Altertumsforscher stemmen sich mit neuen Technologien gegen Zerstörung – etwa im syrischen Bürgerkrieg – und Verfall. Multimedial, vernetzt und mit frei zugänglichen Datenbanken würden auch ihre Erkenntnisse zuverlässiger, sagen die Forscher.

Berlin - Die knapp dreitausend Jahre alte Oase Palmyra war ein Zentrum der antiken Welt. Von hier aus zogen Karawanen bis zur Seidenstraße, um Gewürze, Düfte und andere Schätze aus dem Fernen Osten ans Mittelmeer zu bringen. Doch nun droht die nordöstlich von Damaskus gelegene Oase, die seit 1980 zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, im syrischen Bürgerkrieg unterzugehen: Die prachtvollen Tempel und Grabstätten weisen Schusslöcher auf, Plünderungen und Raubgrabungen sind an der Tagesordnung.

 

„Es geht um die Existenz eines einmaligen kulturellen Erbes – nicht nur in Palmyra, sondern in ganz Syrien“, sagte Friederike Fless, die Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), kürzlich am Rande der Jahrespressekonferenz ihres Hauses in Berlin. Grundlegende Errungenschaften der Menschheit wie die Landwirtschaft oder Frühformen der Stadt seien im heutigen Nahen Osten entstanden. Syrien besitze eines der umfassendsten kulturellen Langzeitarchive weltweit.

Mit einem digitalen Kulturgüterregister für Syrien stemmt das DAI sich nun zusammen mit dem Museum für Islamische Kunst Berlin gegen Zerstörung und Untergang. Beide Institutionen forschen seit langem in dem Land; sie verfügen über umfangreiche Datensammlungen. Seit Ende letzten Jahres sichten, digitalisieren und archivieren zwei deutsch-syrische Teams die Schätze und vernetzen sie mit ähnlichen Projekten im Ausland zu einer internationalen Datenbank. Eines Tages, so die Hoffnung, könnten diese Referenzdaten die Erfassung und Behebung kriegsbedingter Schäden ermöglichen.

3-D-Rekonstruktionen von Gebäuden, Geoinformationssysteme zur Kartierung von Fundorten oder die digitale Aufbereitung von Texten – ohne solche Techniken sind die modernen Altertumswissenschaften nicht mehr denkbar. Seit rund dreißig Jahren lösen sie sich Schritt für Schritt von traditionellen Methoden wie Gipsabguss und gedruckten Schriften; in den vergangenen zehn Jahren hat sich der Trend weiter beschleunigt. Und so kommt es, dass ausgerechnet alte Fächer wie Archäologie, Urgeschichte oder die klassischen Philologien inzwischen fest verwurzelt sind, wo andere Geisteswissenschaften gerade ankommen: in der digitalen Welt.

Mehr als nur die Digitalisierung analoger Objekte

Reinhard Förtsch hat die Entwicklung in Deutschland von Anfang an mitgestaltet. In einer Keimzelle der digitalen Altertumswissenschaften, dem Forschungsarchiv für antike Plastik, baute er in den 90er Jahren eines der ersten elektronischen Bildarchive auf, die Arachne-Datenbank. Benannt ist sie nach einer Figur aus der griechischen Mythologie, der geschickten Netzknüpferin Arachne. Wer sich für das Online-Archiv registriert, kann im Internet schnell auf die digitalen Abbilder wichtiger Objekte der Antike zugreifen. Inzwischen enthält Arachne Hunderttausende Datensätze – Bilder von Gipsabgüssen antiker Skulpturen ebenso wie den Köln-Plan des berühmten Kartografen Arnold Mercator oder Digitalisate altertumswissenschaftlicher Druckerzeugnisse. Reinhard Förtsch betreut Arachne heute von Berlin aus, als Wissenschaftlicher Direktor für Informationstechnologien am DAI.

