Junge Journalisten probieren sich aus: Snapchat feiert die Flüchtigkeit, die Zeitung geht in die Tiefe. Beides übt einen Reiz auf die Jugendlichen aus. Ein Werkstattbericht. Carola Stadtmüller

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Stuttgart - Nach drei Sekunden ist der Bildschirm des Handys schwarz. Der eben gesendete Schnappschuss ist weg. „Das Gute ist, dass nichts davon bleibt.“ Oliver Hahn, ein Schüler der Stuttgarter Akademie für Kommunikation (AfK), beschreibt die visuelle Kommunikationsplattform Snapchat. Üblicherweise verschwinden Fotos, die man damit an seine Freunde sendet, nach drei Sekunden. Die Flüchtigkeit, nicht die Ewigkeit ist es, die ihn und seine Mitschüler fasziniert. „Ich bin im Moment des Erlebens dabei, überall, ich kann fast sogar die Stimmung fühlen“, meint Peter Prün, er hat in der Stuttgarter Privatschule den Schwerpunkt auf den Fachbereich Kunst gelegt.

 

An diesem Tag wollen die Schüler aber etwas anderes, als die Vergänglichkeit des Augenblicks in Fotos an Freude zu zelebrieren: Sie wollen journalistisch mit Snapchat arbeiten. Alle, die an diesem Tag die AfK beobachten, sind live dabei auf der Reportagereise der Schüler durch Stuttgart: Sie haben ihre Lieblingsorte in Bildern und kleinen Textsequenzen festgehalten und das Ganze zu einer Snapchat-Story zusammengebastelt. Eben eine Geschichte, wie der Name sagt. Und die Snapchat-Story ist immerhin 24 Stunden lang zu sehen. Beginn ist um kurz nach 8 Uhr am Morgen im Hallschlag, na klar, da steht die Akademie und da fängt sonst der Schultag an. Begrüßt werden die Freunde, also diejenigen, die der Bildergeschichte folgen, von einer strahlenden Grete Eckardt vor dem Schulgebäude, dann geht es auf den Friedhof.

„Nichtlesen ist einfach geworden“

„Die Snaps sehen viele Freunde, man teilt seine Gefühle in Fotos mit“, sagt Hanna Ilg. „Während der Stressphase vor den Abiprüfungen zum Beispiel gibt es viele Snaps mit genervten Gesichtern“, erklärt Christina Ness. Geteilte Freude, geteiltes Leid, so wächst die Gemeinschaft in Fotos zusammen. Texte zu lesen sei deutlich anstrengender, sagt Claus Kullak, der an der Akademie unter anderem Literatur lehrt. Und der Elftklässler Oliver Hahn sagt: „Nichtlesen ist so einfach geworden.“

Nein, morbide sind die Snaps vom Pragfriedhof nicht, eher freundlich, und man versteht, warum er ein Lieblingsort ist. Dann aber begreift sogar ein „Old-school-Laie“ die Qualität von Snapchat: Am Fernsehturm drehen Jonathan Fritz und Grete Eckhardt ihre Fahrt nach oben, zeigen den Ausblick von Stuttgarts Wahrzeichen und kommentieren währenddessen ihren Blick, ihre Gedanken und die Suche der Schule von oben. Es stellt sich tatsächlich ein Gefühl von „Dabeisein“ ein: Die Handykamera wackelt, man fährt im Aufzug mit, und der Wind auf der Aussichtsplattform weht einem um die Nase. Hier geht es nicht um eine journalistische Analyse, nicht um eine konzipierte Reportage, sondern um das unmittelbare Erleben.

Von der Smoothiebar im Fluxus

„Eine Tageszeitung hat was Festes, da lese ich gute Meinungen. Ich finde, das muss schon sein“, sagt Oliver Hahn über seinen eigenen Medienkonsum. Und er finde es wichtig, dass „Artikel einen Korrekturvorgang“ durchlaufen – im Gegensatz zu Facebook und sozialen Medien allgemein. Dann kommt die Diskussion in der Stuttgarter Kostbar, auch einem Lieblingsort, in Fahrt. „Dass auf Facebook oder in anderen Plattformen auch mal Quatsch stehen darf, das empfinde ich aber auch als Teil der Meinungsfreiheit“, ergänzt Jonathan Fritz. „Die Menschen sind schuld, wenn sie sich nicht informieren. Das ist nicht die Schuld des Internets.“ Es gebe Grenzen, sagen viele. Hanna Ilg: „Egal, welche Meinung man hat, man findet im Netz Leute, die diese noch so absurde Meinung teilen. Dort hat keiner Scheu.“

Zurück bei Snapchat: Neben der Buchhandlung Wittwer, der Akademie der Künste und der Kostbar geht es unter anderem ins Fluxus, schick shoppen. „Da ist ’ne tolle Lampe“, sagt Hanna Ilg, Christina Ness findet ein anderes Schaufester attraktiver. Schnelle Blicke, schnelle Eindrücke – schnell entscheiden, was gefilmt und damit ja letztlich auch „gelikt“ wird. Die neue Smoothie-Bar im Fluxus erlaubt den Schülerinnen sofort, Snaps zu schießen, schließlich folgt die potenzielle Zielgruppe „jung, dynamisch, hipp“ der Story auf Snapchat und schaut vielleicht am nächsten Tag zur Shoperöffnung rein.