Margit Cianelli hat in der Stuttgarter Wilhelma Tierpflegerin gelernt, dann ist sie nach Australien ausgewandert. In ihrer Lodge kümmert sie sich um kranke und hilflose Kängurus.

Stuttgart - Freudestrahlend zeigt Margit Cianelli die Bilder: Kimberley ist nach Hause gekommen, und zwar mit Nachwuchs. Nein, Kimberley ist nicht ihre Tochter, sondern ein Baumkänguru-Weibchen, das Margit Cianelli großgezogen hat. Nun ist die frisch gebackene Tiermutter mit einem winzigen Baby im Beutel in ihr Aufzugsdomizil zurückgekehrt. Offensichtlich sucht sie hier Sicherheit – und vielleicht auch die Nähe ihrer menschlichen Pflegemutter. Doch auf die muss sie noch ein bisschen warten: Margit Cianelli ist in Deutschland auf Familienbesuch.

 

Auch in die Wilhelma ist sie gekommen, um in ihrer lebhaften Art anschaulich und mit vielen Fotos über ihre Arbeit mit verletzten und verwaisten Tieren in Australien zu berichten. Zu dem Stuttgarter Zoo hat sie bis heute einen guten Kontakt. Hier hatte sie 1967 mit 17 Jahren eine Lehre als Tierpflegerin begonnen – „mit großer Begeisterung“, wie sie betont. Besonders aufregend fand sie die Arbeit in der Krankenstation. Und auch die Aufzucht von Tierwaisen oder Tierbabys, die von der Mutter nicht angenommen wurden, faszinierte sie: „Ob Nandu, Warzenschwein oder Affe – da habe ich viel gelernt.“

Lange hielt es Margit Cianelli allerdings nicht in Stuttgart aus. 1972 folgte sie ihrem damaligen Freund und Vater ihrer beiden – mittlerweile erwachsenen – Kinder nach Australien. Der ehemalige Wilhelma-Tierpfleger arbeitete Down Under in einem Zoo und hatte in der Nähe der nordostaustralischen Stadt Cairns, mitten im Regenwald, ein großes Grundstück erworben. „Aus Naturschutzgründen“, wie Margit Cianelli betont, denn der Regenwald dort sollte abgeholzt werden. In dieser „wegen der sehr großen Artenvielfalt für Naturliebhaber wirklich aufregenden Gegend“ steht auf dem Grundstück im Atherton-Table-Land ihr Haus. Drum herum breiten sich 75 Hektar Regenwald aus, in dem viele Tiere leben und wo in einer Art Abenteurgehege gerettete Baumkängurukinder das Klettern erlernen. Über einen Baum können ehemalige Hausbewohner wie Kimberley direkt vom Wald ins Wohnzimmer klettern.

Auch wenn sie schon viel gemacht hat in ihrem Leben – ihrem Beruf ist Margit Cianelli stets irgendwie treu geblieben. Von Anfang an hat sie immer wieder kranke oder verletzte Tiere gepflegt, die man zu ihr brachte. Und das mit Erfolg – was für einen langsam, aber stetig wachsenden Bekanntheitsgrad sorgte. Die Liste der von ihr gesund gepflegten australischen Tierarten ist dabei immer länger geworden: vom Schnabeligel – „die liebe ich über alles, sie sind sehr schlau“ – über Regenwaldpossums bis zum seltenen Tüpfelbeutelmarder.

Spezialbehandlung für Tierbabys

Ihre besondere Zuneigung gilt allerdings den Baumkängurus, einer Art, mit der es kaum Erfahrungen bei der Haltung, geschweige denn bei der Rehabilitation verletzter Tiere gab. Und erst recht nicht bei der Aufzucht eines Jungtiers, das noch im Beutel der Mutter lebt – von den Australiern liebevoll Joey genannt.

Solche hilflosen Babys werden immer wieder gefunden, und zwar im Beutel überfahrener Baumkänguru-Weibchen. Während die Mutter dabei meist tödlich verletzt wird, hat das Junge im Beutel eine gute Überlebenschance – vorausgesetzt, es wird richtig gepflegt und gefüttert. Gerade bei Baumkängurus aber ist dies äußerst schwierig. Das musste auch Margit Cianelli feststellen, als sie Arnie bekam. Zwar wuchs dieses erste Baumkänguru-Findelkind, das gerade einmal 110 Gramm wog, dank Spezialmilch und intensiver Pflege zunächst prächtig heran. Doch dann starb Arnie, als er bereits vier Kilo wog, nachdem er selbst im Wald auf Nahrungssuche gegangen war. Aber warum nur?

