Der Dieselmotor ist in der Defensive – obwohl er eigentlich gebraucht wird, um immer ehrgeizigere Abgasziele zu erreichen. Das könnte die Chance für einen schnelleren Durchbruch rein elektrischer Antriebe sein.

Stuttgart - Die deutschen Autohersteller sind beim Diesel Weltspitze. Umso größer wird der Schaden sein, wenn das Abgasproblem der Selbstzünder nicht überzeugend gelöst werden kann. Die Unternehmensberatung Roland Berger rechnet mit steigenden Kosten für die Abgasnachbehandlung von Dieselmotoren und erwartet, dass „der Preisabstand zum Benzinmotor weiter steigen wird“. Auch Michael Bargende, Inhaber des Lehrstuhls für Fahrzeugantriebe am Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrzeugwesen der Uni Stuttgart, ist der Meinung „dass die Abgasreinigung beim Diesel immer aufwendiger und teurer wird“. Für bessere Abgasreinigungsanlagen rechnen Fachleute mit Mehrkosten von mindestens 1000 Euro pro Auto. Damit würde sich der Preisnachteil von Hybridautos, die Benzin- und Elektromotor kombinieren, und von Elektroautos reduzieren.

 

BMW-Chef Harald Krüger sagt es ganz offen: „Irgendwann ist es nicht mehr wirtschaftlich, den Dieselantrieb immer weiter an die Anforderungen einer zunehmend ambitionierten Gesetzgebung anzupassen.“ Der Daimler-Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche meint, die Abgasreinigung stoße „allmählich an physikalische Grenzen“ und der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umwelt- und Energietechnik, Martin Faulstich, sagt: „Verbrennungsmotoren sind im Grunde zu Ende entwickelt. Wenn es um Klima- und Gesundheitsschutz geht, gibt es nur eine Möglichkeit: Elektromobilität“.

Als erster Schritt kündigt sich die Elektrifizierung des Antriebs mit der 48-Volt-Technologie an. Damit wird das Start-Stop-System aufgerüstet. Beim Anfahren beschleunigt zusätzlich ein kleiner Elektromotor, bei höherer Geschwindigkeit lässt sich spritsparend segeln und beim Bremsen wird Strom zurückgespeist. Eine Lithium-Ionen-Batterie mit einer Leistung von 0,5 kWh braucht wenig Platz und ist vergleichsweise billig. Dieses Mild-Hybrid-System spart immerhin rund 20 Prozent Treibstoff. So wird das Leistungs- und Verbrauchsniveau eines Dieselmotors erreicht und das zu viel niedrigeren Kosten. Das Mild-Hybrid-System, das Bosch und Conti schon angekündigt haben, kostet vermutlich knapp 1000 Euro. Nachteil: es wird erst 2017 verfügbar sein.

Audi setzt auf einen Elektro-Geländewagen

Audi-Chef Rupert Stadler will angesichts des Dieselskandals mit „wesentlich mehr Elektromobilität“ in die Offensive kommen. Auf der Betriebsversammlung Ende Oktober sagte er: „Die Dieselaffäre befeuert unsere Pläne. Wir machen jetzt richtig Tempo“. So werde aus einem Riesenproblem eine Riesenchance. Audi werde 2018 einen rein elektrisch angetriebenen Geländewagen und kurz darauf weitere rein elektrische Autos auf den Markt bringen. Der Geländewagen wurde als Studie Audi e-tron quattro concept schon auf der IAA in Frankfurt präsentiert. Drei Elektromotoren treiben ihn an – einer an der Vorder-, zwei an der Hinterachse. Zusammen leisten sie satte 435 PS. In 4,6 Sekunden erreicht er Tempo 100. Die Lithium-Ionen Batterien sollen mehr als 500 km Reichweite ermöglichen.

