In der Stadtbibliothek ist über erneuerbare Energien und deren Akzeptanz gesprochen worden. Eine These der Diskutanten: Die Energiewende ist kein technisches Problem – sondern ein Problem im Kopf.

Stuttgart - Fritz Kuhn hat einen Traum – oder vielmehr eine Vision. Und die geht so: Es treffen sich zwei Ehepaare, beide Wohnsitz in Halbhöhenlage, zum Essen. Man begrüßt sich, trinkt ein Glas Sekt und dann wird geprahlt. Doch statt in der Garage den neusten Autokauf vorzuführen geht es hinunter in den Keller, um die neue Heizungsanlagenlage zu begutachten. „Die Energiewende ist auch eine kulturelle Frage, nicht allein eine technische“, sagt der Oberbürgermeister. Erneuerbare Energien müssten für die Menschen zur Normalität und zur Pflicht werden, zu etwas, das zum guten Ton gehört – nicht von oben verordnet, sondern aus eigenem Antrieb heraus.

 

Fritz Kuhn spricht sein Grußwort an diesem Montagabend zum Start der Gesprächsinitiative „Nachhaltige Lebenswelten“ des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart. Titel der Auftaktveranstaltung: „Nachhaltige Energie. Gut – und schön?“ Jeder möchte die Energiewende. Doch was, wenn diese in Form von Windkraftanlagen plötzlich vor der Haustür liegt? Bürgerproteste formieren sich und Menschen lehnen sich auf gegen eine Verschandelung der Natur. Die Energiewende ist offensichtlich ein komplexes Problem, das fächerübergreifende Lösungen fordert.

Interdisziplinär sind deshalb auch die Gäste auf dem Podium: Zum Thema geladen sind Antje Stokman, die Leiterin des Instituts für Landschaftsplanung und Ökologie, Po Wen Cheng, Inhaber des ersten Lehrstuhls für Windenergieanlagen und Ortwin Renn vom Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie. Durch den Abend führt Alexander Mäder, der Leiter des Wissenschaftsressorts der Stuttgarter Zeitung.

Windrad statt Fernsehturm

„Statt des Fernsehturms könnte man doch ein Windrad installieren. Das ist gleich hoch und auch nicht für Besucher geöffnet“, sagt Alexander Mäder zum Einstieg in die Diskussion. Auch wenn keiner auf das Stuttgarter Wahrzeichen verzichten möchte: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass sich unser Stadt- und Landschaftsbild langfristig durch die Energiewende verändern wird“, sagt Antje Stokman. Die Veränderungen müssten akzeptiert werden, oder noch viel mehr: „Wir müssen stolz sein auf neue Formen der Energiegewinnung.“ Sie seien Ausdruck der Gestaltung, nicht der Einschränkung.

„Die Energiewende ist kein technisches Problem“, stimmt Po Wen Cheng zu, „es ist ein Problem im Kopf.“ Technisch, sagt er, sei fast alles möglich. Dazu komme aber die kulturelle, gesellschaftliche und soziale Komponente. Der Mensch müsse sich auf die Neuerungen einlassen, sich gewöhnen.

„Weshalb akzeptieren wir hässliche, mehrspurige Straßen, Windräder aber werden zum Problem?“, fragt Alexander Mäder. „Weil wir an unsere Stadtbilder gewöhnt sind“, antwortet Ortwin Renn. Auch er hält eine Anordnung von oben für falsch: „Wenn gesagt wird: Ihr müsst euch ändern! Dann gibt es logischerweise Widerstand.“ Die Menschen müssten für eine erfolgreiche Energiewende mit ins Boot geholt werden, aufgeklärt über die echten Risiken und über den Nutzen. „Wir bekommen die Akzeptanz erst dann, wenn alle es selbst wollen“, sagt er. Und dabei sei es wichtig, die Opferrolle der direkt von Anlagen betroffenen Anwohner ernst zu nehmen: „Wir müssen klar machen, dass es für das Ganze wichtig ist, dass kleine Teile Opfer bringen.“ Auch er hofft, wie Fritz Kuhn, dass Energiewende zum Statussymbol wird: als Zeichen für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Erde. „Wir machen ein Experiment mit der Erde, dessen Ausmaß wir nicht kennen und das uns alle betreffen wird“, sagt Ortwin Renn.

Antje Stokman kommt zurück auf Alexander Mäders Beispiel des Fernsehturms. Eine Innovation seinerzeit: ein funktionales Gebäude an prominenter Stelle, das durch Restaurant und Aussichtsplattform für die Menschen nutzbar war. „Auch für die Windkraftanlagen sind Standorte im Gespräch, die eine Strahlkraft haben und damit ein sichtbares Zeichen für eine neue Zeit sein können.“