Kaum ein Printprodukt ist so erfolgreich wie „Die Zeit“. Anfang dieses Monats wagte der Verlag einen weiteren Schritt: Im Großraum Hamburg liegt der „Zeit“ ein Lokalteil bei. Doch ihr neuer Hamburg-Teil überzeugt nicht alle.

Stuttgart - Printmedien haben derzeit einen schweren Stand. Die Münchner „Abendzeitung“ hat kürzlich Insolvenz angemeldet. Die „Westdeutsche Zeitung“ in Düsseldorf gibt ihren überregionalen Teil auf und entlässt die Hälfte der Redaktion. Die meisten Tageszeitungen leiden unter einem Rückgang der Auflage und des Anzeigenaufkommens. Nur ein gedrucktes Medium zeigt sich von den Stürmen der Branche unbeeindruckt: Die Wochenzeitung „Die Zeit“ aus Hamburg hat ihre Auflage über die vergangenen Jahre stetig ausgebaut. Im vierten Halbjahr 2013 lag sie bei rund 517 000 Exemplaren. Es war das beste vierte Quartal in ihrer Geschichte.

 

Dieser Erfolg ist umso erstaunlicher, als „Die Zeit“ Mitte der neunziger Jahre, also vor der derzeitigen Medienkrise, von vielen Experten schon einmal abgeschrieben worden war. Damals galt das Blatt trotz des Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt als prominentem Herausgeber und so profilierter Autoren wie Marion Gräfin Dönhoff als verschlafene, etwas selbstgefällig Lektüre für Bildungsbürger. Zudem setzen auch die großen Tageszeitungen auf längere analytische Artikel. Die Zeit der Wochenzeitungen schien abgelaufen. Unter den Chefredakteuren Roger de Weck und vor allem Giovanni di Lorenzo, der die Position seit rund zehn Jahren innehat, gelang jedoch die Wende. „Die Zeit“ modernisierte ihren Auftritt. Die Artikelwüsten verschwanden, der Ton wurde frischer. Die Wochenzeitung entwickelte sich zum führenden Intellektuellenmedium der Republik. Zugleich gelang es dem zur Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe gehörenden Verlag, die Marke für zusätzliche Geschäfte zu nutzen: anfangs für Bucheditionen, inzwischen vor allem für Bildungsangebote und Konferenzen.

„Für Hamburger, die wissen, was sie an ihrer Stadt haben“

Doch auch in Print wird weiter investiert. Anfang dieses Monats wagte der Verlag einen weiteren Schritt: Im Großraum Hamburg liegt der „Zeit“ ein Lokalteil bei. Statt um Ukrainekrise und Europapolitik kümmern sich sechs neu eingestellte Redakteure um neue U-Bahn-Linien, Ausstellungstipps für die Hansestadt und die lokale Drogeriekette Budnikowski. Leser, die sich nicht für jede örtliche Kleinigkeit interessieren, sollen einmal in der Woche einen Überblick über das lokale Geschehen bekommen. Der Chefredakteur Giovanni di Lorenzo formulierte den Anspruch so: „Es soll ein Blatt werden für Hamburger, die wissen, was sie an ihrer Stadt haben, aber die nicht ständig vorgetrötet bekommen müssen, dass sie in der schönsten Stadt der Welt leben.” Erfolgreiche Lokal- oder Regionalteile der „Zeit“ gibt es bereits für die ostdeutschen Bundesländer, für Österreich und die Schweiz.

Verschnupft reagierte der Springer Verlag auf die neuerliche Ausweitung der Berichtszone. Er kündigte dem „Zeit“-Verlag den Vertrag über den Vertrieb durch seine Austräger. Schließlich hat die „Welt am Sonntag“ aus dem Hause Axel Springer ebenfalls einen Lokalteil. Die lokale Tageszeitung „Abendblatt“ hat Springer Mitte 2013 an die Essener Funke-Gruppe („WAZ“) verkauft. Die mehr als 30 000 Hamburger „Zeit“-Abonnenten bekommen ihr Blatt in Zukunft mit der Post.

Der Journalismusforscher Michael Haller, Direktor des Instituts für praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung, ist vom neuen Lokalteil noch nicht überzeugt: „Dieses Angebot hat das Orientierungsbedürfnis der Zielgruppe noch nicht ‚verstanden‘“, sagt er. Grundsätzlich zeigt Haller Respekt für die journalistische Positionierung der Wochenzeitung. „,Die Zeit’ hat gelernt, wie man als Wochenmedium aktuelle Vorgänge und Ereignisthemen mit der Sicht, den Denkweisen, den Problemerfahrungen ihrer Leserschaften verknüpft – und zwar mit einem diskursiven Ton und einer grundliberalen Haltung“, erläutert der Medienwissenschaftler. „Sie tut dies mit ausreichender Sachkompetenz und guter Vermittlungskompetenz. Mitunter rutscht sie knapp an die Grenze des Trivial-Populistischen, ohne diese zu überschreiten.“