Die Konzerntochter Porsche hat auf der IAA die Studie Mission E präsentiert. Zwei Elektromotoren mit mehr als 600 PS beschleunigen in weniger als 3,5 Sekunden auf Tempo 100. Nach Angaben von Porsche kann die Mission E mit einer Batterieladung über 500 km fahren; Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h. Porsche setzt auf die 800-Volt-Technik, die es ermöglicht, leichtere Kupferkabel einzusetzen und die Batterie im Turbo-Tempo binnen 15 Minuten zu 80 Prozent zu laden. Bei der letzten Sitzung im Dezember hat der Porsche-Aufsichtsrat grünes Licht für das Projekt gegeben. Der viertürige Sportwagen aus Zuffenhausen wird 2019 auf den Markt kommen und wahrscheinlich 100 000 Euro kosten.

Die Mission E ist erst der Anfang. Wie zu hören ist, will Porsche zwischen 2020 und 2025 mehrere reine Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Porsche-Chef Oliver Blume ist der Meinung: „Die herkömmlichen Verbrennungsmotoren stoßen vor allem schadstofftechnisch an Grenzen, die von den Gesetzgebern in den globalen Märkten immer restriktiver definiert werden.“ Der Porsche-Chef glaubt: „Langfristig gehört die Zukunft den Elektroantrieben.“

VW-Chef Matthias Müller hat bereits eine Elektro-Offensive angekündigt: bis 2020 will der Konzern 20 zusätzliche Elektro- und Plug-in-Hybrid-Modelle auf den Markt bringen. Deshalb arbeitet VW an einem Modularen Elektrifizierungsbaukasten – kurz MEB. Der Kleinwagen Up ist schon als E-Auto zu haben, ebenso wie der Golf. Der VW Bulli soll 2019 als Elektrotransporter auferstehen, und auch die Oberklasse-Limousine Phaeton wird dann rein elektrisch vorfahren.

Daimler plant Reichweiten von bis zu 500 Kilometern

Auch Daimler ist vollelektrisch unterwegs. Smart und B-Klasse fahren aktuell mit Elektroantrieb und auch an ein größeres Modell wird gedacht. Entwicklungschef Thomas Weber bestätigt, dass Daimler ein Auto bauen wird „mit elektrischer Reichweite zwischen 400 und 500 Kilometern, und es wird bald kommen, in zwei bis drei Jahren, und es wird ein emotionales, cooles Auto“. Das deutet eher auf eine Geländewagen-Variante à la GLC als auf eine Limousine hin. Auf Basis des GLC soll es nach Webers Angaben im Übrigen auch ein Brennstoffzellenauto geben.

Bis die vollelektrische Offensive der deutschen Hersteller greift, muss der Plug-in-Hybrid das Problem mit den Grenzwerten lösen. Nach Einschätzung von Audi-Mann Stadler ist das an der Steckdose aufladbare Hybridmobil die Brückentechnologie zum reinen Elektroauto. Für Thomas Weber ist der Plug-in die Zukunftstechnologie für große Fahrzeuge; beim Stadtauto setzt er auf den reinen Elektroantrieb. Daimler startet deshalb eine Offensive, um fast alle Baureihen an die Steckdose zu bekommen. Bis 2017 will Mercedes zehn Hybridmodelle anbieten.

Bleibt freilich die Frage, ob der mit großem Aufwand entwickelte Plug-in-Hybrid zu den Technologien von morgen zählt. BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich erwartet zwar „ eine Kostenhalbierung bei den Plug-in-Hybridantrieben innerhalb der nächsten zehn Jahre – das ist das Mindeste“. Doch dann bleibt immer noch das spritfressende Übergewicht der zwei Antriebe. Mehr Ballast bedeutet Mehrverbrauch und mehr Technik treibt die Kosten. Der Plug-in-Hybrid Golf kostet beispielsweise 2000 Euro mehr als der E-Golf der rein elektrisch unterwegs ist.

