Im ersten Teil der „Tatort“-Doppelfolge mit Til Schweiger, „Der große Schmerz“, ist Nick Tschiller auf Rettermission, weil Ex-Frau und Tochter entführt wurden. Das Problem: der Hauptdarsteller muss Gefühle zeigen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Ein Nick-Tschiller-„Tatort“ ist kein normaler „Tatort“. „Think big“ lautete von Anfang an die Devise, wie der NDR-Programmdirektor, Frank Beckmann, in einem Statement zur Doppelfolge „Der große Schmerz“ und „Fegefeuer“ betont. Großes Actiondrama, Leichenrekorde und ein LKA-Mann, der den Terminator gibt: so geht Krimi mit Til Schweiger.

 

Til Schweiger, der Schauspieler ist, Regisseur, Diva – und ein so gewiefter wie dünnhäutiger PR-Manager in eigener Sache. Die Doppelfolge wurde wegen der Terroranschläge in Paris von Ende November auf Anfang Januar verschoben, als Zeichen des Respekts vor den Opfern. Aber vielleicht ja auch aus Rezeptionskalkül, so könnte man mutmaßen, womöglich wäre der „Tatort“ damals untergegangen. Die Neuterminierung als Jahresauftakt-Event sichert auf jeden Fall Aufmerksamkeit, rechtzeitig vor dem Start des Kinofilms „Tatort: Off Duty“ im Februar, der als Finale der Krimis angekündigt wurde.

Bei allen anderen „Tatort“-Folgen ermöglicht die ARD Journalisten, die Episoden vorab zu sichten, damit diese Vorschauen und zeitnah Rezensionen veröffentlichen können. Bei der Schweiger-Doppelfolge wurde den Kritikern nun lediglich der erste Teil zur Verfügung gestellt. Bei seinen eigenen Kinofilmen verfährt Schweiger bekanntlich noch restriktiver, da verzichtet er ganz auf Pressevorführungen oder gesteht sie nur ausgewählten Medienvertretern zu. So kann man zu diesem Zeitpunkt nur über den halben Zweiteiler befinden; das ist in etwa so, wie wenn man bei einem Menü mitten im Hauptgang den Teller weggezogen bekommt; auch auf eine Menükarte, die über die weitere Speisenfolge informiert, muss man verzichten.

Handwerklich einwandfreie Actionware

Was also haben der Regisseur Christian Alvart und der Autor Christoph Darnstädt mit dem Film „Der große Schmerz“ kredenzt? Handwerklich einwandfreie Actionware, wobei die Ballerszenen dieses Mal sparsamer dosiert sind; eine zwar abgegriffene, aber spannungsreich konstruierte Entführungs-Erpressungs-Rache-Story und einen miserablen Hauptdarsteller.

Tschiller setzt seinen Clinch mit dem Clanchef Firat Astan (Erdal Yildiz) fort. Der zahlt ihm beim Knastbesuch die lädierte Nase heim und zwingt ihn, ihm bei seiner geplanten Verlegung nach Bayern zur Flucht zu verhelfen. Sein Druckmittel ist effizient: Der Unterweltboss ließ mit Hilfe russischer Handlanger Tschillers Tochter Lenny und dessen Exfrau Isabella (Luna Schweiger, Stefanie Stappenbeck) entführen, angeführt von der Auftragskillerin Leyla (Helene Fischer). Tschiller muss im Alleingang seine Frauen befreien und verpasst es ein weiteres Mal, „einen Pass zu spielen“, wie sein Partner Yalcin Gümer (Fahri Yardim) moniert. Damit zieht Tschiller seine Familie just in dem Moment auf die denkbar schlimmste Art in seine Fehde mit Astan hinein, in dem er sich anschickt, sich Isabella wieder anzunähern und seiner Tochter ein verantwortungsvoller Papa zu sein.

Schwelgen in Erinnerungen

Die Rettermission setzt Alvart in sich stimmig und atmosphärisch dicht in Szene, mit Herzschlag-Sound und düster-schönen Bildern von Hamburg bei Nacht und Hafenlichtern. So vergisst man gern, dass der Plot in seiner Wirklichkeitsferne märchenhafte Züge hat – Plausibilität war für gute Action noch nie ein Kriterium. Dass sich etwa die beiden entführten Frauen selbst befreien können und mitten in den Showdown geraten: geschenkt. Dass der Autor Darnstädt aber Töchterchen Lenny just in diesem Moment höchster Lebensgefahr Gümer gleich zweimal naiv fragen darf: „Wo ist Papa?“, das ist ärgerlich, genauso wie das klischeehafte Schwelgen in Familienerinnerungen von Mutter und Tochter, als sie noch in Geiselhaft waren.

Das ist aber nicht die größte Schwäche dieses Spektakels. Die ist der Schauspieler Til Schweiger, den diese Mischung aus Action und Familientragödie zwingt, extreme Gefühle zu zeigen. Doch für Wut, Verzweiflung, Schmerz, Trauer hat Schweiger keine Nuancen parat: Wenn’s hart kommt, kaut er auf der Unterlippe, wenn er seine Tochter tot wähnt, brüllt er wie ein verletztes Tier in die Nacht, und am Totenbett seiner Exfrau im Krankenhaus jammert er weinerlich völlig deplatzierte Worte: „Ich hab’s verbockt.“ Und so reißt er mit seinem schlichten Spiel jede noch so gut gebaute Spannung und Atmosphäre wieder ein.

Der Kollege als Lachnummer

Enttäuschend auch Fahrt Yardims Figur Yalcin Gümer. Dieser Gümer war mal als subtil komischer Side-Kick zu Nick Tschillers Macho-Gehabe angelegt, verkommt aber jetzt zur Lachnummer, wenn das Drehbuch ihn ständig Selbstgespräche führen lässt und seinen Hamburg-Slang maßlos übertreibt.

Eine gelungene Überraschung hingegen ist in diesem „Tatort“ Helene Fischer. Es ist nicht viel Dialog, den Darnstädt dem Gaststar ins Skript geschrieben hat, doch die wenigen Sätze, mit denen sie mit schönstem russischen Akzent ihren beiden Gefangenen mal kurz die Meinung sagt, sitzen: „Ich bin hart und grausam – musst du sein für Überleben.“ Dummerweise stirbt sie am Schluss, und die Fortsetzung „Fegefeuer“, die am Sonntag, 3. Januar, gezeigt wird, muss ohne die rätselhafte Eisprinzessin mit den grünen Augen auskommen.