Vor 200 Jahren trat Ellwangen schlagartig in Fokus der großen Geschichte: Friedrich I, König von Württemberg, hat die Diözese Ellwangen gegründet. Sie blieb aber nur eine kurze Episode.

Ellwangen/Rottenburg - In Ellwangen ereignete sich vor genau zwei Jahrhunderten, im Herbst 1812, etwas Unerhörtes. Das beschauliche Städtchen mit seinen kaum mehr als 2000 Einwohnern trat schlagartig in den Fokus der großen Geschichte. Die Strengkirchlichen in Württemberg und weit darüber hinaus waren entsetzt; die Römische Kurie gab sich brüskiert: Der evangelische König von Württemberg, Friedrich I., hatte sich erdreistet, aus eigener Machtvollkommenheit ein katholisches Bistum, eine katholisch-theologische Fakultät und ein Priesterseminar zu gründen. Mit einem Schlag war Ellwangen zu einer Bischofs- und Universitätsstadt geworden, wenn auch von eines evangelischen Königs Gnaden.

 

Die papsttreue Presse polemisierte heftig gegen diesen Schritt. Sie sah darin das „wohl einzige Beispiel in der ganzen Kirchengeschichte, dass ein akatholischer Souverain durch ein Machtgebot . . . die Belehnung mit bischöflicher Gewalt für sich in Anspruch nimmt“. Dieser Akt war für sie schlicht ungültig, weil der Staat kein Bistum errichten konnte und ein evangelischer Potentat wie der „dicke Friedrich“ dazu schon gar nicht in der Lage war.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Mochten die Ultramontanen, die Katholiken, die über die Alpen nach Rom schauten, noch so sehr schäumen vor Wut, für den König war die Errichtung eines Bischofssitzes in Ellwangen ein konsequenter Schritt, der im Vorfeld auch mit Rom abgesprochen worden war. Dass es sich bei den Entscheidungen anno 1812 um eine Notlösung handelte, war ihm klar. Aber der Papst war unerreichbar, Pius VII. befand sich in französischer Gefangenschaft, und Napoleon Bonaparte verbot mehrfach jeden Kontakt.

Der König wollte keine Abhängigkeit von „fremden“ Bischöfen

Das protestantische Württemberg war – durch die Säkularisationen auf mehr als das Doppelte seiner ursprünglichen Größe angewachsen – zum Königreich aufgestiegen. Das „Ländle“ hatte eine halbe Million katholischer Untertanen erhalten, die zu fünf Diözesen gehörten: Konstanz, Augsburg, Würzburg, Speyer und Worms. Der absolutistische Monarch wollte aber nicht von „ausländischen“ Bischöfen abhängig sein. Deshalb mussten katholische Landesbischöfe her, koste es, was es wolle; am besten sogar ein Erzbischof mit einem oder zwei Suffraganbischöfen. Die sprichwörtlichen „Entenklemmer“ vom Staate Beutelsbach scheinen für einen kurzen Moment von Größenwahn heimgesucht worden zu sein.

Rechtliche Kompetenzen wollte man dem katholischen Bischof freilich nicht einräumen. Man brauchte einen „Weiher und Salber“. Die eigentliche Leitung der katholischen Landeskirche inklusive des Verfassens der Gottesdienstordnung und des Katechismus sollte Sache des Staates bleiben. Die Stellung, die man für den Bischof vorgesehen hatte, wird aus dem Entwurf des „Organisationsmanifests“ vom 18. März 1806 deutlich. Ein eigenständiges Bischöfliches Ordinariat sollte es nicht geben. Stattdessen plante der König, das Kultusministerium neu zu organisieren. Bisher hatte es zwei Sektionen: das evangelische Konsistorium und das Oberschulamt. Als dritte Abteilung sollte jetzt die katholische „Cultus-Behörde“ dazukommen, mit dem katholischen Landesbischof als Abteilungsleiter. Nur widerstrebend war der König schließlich bereit, eine eigene bischöfliche Behörde zu akzeptieren. Ellwangen spielte in den Überlegungen Friedrichs I. von Anfang an eine zentrale Rolle. Er machte es zu seiner zweiten Hauptstadt neben Stuttgart. Denn die in der Säkularisation neu erworbenen Gebiete wurden nicht mit Altwürttemberg vereinigt, sondern in einem eigenständigen Staat „Neuwürttemberg“ zusammengefasst. Beide Länder bildeten keine Realunion, sondern waren nur in Personalunion verbunden. Friedrich I. wollte die in Altwürttemberg üblichen ständischen Mitspracherechte keinesfalls auf seine neuen Lande übertragen. In Neuwürttemberg wollte er wirklich absolutistisch herrschen.

Es liegt in der Konsequenz dieser Konzeption, dass die neue Hauptstadt der katholischen Lande neben den Regierungsbehörden auch den Bischofssitz samt Priesterseminar sowie eine katholische Landesuniversität erhalten sollte. Friedrich I. wusste aber, dass er diese Angelegenheit am besten in Zusammenarbeit mit dem Papst regeln konnte.

