Seinem Leben gab der Laden eine entscheidende Wendung. Ohne „Ave Maria“ säße Funk heute nicht auf diesem Bugholzstuhl in seinem eigenen Lokal direkt neben dem Devotionalienladen. Er würde seine Ehefrau nicht kennen, die gerade hinter dem Tresen ein Bier zapft. Der Fan Joseph Roths wäre ganz einfach vermutlich nicht einmal Wirt geworden.

 

„Es war Zufall“, sagt Funk. „Ich erfuhr irgendwann, dass Roth im Nachbarhaus für eine Zeit gewohnt hat.“ Ein Lager war damals im Erdgeschoss untergebracht, und als die Räume frei wurden, mietete Funk mit drei Geschäftspartnern sich ein – und entdeckte beim Renovieren die schönen alten Dielen, den schwarz-weißen Kachelboden jener einstiegen Konditorei, in der früher Roth einkaufte. Als die Joseph-Roth-Diele vor zehn Jahren eröffnete, gab es frisch geschmierte Stullen und ein Tagesessen. „Wir haben langsam angefangen, mit kleinem Angebot.“

Berlin dagegen hat in der Zwischenzeit ziemlich schnell weitergemacht: Die Stadt wächst und verändert rasant ihr Gesicht. Auch hier, in einer immer noch sehr rauen Ecke, kommt seit ein paar Jahren der Wandel an. Wo Discounter und Billigläden waren, haben nun Galerien und Hipstermarken wie Acne Studios ihren Sitz, außer Döner gibt es inzwischen auch vegane Cafés.

In der Joseph-Roth-Diele geht es auf Mittag zu. Wie ein geschäftiges Summen übertönen die Gespräche der Essenden die Chansons aus den Boxen. Draußen hasten Menschen vorbei, Autos hupen sich durch den Stau. „Die Stadt wird nie ruhig. Sie hat einfach eine gute Spannung“, sagt Dieter Funk und steht von seinem Stuhl auf. Pausenlos öffnet sich die Tür, kommen neue Gäste aus Frankreich, Italien, Skandinavien und aus Israel, um den Ort zu besuchen, der an den jüdischen Schriftsteller erinnert. Das Lokal ist zur kleinen Sehenswürdigkeit geworden. Dieter Funk erfüllt das mit Freude. Der Herausforderung begegnet er mit schwäbischem Pragmatismus. 150 Gäste kommen pro Mittagstisch. Heute gibt es Gaisburger Marsch.