Auf dem StZ-Kongress wird deutlich, dass Technologie für eine lebenswerte Stadt nur ein Hilfsmittel ist. Gleichwohl schreitet die Digitalisierung unaufhaltsam voran. Sie hat aber auch ihre Tücken.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Vernetzung in der Großstadt? Für Umwelt- und Bauministerin Barbara Hendricks findet das auch in der Eckkneipe „Bei Ernst“ im Berliner Problemstadteil Wedding statt, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung keinen deutschen Pass hat. „Der Wirt bringt den Kiez zusammen. Das ist ein gutes und alltägliches Beispiel für Urbanität“, sagte die Ministerin in ihrem Eingangsvortrag für den StZ-Städtekongress „Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt“. Es brauche in der Stadt der Zukunft vor allem Orte, an denen man sich mit Verschiedenheit auseinandersetzen könne, sagte sie.

 

Damit gab die Ministerin schon einmal den Ton für die spätere Debatte vor. Denn wer erwartet hatte, bei der smarten Stadt würden Sensoren und Datenströme den Takt vorgeben, den belehrte auch der anschließende Vortrag der Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk eines Besseren: „Wir sollten die Stadt nicht an die Technologie anpassen. Smart bin ich doch selber, oder?“, sagte sie pointiert. Sie sprach wenig von Technik, sondern umriss das ganze Spektrum der Herausforderungen, vor denen auch eine reiche Stadt München steht: Knapper Wohnraum, eine wachsende Zahl von aufzunehmenden Flüchtlingen und ein immer schwieriger werdender Ausgleich zwischen Arm und Reich. Technologische Hilfsmittel könnten dabei hilfreich sei, aber bis die Städte damit umzugehen lernen, sei es noch ein weiter Weg, sagte Elisabeth Merk.

Die Krux mit Online-Befragungen

Es war Rudolf Martin Siegers, dem Deutschlandchef des Technologiekonzerns Siemens vorbehalten, vor der anschließenden Podiumsdiskussion an die Datenrevolution zu erinnern, die den Verantwortlichen in den Städten doch vollkommen neue, hilfreiche Instrumente an die Hand gebe. Bei den Themen Energie, Mobilität oder dem Management von Gebäuden könne moderne Technologie den Städten erlauben, deutlich effizienter zu werden. Nach Bedarf gesteuerte Stromnetze machten die Energiewende erst möglich. Sensorgesteuerte Leitzentralen könnten den Verkehrsfluss um zwanzig Prozent verbessern. Smarte Gebäude würden intelligent geheizt oder gekühlt. Doch die Praktikerin Merk brachte solche Visionen in der anschließenden, lebhaften Podiumsdiskussion, zu der auch der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hinzustieß, auf den Boden der Münchner Realität. „Ein effizienteres Management von Parkplätzen nützt mir nichts, wenn ich in der Stadt schlicht keinen Platz mehr habe, zusätzliche Parkplätze auszuweisen“, sagte sie. Aber auch die Verwaltung müsse etwa beim Thema innovative Bürgerbeteiligung umlernen.

Sie selbst sei zuerst stolz darauf gewesen, dass sie es durch Online-Befragungen geschafft habe, auch jüngere Bürger in Diskusions- und Planungsprozesse einzubeziehen – bis sie dann eher nebenbei erfahren habe, dass ihre Mitarbeiter diese Äußerungen genauso behandelten, wie traditionelle Bürgereingaben und von deren Masse völlig überwältigt wurden. „Frau Merk, das ist aber ganz schön viel Arbeit“, habe ihr ein Mitarbeiter gesagt. Das Ergebnis: Auch die online Befragten waren über den langsamen Gang der Dinge frustriert. „Es braucht nicht nur technische Intelligenz, sondern auch Anwenderintelligenz ,“ sagte Merk.

Stempelkarte statt digitale Erfassung

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, der inzwischen der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz vorsteht, erinnerte daran, dass Systeme die wirklich smart seien, auch Fragen des Persönlichkeitsschutzes aufwerfen: „Wenn sie erfassen, wo ein Parkplatz frei ist, dann ist das unproblematisch. Aber wenn sie von den 50 Autos, die in der Nähe sind, nun dasjenige benachrichtigen wollen, das dem freien Parkplatz am nächsten ist, dann müssen sie die individuelle Position des Fahrzeugs kennen,“ sagte Schaar. Im übrigen werfe dies die Frage auf, welcher Autobesitzer bei einem solchen System vielleicht privilegiert werde. „Das wäre dann wohl eine moderne Variante der ,eingebauten Vorfahrt’ “, sagte der moderierende StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs – und hatte damit die Lacher auf seiner Seite. Denn diese Variante der Verkehrssteuerung schien manchem im Publikum durchaus vertraut. Der Siemens-Vertreter Siegers warnte allerdings davor, die Debatte um die smarte Stadt einseitig zu führen: „Wir dürfen in Deutschland nicht immer nur die Risiken sehen, sondern auch die Chancen.“ Wenn Deutschland vorhandene Hightech nicht anwende, dann könne es solche Technologien auch nicht exportieren. Der Datenschützer Schaar merkte in der Debatte an, dass in Deutschland zu oft nur über rechtliche Rahmenbedingungen geredet werde, statt über die möglichen technischen Lösungen zu diskutieren, „Ich meine das durchaus selbstkritisch“.

Und auch Elisabeth Merk nannte ein Beispiel für eine Abwehrhaltung, die sie anachronistisch finde: „Wir erfassen die Arbeitszeit immer noch über Stempelkarten, weil unser Personalrat sich gegen eine digitale Erfassung wehrt.“ Sie wolle damit aber nicht sagen, dass München der Zeit hinterherhinke, sondern nur auf die vorhandenen realen Widersprüche hinweisen.