen an den Tisch, die der prominente Gast mit Vergnügen signiert. Die Leute reagieren positiv auf René Weller, und er sehr positiv auf die Leute. In Vergessenheit gerät er jedenfalls nicht.

Dafür sorgt auch seine Frau, die ihn managt. Regelmäßig taucht René Weller, der vor allem als Trainer arbeitet, im Fernsehen auf – im Big-Brother-Dorf auf der TV-Alm, als Rapper und vielleicht auch wieder im Kino. Im Herbst sollen die Dreharbeiten zu Macho Man II beginnen, die Fortsetzung eines Klamauk-Filmchens aus den 80er-Jahren – wieder mit René Weller in der titelgebenden Rolle.

Den Vater früh verloren

Und dann erzählt er von seiner Familie, dem Vater, der früh starb und die Boxerfolge seines Sohnes nicht mehr erlebte, von seiner umtriebigen Mutter, die mit Ende 70 noch Halbmarathons läuft und von seinen erwachsenen Kindern aus der Beziehung mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Doris. „Mein Sohn kann nicht boxen, dafür sieht er besser aus als ich“, sagt René Weller bei Kaffee und Pflaumenkuchen. „Mittags esse ich immer süß.“

Dann geht es noch einmal um die Zeit im Gefängnis. Die Frage, wie er die viereinhalb Jahre in Erinnerung behalten hat, beantwortet er mit einem hinter Gittern selbstverfassten und sehr langen Gedicht, das so beginnt:„Nur Verbrecher sind im Gefängnis, sagen die Leute,das ist falsch, dass weiß ich heute.Hier gibt es die schlimmsten Kreaturen,doch auch viele Frohnaturen. Fast alle Gefangenen sagen dir,scheiße, ich bin schuldlos hier. . .“

Die Corvette steht in der Garage

René Weller lacht. „Die meisten Leute haben wahrscheinlich gedacht, dass ich Analphabet bin, und dann werde ich im Gefängnis noch zum Dichter.“ Dann kehrt er noch einmal zurück zum Ausgangspunkt des Gesprächs: „Und, halten Sie mich für ein Arschloch?“ Nein. Er lacht und klatscht sich mit der mehrfach gebrochenen Hand vor Freude auf den Schenkel – und dann seinem Gegenüber. Beschwingt verlässt René Weller das Café, in der Tübinger Straße kommt ihm ein finster dreinschauender Gruft-Punker Anfang 20 entgegen. „Da schau her, der Herr Weller“, sagt er und lächelt plötzlich. René Weller grinst.

„Da hinten steht auch schon unser Auto“, sagt er. Der Wagen passt dann auch nicht ins Bild, das man sich von ihm gemacht hat: Es ist ein nicht mehr ganz neuer grüner Familien-Van. „Keine Sorge“, sagt René Weller beim Einsteigen, „für den Notfall stehen noch eine Corvette und die Harley in der Garage.“