Friedrich, der Sture

Im Herbst 1807 kam es deshalb in Stuttgart zu Konkordatsverhandlungen mit dem päpstlichen Nuntius Annibale della Genga. Und man war sich schon bald einig. Die Konvention sah vor, ein Bistum Ellwangen und gegebenenfalls noch ein zweites in Rottweil zu errichten. Für das wissenschaftliche Studium der angehenden Priester sollten fünf theologische Lehrstühle eingerichtet werden. Nur eine massive Intervention Napoleons verhinderte noch im allerletzten Moment den erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen.

Doch Friedrich I. war nicht bereit, klein beizugeben. Noch zweimal versuchte er mit Rom eine Verhandlungslösung, und zweimal torpedierte Napoleon die Sache. Solange der Papst in Frankreich gefangen gehalten wurde, war nicht an eine vertragliche, einvernehmliche Lösung zu denken. In dieser Situation blieb dem König – wie ihm seine Berater nahelegten – nichts anderes übrig, als sich „zum Pontifex in Ihren Staaten zu erklären“. Die erste Möglichkeit dazu bot sich, als im Juli 1812 der Erzbischof von Trier und Bischof von Augsburg, Clemens Wenzeslaus von Sachsen, starb. Der König ordnete an, die im Königreich Württemberg liegenden Pfarreien von dem bayerischen Teil der Diözese Augsburg abzutrennen und sie dem Generalvikariat Ellwangen zu unterstellen.

Friedrich I. ging dabei zwar eigenmächtig vor, hielt sich aber exakt an die mit della Genga 1807 ausgehandelte, wenn auch nicht ratifizierte Konvention. Außerdem setzte er damit einen lang gehegten Wunsch einer Reihe Ellwanger Fürstpröpste endlich in die Tat um. Wie zahlreiche andere Fürstabteien und -propsteien der Reichskirche hatte auch Ellwangen im 17. und im 18. Jahrhundert vergeblich versucht, zur Diözese aufzusteigen.

Besonderes Interesse verdient, dass der päpstliche Nuntius im Jahre 1807 nicht darauf bestanden hatte, ein Tridentinisches Priesterseminar einzurichten. Dies hätte bedeutet, dass alle angehenden Priester in einem geschlossenen Seminar unter ausschließlicher Aufsicht des Bischofs ausgebildet worden wären. Ein akademisches Studium an einer Universität, das für den Staat von zentraler Bedeutung war, wäre damit verboten gewesen.

Dr Titel „Universität“ war ein Euphemismus

Die künftigen Pfarrer waren für Friedrich I. in erster Linie Staatsbeamte, die für konfessionellen Frieden im neuen gemischtkonfessionellen Staat sorgen sollten. Scharfmacher konnte der König nicht gebrauchen. Der Titel „Friedrichs-Universität“ war freilich ein Euphemismus. Von einer Volluniversität war Ellwangen weit entfernt. Es gab nur eine Katholisch-Theologische Fakultät mit den fünf Professoren.

Mit den Augsburger Bistumsteilen war allerdings erst der Anfang gemacht. Ziel war es, alle württembergischen Pfarreien dem Generalvikariat Ellwangen zu unterstellen. Dabei ging man nach dem erprobten Modell vor. Man wartete den Tod des jeweiligen „ausländischen“ Bischofs ab und trennte dann die württembergischen Anteile seiner Diözese ab: 1814 die Würzburger, dann 1817 die Konstanzer, Wormser und Speyrer Pfarreien.

Damit schien der endgültigen Etablierung der Bistums Ellwangen – nun mit römischer Billigung – nichts mehr im Wege zu stehen. Doch am 30. Oktober 1816 war Friedrich I. gestorben. Sein Nachfolger Wilhelm I. hielt nichts vom Zweistaatenmodell Alt- und Neuwürttemberg mit den Hauptstädten Stuttgart und Ellwangen. Er strebte einen absolutistischen Einheitsstaat an. Ellwangen lag ihm zu sehr an der Peripherie und war ihm zu katholisch.

Den Hebel, um Ellwangen auf das Abstellgleis zu schieben, setzte er bezeichnenderweise bei der Friedrichs-Universität an. Eine Katholisch-Theologische Fakultät mit nur fünf Lehrstühlen sei keine richtige Universität, bemängelte der König. In Ellwangen, dem „Ort der Finsterniß und Beschränktheit“, wüchsen die katholischen Theologen in einem katholischen Ghetto auf und würden in antiökumenischem Geist erzogen. An der Universität Tübingen dagegen seien alle Voraussetzungen für ein gedeihliches Studium gegeben. Hier könnten die angehenden katholischen Pfarrer Toleranz lernen sowie die „konfessionellen Ecken und Kanten abschleifen“.

