Der Landtag soll über den Freihandelsvertrag CETA debattieren – doch kann man ihn dazu zwingen?

Stuttgart - Jahrzehntelang waren Baden-Württembergs Instrumente der direkten Demokratie so unhandlich und schwer, dass die Bürger sie erst gar nicht in die Hand nahmen. Hätte nicht der Landtag von sich aus 2011 eine Volksabstimmung (zu Stuttgart 21) angesetzt, bliebe der Artikel 59 der Landesverfassung wohl bis heute reine Theorie. Vor einigen Monaten jedoch hatte das Parlament ein Einsehen und beschloss mit großer Mehrheit, die verfassungsrechtlichen Hürden für Volksbegehren und -abstimmungen zu senken. Außerdem gab es den Bürgern mit dem sogenannten Volksantrag ein Instrument an die Hand, mit dem diese die Abgeordneten zwingen können, über ein ihnen wichtiges Thema zu debattieren.

 

Der Landtag soll Farbe bekennen

Diesen neuen Mechanismus will der Landesvorsitzende der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), Guido Klamt, nun zum allerersten Mal in Gang setzen. „Ich will öffentlichen Druck erzeugen, dass der Landtag sich gegen das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA ausspricht“, sagte er unserer Zeitung. Letztlich soll sich auch die Landesregierung gegen CETA positionieren – ob letztlich auch der Bundesrat gefragt werden muss, ist noch umstritten. Klamt glaubt jedenfalls, dass das Thema die Menschen umtreibt, denn der Vertrag wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt und ist (ähnlich wie das mit den USA geplante Abkommen TTIP) hoch umstritten. Da sei es notwendig, dass auch die Volksvertreter Stellung beziehen.

Antrag nach dem Windhundprinzip?

Am 1. Juli will Klamt, der den Volksantrag als Einzelperson stellt, mit der Sammlung der notwendigen Unterschriften beginnen. Für eine kleine Organisation wie die ÖDP ist dies allerdings eine hohe Hürde: Mindestens 0,5 Prozent der Wahlberechtigten müssen innerhalb eines Jahres auf amtlich beglaubigten Formularen persönlich unterschreiben – das sind rund 39 000 Unterschriften. „Das ist schon eine Hausnummer“, sagt Sarah Händel, die Landesgeschäftsführerin des Vereins „Mehr Demokratie“, der Bürgerinitiativen berät. Deshalb sei es sinnvoll, dass mehrere Organisationen ihre Kräfte bündeln.

In der Tat üben seit Jahren auch viele andere Organisationen Kritik an dem Handels- und Zollabkommen: von Naturschutzverbänden über Gewerkschaften bis hin zu Globalisierungskritikern. Doch ob sie einen von der ÖDP initiierten Volksantrag unterstützen, ist fraglich: „Viele liebäugeln damit, einen eigenen Antrag zu stellen“, sagt Händel. Nach dem Windhundprinzip sollte man ein solches Verfassungsrecht jedenfalls nicht ausprobieren, rät sie. Bei seiner Suche nach Mitstreitern ist der ÖDP-Chef denn auch noch nicht sehr weit gekommen: „Das Problem ist, dass alle sehr zurückhaltend werden, wenn man von einer politischen Richtung her kommt“, sagt Klamt. Und jeden x-beliebigen CETA-Gegner will er auch nicht im Boot haben: „Ein früheres NPD-Mitglied wollte mitmachen, da muss man genau hinschauen.“

Ist der Landtag überhaupt zuständig?

Ohnehin ist fraglich, ob das Thema überhaupt den Verfassungsvorgaben genügt, wonach es „im Zuständigkeitsbereich des Landtags“ liegen muss. Zwar ist unbestritten, dass das Abkommen Landesinteressen berührt: „Das ist zum Beispiel bei den ausländischen Direktinvestitionen der Fall, die in den Investitionsschutzkapiteln geregelt sind“, sagt Peter Hofelich, Wirtschaftspolitiker der SPD-Landtagsfraktion. Er geht deshalb davon aus, dass der Landtag den Volksantrag zulässt. Doch nicht alle Themen, die eine Bedeutung fürs Land haben, fielen damit auch in die Zuständigkeit des Landesparlaments, gibt man in der Parlamentsverwaltung zu bedenken, die letztlich über den Antrag entscheiden muss.

Das Problem für die Antragsteller ist, dass es erst dann Hopp oder Top für sie heißt, wenn die Unterschriften mühsam gesammelt sind. „Es gibt keine Möglichkeit, vom Landtag vorab eine Rechtseinschätzung zu erhalten“, sagt Sarah Händel von „Mehr Demokratie“: „Das kritisieren wir.“ In Nordrehin-Westfalen, wo es das Instrument unter dem Namen Volksinitiative schon seit 2002 gibt, werde eine solche Beratung sehr wohl angeboten. Sonderlich erfolgreich waren die Bürger an Rhein und Ruhr allerdings nicht mit den Volksinitiativen: Die allermeisten wurden abgelehnt.