In den Veränderungen der letzten Jahrzehnte sieht Förtsch mehr als die bloße Übertragung analoger Objekte in eine digitale Form. „Die Fachkultur hat sich dadurch deutlich verändert“, sagt der Archäologe. Vor nicht allzu langer Zeit noch war der Zugang zu besonders wertvollen Objekten oder Sekundärquellen wenigen Wissenschaftlern vorbehalten – die Exklusivität verlieh ihnen Macht. Doch diese verblasst, je mehr Materialien im Internet frei zugänglich sind. Aber auch inhaltlich profitieren die Altertumswissenschaften von der Digitalisierung. Generalisierende Aussagen über eine Epoche basieren heute meistens auf der Auswertung vieler Materialien und nicht mehr wie früher gelegentlich nur auf der Auswertung eines Objekts. Förtsch: „Unsere Befunde sind verlässlicher geworden.“

Grabungstagebücher, Fundstücke, Nachlässe – in den Archiven deutscher altertumswissenschaftlicher Institute schlummern gewaltige Schätze. Sie in eine computerlesbare Form zu bringen sei eine der Hauptaufgaben für die digitale Archäologie der nächsten Jahre, sagt Reinhard Förtsch. Etwa zwanzig Prozent sind seiner Schätzung zufolge bereits geschafft. Hinzu kommt der sogenannte Born-Digital-Bereich: Daten, die gleich digital erhoben werden, etwa Satelliten- oder Radarbilder von Fundstätten. Kuratoren liefern zusätzliche Bits und Bytes, indem sie die Quellen sorgfältig beschreiben, in ihren Kontext einordnen und so für andere nutzbar machen.

Aber wird man die heute massenweise gesammelten Forschungsdaten morgen und übermorgen noch verstehen? Werden sie angesichts des schnellen technischen Wandels dann überhaupt noch lesbar sein?

Die Software könnte auch Interpol helfen

Lösungen für diese Probleme soll Ianus liefern, ein 2011 gegründetes Forschungsdatenzentrum für Archäologie und Altertumswissenschaften. Die Fäden des Projekts, das in den ersten drei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 550 000 Euro gefördert wird, laufen am DAI zusammen. Mit rund hundert Kollegen im In- und Ausland werden Konzepte für das Management und die Archivierung digitaler Information entwickelt und erprobt. Eine eigene Daten-Cloud erleichtert den Austausch untereinander.

Deutsche Archäologen restaurieren Pyramiden in Ägypten und Tempel in Kambodscha, sie graben in der Mongolei und in Iran. All diesen Partner- und Gastländern will man künftig das in deutschen Archiven ruhende Wissen zugänglich machen. „Ianus soll weltweit ausstrahlen“, formulierte Friederike Fless die Vision.

Interesse an einer Kooperation bekundete Anfang des Jahres die Afrikanische Union bei einem Treffen mit EU-Vertretern in Casablanca. Es ging dabei um den Schutz von Kulturgütern gegen Raub und Plünderung und die Rolle (noch aufzubauender) digitaler Archive. In Afrika erkenne man zunehmend die Vorteile solcher Datenbanken, berichtet Förtsch. Allerdings hätten fast alle Staaten über schlechte Erfahrungen mit europäischen Hilfsprogrammen geklagt: Nach Projektende und Abreise des letzten EU-Mitarbeiters sei die Software rasch unbenutzbar geworden.

Daher will das DAI Schwellenländern robuste Open-Source-Systeme für den Austausch mit der internationalen Wissenschaftlergemeinde anbieten, die leicht zu installieren und zu warten sind. Mittelfristig könnte die Software auch Schmuggler abschrecken – ob sie nun antike Kostbarkeiten aus Syrien oder afrikanische Felsmalereien über die Grenzen bringen wollen. Dafür müsste Interpol Zugang zu den digitalen Kulturgüterarchiven der Länder haben. Stößt ein Zollbeamter auf ein verdächtiges Objekt, so die Idee, scannt er es und identifiziert es dann mit entsprechenden Programmen per Internet. Die Technik dafür gibt es, ihr fehlt noch das archäologische Knowhow. Und das formiert sich gerade – in Deutschland und weltweit.