Bosch erwartet steigenden Anteil der Zulieferer

Rund 350 Milliarden Euro, die Zulieferer und Automobilbauer weltweit mit der Industrieproduktion rund um den Verbrennungsmotor umsetzen, stehen zur Disposition. Rund die Hälfte des Wertes eines Elektromobils wird künftig auf die Produzenten von Elektromotoren, Komponenten und Batterien entfallen. Die Leidtragenden werden die benzin- und dieselgetriebenen traditionellen Autohersteller und -zulieferer sein, wenn sie nicht zügig umschwenken. Bosch-Chef Volkmar Denner sieht in der Elektrifizierung großes Potenzial. Seiner Einschätzung nach erhöht ein elektrischer Antriebsstrang den Zulieferanteil deutlich.

Der Optimismus wächst, weil es Fortschritte in der Batterietechnik gibt. Mit Reichweiten von rund 500 km und deutlich reduzierten Ladezeiten, wären die Elektroautos als Alltagsfahrzeuge konkurrenzfähig. Dann braucht niemand den doppelten Antrieb der Plug-in-Hybridmobile zu entsprechenden Kosten. Dank deutlich billigerer Batterie-Power hoffen die VW-Planer den Elektro-Golf trotz stärkerer Batterien und deutlich mehr Reichweite spätestens ab 2025 billiger anbieten zu können als den Diesel. Michael Bolle, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Bosch-Bereichs Forschung und Vorausentwicklung, freut sich: „Unsere Batterieexperten schaffen eine wesentliche Voraussetzung für den Durchbruch der Elektromobilität.“ 2020 sollen Bosch-Batterien mehr als doppelt so viel Energie speichern, deutlich weniger kosten und sehr viel schneller wieder aufgeladen werden wie die noch aktuellen Vorläufer.

Die Elektropower schafft für die deutschen Weltmarktführer im Premium-Weltautomobilgeschäft freilich ein zusätzliches Problem. BMW-Chef Harald Krüger gibt zu bedenken: „Die Einstiegsbarrieren in unsere Branche sind durch neue Technologien deutlich niedriger geworden. Für ein Elektrofahrzeug brauchen sie keine Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren – beides Bereiche, die bislang umfangreiches Knowhow und hohe Investitionen benötigen.“ Der Wettbewerbsdruck auf die Etablierten wird zunehmen; neue Anbieter wie der US-Hersteller Tesla kommen leichter und schneller ins Geschäft. Gleichwohl sind die Platzhirsche wahrscheinlich gut beraten, die E-Mobile nicht als Bedrohung für ihre milliardenschweren Investitionen in Benzin- und Dieselmodelle zu sehen. Am lokal emissionsfreien Antrieb dürfte auf Dauer kein Weg vorbeiführen.

Fluch und Segen des Dieselantriebs

Emissionen Dieselautos sind rund 20 Prozent sparsamer unterwegs als Benziner. Deshalb schneiden sie beim klimaschädlichen Kohlendioxid-Ausstoß besser ab. Doch bei den Stickoxiden sind die Benziner klar im Vorteil – und das sind die gesundheitsschädlichen Emissionen. Die deutschen Autobosse argumentieren, ohne den sparsamen Dieselantrieb wird keine Marke bis 2020 das europäische CO2-Limit von 95 mg/100 km schaffen.

Steuern Die gegenwärtig niedrigen Dieselpreise beleben die Diskussion über den Steuerbonus des Dieselkraftstoffs. Die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, hat gefordert, den Steuervorteil von 18 Cent pro Liter gegenüber Superbenzin zu streichen, weil damit ein „besonders schadstoffhaltiger“ Antrieb gefördert werde. Hierdurch könnten der Staatskasse – gleicher Verbrauch vorausgesetzt – knapp acht Milliarden Euro zufließen. Das würde ausreichen, etwa 1,5 Millionen Elektroautos mit je 5000 Euro zu fördern.