Vor einigen Jahren wollte die Stadt sie noch schließen, doch jetzt ist die Heidelberger Waldparkschule in der Endrunde des Deutschen Schulpreises 2017. Zu Besuch in einer einstigen Brennpunktschule.

Heidelberg - Der Hinweis an der Eingangstür zur Heidelberger Waldparkschule ist dezent, aber nicht zu übersehen. „Liebe Schülerinnen und Schüler“, steht da, „in der Schule setzten wir keine Mützen und Caps auf – wir sehen auch so toll aus!“. Ein lustiges Strichmännchen veranschaulicht die kurze Kleiderordnung. Kapuzen werden darin zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber auch sie sind in der Gemeinschaftsschule auf dem Boxberg, einem der kleinsten und grünsten Heidelberger Stadtteile, längst passé.

 

„Das haben wir in der SMV schon vor ein paar Jahren besprochen und gesagt, das wollen wir nicht mehr“, sagt der Schulleiter Thilo Engelhardt. „Wir Lehrer erkennen die Schüler sonst ja gar nicht, wenn wir sie treffen, und wir möchten doch alle offen wahrgenommen werden: Wir begegnen den Schülern respektvoll, und das wollen wir auch umgekehrt.“ Früher hat das wohl nicht immer geklappt. Noch vor einigen Jahren galt die Schule der Waldparksiedlung im Heidelberger Süden als Problemfall. „Hier ging jede Woche irgendwo eine Scheibe zu Bruch, die Polizei war da, es gab Vandalismus, Schulschwänzer“, beschreibt Engelhardt die Situation.

Das Rathaus wollte die Schule am liebsten dichtmachen

Schwierigkeiten machten auf dem idyllisch am Waldrand gelegenen Boxberg vor allem Jugendliche aus dem Nachbarstadtteil Emmertsgrund, der – in den 1970er Jahren als Modellvorhaben der Neuen Heimat errichtet – bis heute wegen seiner teils stark verdichteten Bauweise und des hohen Ausländeranteils immer wieder einmal Negativschlagzeilen liefert. Mehr und mehr Eltern hatten in der Folge ihre Kinder in andere weiterführende Schulen der Stadt geschickt. Im Rathaus wollte man angesichts der stark sinkenden Schülerzahlen die Schule auf dem Berg schon 2009 am liebsten ab Klasse fünf ganz dichtmachen.

Doch das ist Schnee von gestern. Seit Kurzem darf sich die einstige Brennpunktschule sogar zu den besten bundesweit zählen: Zusammen mit 14 weiterführenden Schulen aus ganz Deutschland und Übersee ist sie in diesem Frühjahr – als einzige aus Baden-Württemberg – für das Finale des Deutschen Schulpreises 2017 nominiert worden, der höchstdotierten derartigen Auszeichnung in Deutschland. 100 000 Euro erhält der Sieger; doch auch wer nicht ganz vorn landet, darf noch mit 5000 Euro rechnen, insgesamt werden 250 000 Euro an die Finalisten verteilt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird die Preise am 29. Mai in Berlin überreichen. Die Spannung ist groß. Ob sie ganz vorn dabei sein werden? „Ich hoffe es“, sagt Marjan aus der 8 b. „Wir hatten uns beworben, in der Hoffnung auf zusätzliche Fortbildungsangebote und eine Rückmeldung von Experten für unsere weitere Entwicklung“, erklärt der Schulleiter. „Wir haben schon jetzt gewonnen und fühlen uns reich beschenkt.“ Zusammen mit seinem Team hatte er sich seit 2009 gegen die Schließungsabsichten der Stadt gestemmt. „Wir waren überzeugt, wir haben tolle Voraussetzungen: Ein Gespür für Kinder, ein großzügiges Gebäude, wir sind nah an der Natur.“ Die Stadt sei dennoch lange skeptisch gewesen. Erst mit dem Regierungswechsel zu Grün-rot 2011 und der Einführung der mancherorts noch immer umstrittenen Gemeinschaftsschule kam auch in Heidelberg die Wende. 2012 habe schließlich auch die Stadt die Umwandlung beschlossen, berichtet Engelhardt.

Die Schule hat nun ein künstlerisches Profil

Fünf Jahre sind seitdem vergangen. Die Schule hat sich ein künstlerisches Profil gegeben, Skulpturen, Bilder und Mobiles, die regelmäßig gewechselt werden, schmücken Höfe und Wände. „Seither haben wir keine größeren Vandalismusprobleme mehr“, sagt Engelhardt. Zwei Schulhunde kommen mehrmals in der Woche, sie belohnen gute Leistungen mit kleinen Kunststücken; es gibt Projekte, bei denen sich die Schüler präsentieren können, und ein wöchentliches Coaching mit einem festen Lehrer für jeden. Unterricht und Lernzeiten sind gut geplant, jeder hat im Klassenzimmer seinen festen Arbeitsplatz, an dem er sein Lernmaterial lassen kann. „Schule braucht Struktur – und ich glaube, wir sind extrem strukturiert“, sagt Engelhardt. „Das gibt uns die Freiheiten, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen, und hilft uns dabei, gut durch den Tag zu kommen.“

Seine Schülerinnen und Schüler sehen das offenbar genauso. „Es läuft hier alles sehr ruhig, die Atmosphäre ist familiär, es gibt längst nicht so viel Stress wie in meiner früheren Schule“, sagt Marjan. „Man kriegt immer Hilfe, kann immer fragen, wenn man etwas nicht verstanden hat“, sagt ihr Klassenkamerad Maximilian. Sie kommen gern in die Schule, das versichern alle, die man anspricht. Das ist auch den Juroren des Schulpreises nicht entgangen. „Das Schulklima ist exzellent“, lobte einer von ihnen begeistert: „Alle begegnen sich auf Augenhöhe; mir ist das Herz aufgegangen.“

Rückenwind für die neue Schulart

Der Deutsche Schulpreis ist mit insgesamt 250 000 Euro dotiert und wird seit 2006 jährlich von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehofstiftung vergeben. Bewertet werden unter anderem Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität und das Schulleben. Bewerben können sich Schulen aus allen Bundesländern und deutsche Auslandschulen. Aus Baden-Württemberg haben sich dieses Jahr zwölf Schulen beworben, die Gemeinschaftsschule aus Heidelberg ist als einzige in die Endrunde gekommen. Sie war 2012 aus einer Werkrealschule hervorgegangen und erfreut sich seither wachsenden Zuspruchs; bereits die Nominierung für den Preis bescherte ihr viel Lob und eine steigende Nachfrage. Seit dem Start der mancherorts noch immer umstrittenen neuen Schulart Gemeinschaftsschule, deren Ziel es ist, Schüler aller Leistungsniveaus gemeinsam zu unterrichten, sind in Baden-Württemberg 299 neue Gemeinschaftsschulen eingerichtet worden. Im nächsten Schuljahr sollen noch fünf weitere hinzukommen. Damit ist nach Angaben des Kultusministeriums die Nachfrage weitgehend gedeckt. joe