Der Ruf nach mehr Volksabstimmungen wird immer lauter. Die grüne Europapolitikerin Rebecca Harms sieht diese Entwicklung sehr skeptisch.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Rebecca Harms ist ziemlich zufrieden mit der deutschen Demokratie. „Deutschland ist ein sehr gutes Modell für die repräsentative Demokratie“, sagt die Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. Es herrsche Gewaltenteilung, und die Aufgaben seien zwischen Bund, Ländern und Kommunen sehr gut verteilt. Aus diesem Grund kann sie die immer lauter werdenden Rufe nach mehr Volksabstimmungen nicht in allen Fällen nachvollziehen. Harms: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir das wirklich brauchen.“

 

Kritik an der Wahlmüdigkeit

Wahlen seien auch eine Art der direkten Demokratie, erklärt die Grünen-Politikerin, weshalb sie enttäuscht ist, dass die Wahlbeteiligung in vielen Fällen stetig sinkt. Man könne nicht auf der einen Seite mehr politische Beteiligung wünschen, um dann am Wahltag zu Hause zu bleiben. Das passe für sie nicht zusammen, sagt Harms, die im Literaturhaus Stuttgart am Samstag an einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung über die Zukunft von Demokratie und Parteien teilnimmt. „Dem Bürger muss klar sein: Wer nicht wählt, der vergibt sein Recht auf demokratische Gestaltung“, erklärt die Europapolitikerin.

Nicht nur Sieger nach den Referenden

Auch warnt sie vor der Vorstellung, dass direkte Demokratie nur Sieger produziere. Als Beispiel dient ihr das umstrittene Projekt Stuttgart 21. „Es hat eine Volksabstimmung gegeben, doch nun stellen die S-21-Gegner genau diese Abstimmung infrage.“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann hätten sich sicher auch sehr gut ein anderes Ergebnis vorstellen können, sagt sie, „aber man muss auch in diesem Fall akzeptieren, wenn man verloren hat“. Ihr Fazit: „Wir dürfen nicht dem Reflex erliegen, immer zu sagen, dass direkte Demokratie besser ist als die repräsentative Demokratie.“ Gerade auf europäischer Ebene habe sich gezeigt, dass die indirekte Beteiligung an der Macht viel Gutes hervorgebracht habe. „Alles, was wir an großen Errungenschaften in der EU erreicht haben, wäre über direkte Demokratie nicht möglich gewesen“, gibt Rebecca Harms zu bedenken. Schon aus diesem Grund zähle sie zu den Verteidigerinnen der repräsentativen Demokratie.