Als die Verlegung der Ellwanger Friedrichs-Universität und ihre Vereinigung mit der Universität Tübingen beschlossene Sache war, wurden schließlich auch der Bischofssitz und das Priesterseminar grundsätzlich infrage gestellt. Ellwangen war zu weit weg von Stuttgart, die staatliche Aufsicht und Kontrolle nicht so leicht durchzuführen. Deshalb wurde eine katholische Stadt möglichst nahe bei Stuttgart gesucht. Die Wahl fiel auf Rottenburg am Neckar. Das Priesterseminar wurde in das dortige Karmeliterkloster verlegt. Das Generalvikariat kam im ehemaligen Jesuitenkolleg unter. Alle Eingaben der Ellwanger Bürger blieben vergeblich.

Ellwangen, das kirchliche Eldorado

Nun kam es zu einer völligen Umkehr der öffentlichen Meinung: Alle, die 1812 Ellwangen verdammt hatten, feierten es nun als geradezu idealen Bischofssitz; alle, die Ellwangen damals glorifiziert hatten, sahen es jetzt als Ort katholischer Beschränktheit. Vor allem für die „Strengkirchlichen“ war das dortige Theologiestudium geradezu mustergültig im Vergleich zum „schlimmen“ protestantischen Tübingen. Plötzlich war Ellwangen das kirchliche Eldorado, während Rottenburg als trostlose Stadt am Neckar galt. Ellwangen hatte mit seiner Stiftskirche wenigstens einen repräsentativen Dom, Rottenburg dagegen nur eine unansehnliche Pfarrkirche, die nicht einmal den einfachsten Grundsätzen der Symmetrie entsprach – wie schon der erste Bischof Keller beklagte.

Ein schönes Beispiel für die Idealisierung Ellwangens bietet die 1821 anonym erschienene Schrift „Stimme der Katholiken im Königreich Wirtemberg“. Sie beklagte die Zustände in Tübingen und Rottenburg und verlangte eine Rückverlegung. Hier seien „Wirtshäuser- und Kneipenbesuche“ der angehenden Priester gang und gäbe: „Welcher Ton wird da walten? Spott und Hohn? . . . Was ist die nächste Folge? Kränkung, Unmut, Trauer und Verstimmung zum eigentlichen Berufe. Nun, da an dem einen Orte . . . die katholischen Konviktoren mit den Studierenden der anderen Konfession gemischten Umgang haben, so ist nicht anderes zu denken, dass Gespräche zu dem für katholische Geistliche bestehenden Zölibatsgebote entstehen. Mit Spott von jener Seite und mit erwecktem Reize für die Kandidaten des katholischen geistlichen Standes auf der anderen Seite hin zur Unzufriedenheit. Oh welch nachteilige Einflüsse werden Gespräche, Spöttereien und andere Reizungen auf das ohnehin noch weiche Gemüt dieser Zöglinge haben?“

Das Bistum blieb eine Episode

Das Bistum Ellwangen blieb dennoch lediglich eine Episode. Es wird auch als eigentlicher Gründungsort des Bistums Rottenburg nicht recht gewürdigt, sonst müsste die Diözese in diesem Jahr ihr 200-jähriges Jubiläum feiern. Denn ohne das Generalvikariat Ellwangen keine Verlegung nach Rottenburg und auch keine endgültige Bistumsgründung 1821 (durch Rom) oder 1828 (durch den König).

Und trotz seines kurzen Bestehens hatte das Bistum Ellwangen Modellcharakter: Hier wurde ein alternatives, geradezu revolutionäres Modell der Diözesanleitung erfunden und erstmals praktisch erprobt, bevor es 1830 für alle Diözesen der Oberrheinischen Kirchenprovinz (Freiburg, Mainz, Rottenburg, Fulda und Limburg) verbindlich eingeführt wurde. An die Stelle des monarchisch regierenden Diözesanbischofs trat in Ellwangen eine kollegiale Bistumsleitung, der Bischof war an die Mehrheitsentscheidung seiner Räte beziehungsweise des Domkapitels gebunden.

Auch die Tübinger Katholisch-Theologische Fakultät feiert ihr Jubiläum 2017, obwohl sie eigentlich schon 1812 in Ellwangen gegründet wurde. Die „Tübinger Schule“ und die älteste bis heute bestehende theologische Zeitschrift, die 1819 gegründete „Theologische Quartalschrift“, wurden in Ellwangen grundgelegt. Kirchlichkeit, Geschichtlichkeit und Wissenschaftlichkeit sind Leitsterne, die auch einer heutigen Theologie gut anstehen. Obwohl Generalvikariat, Priesterseminar und Universität nur fünf Jahre, von 1812 bis 1817, existiert haben: Von der Stadt an der Jagst sind entscheidende Impulse für Kirche und Theologie ausgegangen – gute Gründe, in diesem Jahr das Jubiläum des fast vergessenen Bistums Ellwangen zu feiern.