„Die Tagespresse“ mischt mit bissigen Beiträgen die politischen Debatten in Österreich und in der Netzwelt auf. Sie ist der österreichische „Postillon“ – und auch deshalb so erfolgreich, weil die Wirklichkeit selbst oft wie Satire wirkt, findet Jan Georg Plavec.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Wien - Dass die Erzdiözese Wien mit dem Känguru „Keuschi“ Jugendliche von unehelichem Sex abhalten will, klingt absurd. Doch als die österreichische Internetseite dietagespresse.com diese Nachricht im Juli in die Welt setzte und mit Fotomontagen illustrierte, war sie offenbar nicht absurd genug. Jedenfalls gab es genügend Leute, die „Keuschi“ applaudierten oder über verstockte Kirchenpolitiker schimpften. Es war der Durchbruch für „Die Tagespresse“. Das Angebot beschreibt sich selbst als „Österreichs seriöseste Onlinezeitung“. Vor allem ist die Seite das erste – Achtung, Ironie! – ernstzunehmende österreichische Online-Satiremedium.

 

Bis zu 500 000 Besucher im Monat hat die Website, und das, obwohl sie erst Ende Mai online ging. Betrieben wird sie von dem Wiener Fritz Jergitsch. Der 22-Jährige arbeitet in einer PR-Agentur und bezeichnet die Seite als „Hobbyprojekt“ und „Unterhaltungsformat“. Mit seinem Hobby erzeugt er freilich nicht nur Gelächter über die Erzdiözese Wien, über den 79 Jahre alten austro-kanadischen Politik-Quereinsteiger Frank Stronach oder Apple. Den Internetkonzern hat er jüngst mit dem Artikel „Neues iPhone kommt mit vielen Features, dafür ohne Telefon“ bedacht.

Wenn die Wirklichkeit Satire ist

Die Tagespresse ist auch ein Spiegel für Österreichs (Meinungs-)Mächtige und die Öffentlichkeit der Alpenrepublik. Beide bieten reichlich Anlass für Satire, findet der Tagespresse-Autor Jergitsch: „In der österreichischen Politik geht es theatralisch zu und hitziger als in Deutschland. Da kriegt man die Themen am Tablett serviert.“ In der politisierten Medienlandschaft des Nachbarlandes schießt man bei lebhaften Diskussionen schon mal übers Ziel hinaus und kriegt auch dafür noch Applaus von der Anhängerschaft oder wird von der Gegenseite lautstark kritisiert.

Angesichts einer solchen Debattenkultur wirken die satirischen Meldungen der Tagespresse teilweise wie ernst gemeinte Beiträge und werden auch von klassischen Medien zitiert. Die Tagespresse ist da ähnlich erfolgreich wie der Postillon. Die deutsche Website wurde 2013 mit dem Grimme Online Award 2013 ausgezeichnet. Fritz Jergitsch bezeichnet den Postillon als Vorbild für seine Tagespresse. Beide Angebote versuchen, schnell auf aktuelle Ereignisse zu reagieren und den Humor der jeweils netzaffinen Zielgruppe zu treffen.

Den Postillion als Vorbild

Der Tagespresse-Autor Jergitsch hat dafür ein Händchen. Seine Beiträge sind meist auch für Leser verständlich, die sich nicht ausführlich mit den österreichischen Debatten befassen – und sie lassen doch tief blicken. Wenn die Seite meldet, das österreichische Innenministerium schiebe zum fünften Todestag des Rechtspopulisten Jörg Haider fünf Asylbewerber ab, dann ist das nicht nur eine scharfzüngige Anspielung auf die von Haider etablierte und bei der jüngsten Nationalratswahl weiter erstarkte Neue Rechte. Es ist auch eine mit feiner Ironie vorgetragene Kritik am Totenkult um den führerhaft verehrten verblichenen FPÖ-Vorsitzenden. Der Artikel stellt zudem bloß, über welche teils absurden Maßnahmen die österreichische Politik immer wieder (ernsthaft!) diskutiert. „Ich übertreibe natürlich die Diktionen der Politiker“, sagt Fritz Jergitsch.

Dennoch erkennen regelmäßig hinreichend viele Nutzer die Satire nicht als solche. Die dann folgende Erregungskurve ist für das Internet typisch und vor allen Dingen selbst Satire: Erst erhält die Nachricht große Aufmerksamkeit, ohne dass die Masse der Nutzer sie auf Plausibilität prüft; es folgen Empörung oder Gelächter, schließlich Spott über alle, die auf die Falschmeldung hereingefallen sind.

Satiremedien sind für Social Media gemacht und sie beziehen daraus heute einen Großteil ihrer Relevanz. Fritz Jergitsch ist überzeugt, dass er nur dank Facebook und Twitter so schnell so viele Leser gewinnen konnte. Als er etwa Ende Juni auf seiner Seite behauptete, der NSA-Whistleblower Edward Snowden sei in Wien gelandet, dauerte es nur Minuten, bis die Nachricht weltweit die Runde machte. Ein Sprecher des österreichischen Außenministeriums musste klarstellen, dass es sich bei der Meldung nur um einen Witz handelte. Die beste Figur machte bei alledem Fritz Jergitsch. Viel mehr Einfluss kann Satire kaum haben. Allerdings ist es Jergitsch wichtiger, dass seine Leser „Frust ablassen können“ über die österreichische Politik. Die Tagespresse existiert dank Internet unter ganz anderen Bedingungen als Klassiker wie die „Titanic“ früher. Ihr Zweck ist aber derselbe: Kritik üben mit Mitteln, die in einer zunehmend selbst als Satire wahrgenommenen Wirklichkeit verpönt sind.