Im Gespräch berichtet die zur Aufzuchtspezialistin gewordene Tierpflegerin gerne, warum sie bei ihren nächsten Baumkänguru-Zöglingen mehr Erfolg hatte. „Ich hatte unter anderem festgestellt, dass die jungen Tiere versuchten, an meinem Mund herumzulecken.“ Aus dieser Beobachtung schloss sie, dass ganz junge Tierbabys auf diese Weise womöglich Bakterien oder winzige, einzellige Tiere von der Mutter erhalten, die im noch jungen Darm für die Verdauung der Blätter unerlässlich sind. Und so impfte die menschliche Pflegemutter die Joeys mit dem Mageninhalt eines überfahrenen erwachsenen Tiers.

Auch wenn manche Tierärzte und Biologen skeptisch sind, in der Praxis hilft diese Spezialbehandlung offenbar. Kimberley ist jedenfalls ein augenfälliger Beweis für den Erfolg dieser Aufzuchtmethode. Auch eine ganze Reihe weiterer Baumkänguru-Waisen verdanken Margit Cianelli ihr Leben, darunter Geoffrey. Nachdem er groß und stark geworden war, lebte er elf Jahre lang im Wald rund um das Haus – nachdem er nach heftigen Kämpfen das Männchen vertrieben hatte, das vorher dort gelebt hatte. Doch Geoffrey kam immer wieder zu Besuch in sein altes Pflegeheim und freute sich, wenn er auf seiner Ziehmutter herumklettern und an den Süßkartoffeln im Haus naschen konnte – wobei er auf eine solche Zusatzkost keineswegs angewiesen war. „Doch dann wurde er leider Opfer einer Hundeattacke oder vielleicht auch eines Dingos, eines australischen Wildhunds“, bedauert seine Pflegemutter.

Reiseziel für Naturliebhaber

Viele Fotos und Filme belegen das muntere Leben in dem Lumholtz-Lodge getauften Haus – nach dem dort vorkommenden Lumholtz-Baumkänguru. „Nein, langweilig ist es mir nie“, sagt Margit Cianelli lachend. Und sie erzählt, wie aufwendig es sei, Baumkängurukinder großzuziehen: „Mit dem regelmäßigen Schoppen geben ist es da nicht getan.“ Als Ersatz für den Beutel trägt sie die Babys in der Bluse mit sich herum, damit sie die Nähe der „Mutter“ fühlen – und damit sie unter fürsorglicher Aufsicht sind.

Später muss sie mit den heranwachsenden Tierkindern das Leben in freier Wildbahn trainieren. Dazu wird zunächst auf einem Abenteuergehege mit Bäumen, Strickleiter, Hängematte und Ästen geübt. Anschließend geht es in den Regenwald hinter der Lodge. Die Kletterbäume dürfen aber nicht zu hoch sein. „Sobald man ihren Schwanz nicht mehr erreichen kann, sind sie weg – und runter kommen ist viel schwerer als hoch“, weiß Margit Cianelli.

Manche Rettungsaktion ist recht kostspielig, vor allem wenn kranke oder verletzte Kängurus zu versorgen sind. Immerhin: „Die Tierärzte behandeln meine Pfleglinge umsonst, nur Medikamente, Röntgenbilder und Blutuntersuchungen müssen bezahlt werden“, erzählt sie.

So ist die Lumholtz Lodge im Laufe der Jahre ein bisschen zu einer Art Tierpflegestation geworden. Das, aber vor allem auch die beeindruckende Artenvielfalt in den verschiedenen Waldarten des dortigen Tafellands fasziniert mittlerweile Besucher aus aller Welt, denn Margit Cianelli hat ihr Haus für Bett-und-Frühstück-Gäste geöffnet. Das Angebot wird auch gerne von deutschen Naturliebhabern angenommen, die den dortigen Regenwald mit Possums, kleinen Kängurus – den Wallabys – und zahlreichen Vogelarten sowie den vielen unterschiedlichen Pflanzen erkunden wollen.

Auch die Wilhelma profitiert von dem großen Waldstück rund um die Lodge. Dort sammelt die Hausherrin nämlich immer mal wieder Früchte und Samen und schickt sie nach Stuttgart an den zoologisch-botanischen Garten – was den dortigen Botaniker Björn Schäfer sehr freut: „Wir säen die Samen dann aus und zeigen die Pflanzen in unseren australischen Landschaften.“