Am S-21-Protest verdient das Stuttgarter Familienunternehmen Dinkelacker bisher nichts. Das könnte sich ändern.

Stuttgart - Wolfgang Dinkelacker ist ein zurückhaltender Zeitgenosse. Der 69-Jährige sitzt am Konferenztisch in einem schmucklosen Raum seines Brauereigebäudes und redet nicht allzu viel. Die meisten Fragen lässt er seine Geschäftsführer Ralph Barnstein, 43, und Bernhard Schwarz, 50, beantworten. Um ein Statement vom obersten Chef und Inhaber zu bekommen, muss man Dinkelacker direkt ansprechen und lange Blickkontakt suchen. Dann antwortet er, auch auf knifflige Fragen: "Von mir aus können Sie mich zitieren, dass ich für Stuttgart 21 bin."

Diese Aussage ist mal eine echte Überraschung. Hatten sich bisher doch gewiefte Konsumartikelhersteller genauso wie kluge Händler aus dem Streit herausgehalten, wohl auch, um nicht jeweils die Hälfte der Kunden zu brüskieren. Schließlich spaltet das Thema die Stadt. Und Biermarken gibt es wie Sand am Meer. Eigentlich, so erzählt Dinkelacker, sei er gegen Stuttgart 21 gewesen. "Aus Eigennutz", wie er freimütig bekennt. Neben der Brauerei ist Dinkelacker Eigentümer beträchtlicher Immobilien in der Stadt. Weil gewerbliche Immobilien sich auch in Stuttgart aber immer schlechter vermieten lassen, leuchtete ihm nicht ein, warum auf dem Gleisfeld zusätzliche Büros und Läden entstehen müssen. "Wir haben genug Leerstand in der Stadt."

Warum aber, Herr Dinkelacker, sind Sie jetzt plötzlich trotzdem für Stuttgart 21? Der Angesprochene macht eine lange Pause, rückt sich die Brille ins Gesicht und sagt: "Ich bin gegen den Protest."

Pro Flasche gehen 21 Cent an den BUND und dessen Protestkasse


Wolfgang Dinkelacker und Julius Buckenmaier kennen sich nicht. Buckenmaier besitzt das Rösslebräu im 25.000-Einwohner-Städtchen Ehingen bei Ulm. Im Gegensatz zu Dinkelacker hat der Brauer von der Schwäbischen Alb Verständnis für die Demonstranten. "Ich habe nix gegen den Protest." Für sich genommen ist das genauso überraschend wie der plötzliche Meinungsumschwung Dinkelackers. Schließlich ist der Mann von der Schwäbischen Alb Stadtrat für die CDU-Fraktion. Seit vier Monaten verkauft der 31-jährige Brauer das Bier "Resist 21: alle gegen Stuttgart 21". Pro Flasche gehen 21 Cent an den BUND und dessen Protestkasse. 22.000 Flaschen Bier hat Buckenmaier schon verkauft, der Unternehmer hat anscheinend aufs richtige "Rössle" gesetzt, hat sich der Ausstoß seiner Kleinbrauerei auf diese Weise doch um fast ein Viertel erhöht. Wolfgang Dinkelacker fragt zweimal nach. Von dem Protestbier, das übrigens auch in vielen Dinkelacker-Kneipen angeboten wird, habe er zuvor noch nie gehört.

Protestgegner Dinkelacker bietet zwar kein Widerstandsbier, aber auch seine Brauerei benötigt eine Sonderkonjunktur, eine szenige Biermarke, die zu Wachstum führt und sich dem kleiner werdenden Durst entgegenstemmt. Wulle heißt Dinkelackers Hoffnungsträger. "Wulle wächst jährlich zweistellig", erzählt Geschäftsführer Schwarz. Seine Mundwinkel gehen nach oben. Die vor zwei Jahren wiederbelebte Traditionssparte – bis 1971 eine eigenständige Stuttgarter Brauerei – kommt "besonders in Trendgaststätten" als Alternative zu Beck’s und Tannenzäpfle gut an. "Dabei machen wir für Wulle keine Werbung", sagt Geschäftsführer Barnstein. Inzwischen gehen jährlich zehn Millionen 0,33-Liter-Fläschchen über die Tresen und Ladentheken. Wulle ist für die Dinkelacker-SchwabenbräuGmbH & Co. KG so wichtig wie das "Resist"-Bier für Rösslebräu. "Wulle hat uns geholfen, gegen den Branchentrend den Ausstoß stabil zu halten", sagt Schwarz.

In der Tat: im Biergeschäft gibt es keinen Aufschwung. Schon Stabilität gilt unter Brauern als Ausnahmezustand. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres ist der Inlandsabsatz baden-württembergischer Brauereien um insgesamt 5,9 Prozent gesunken. Auch einzelne Dinkelacker-Sparten erlitten Einbußen. "Die Marken Dinkelacker, Schwabenbräu und Sanwald haben sich in Summe im laufenden Jahr entsprechend der Gesamtmarktentwicklung in Baden-Württemberg negativ entwickelt", sagt Schwarz ganz vornehm. Im Klartext: die alteingeführten Marken dürften 35.000 Hektoliter verloren haben. Das ist in etwa die Menge, die für sich genommen jetzt Wulle beisteuert.