Die Stuttgarter Kunst- und Kulturszene macht sich Sorgen: Es gibt zu wenig Orte für die Kunst. Wenn demnächst der Landtag ins Kunstgebäude am Schlossplatz zieht, fallen nochmals 1500 Quadratmeter weg.

Stuttgart - Der Plan war gut. Und gut und förderlich für die Kunst im Herzen der Stadt ist auch seine Umsetzung gewesen, bis – ja, bis die Politik eine Entscheidung getroffen hat, die den gerade begonnenen Aufbruch am Stuttgarter Schlossplatz abrupt wieder beenden wird.

 

Nach mehr als fünf Jahren Sanierung – Kosten 4,5 Millionen Euro – ist das Kunstgebäude mit dem goldenen Hirsch auf dem Dach im Herbst vergangenen Jahres wieder eröffnet worden. Neu waren dann nicht nur die Räume, sondern auch das Konzept: Der Kuppelsaal, der vordere Bereich des Gebäudes, sollte künftig für Wechselausstellungen zur Verfügung stehen – eine Art Kunsthalle, die unter anderem vom Lindenmuseum für seine Jubiläumsausstellung und vom Landesmuseum für seine Keltenschau genutzt wurde und noch genutzt wird. Als jedoch der vor der Renovierung stehende Landtag von Baden-Württemberg im Sommer nach einem Ausweichquartier suchte, fiel sein Auge – erraten – auf das Haus mit dem Hirsch. Und das bedeutet: „1500 Quadratmeter weniger für die Kunst“, wie Hans D. Christ vorrechnet, der Ko-Direktor des ebenfalls dort untergebrachten Württembergischen Kunstvereins.

Der – vorübergehende – Kunsthallenraub ist jetzt einer der Gründe gewesen, weshalb Christ zu einem prominent besetzten Podiumsgespräch in sein Domizil geladen hat. „Räume für Kultur in der Stuttgarter Innenstadt“ lautete das ausgreifende Thema – und dass die seit Jahren prekäre Raumsituation den Kunst- und Kulturmachern auf den Nägeln brennt, bewies der starke Publikumsandrang. Zweihundert Männer und Frauen, für eine Diskussionsrunde eine große Zahl – und was die Gemeinde zu hören bekam, war immer dann von allgemeinem Interesse, wenn über Konkretes gesprochen wurde.

Vier Projekte fallen dem Landtags-Umzug zum Opfer

Konkret fallen, wie Christ erläuterte, dem Umzug des Landtags in den Kuppelsaal vier Projekte zum Opfer. Dazu gehören neben der „Künstlermesse“ und der Präsentation der Meisterschüler der Stuttgarter Kunstakademie der „Fotosommer 2013“ und die Jubiläumsausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen. Die ersten drei Veranstaltungen fallen mangels geeigneter Alternativräume ersatzlos aus; der wohl schmerzhafteste Verlust ist dabei der „Fotosommer“, der im übrigen bereits fest durchgeplant war. „Ich setze jetzt auf 2016“, sagte Matthias Bullinger, der Kurator der alle drei Jahre stattfindenden, auch international weithin beachteten Fotografieausstellung.

Schmerzen bereitet freilich auch jene Ausstellung, die zwar nicht ausfällt, aber in eine andere Stadt verlegt wird: Das Institut für Auslandsbeziehungen (Ifa) zieht mit seiner Schau notgedrungen ins ZKM nach Karlsruhe, obwohl es seine Kunstschätze gerne in der Landeshauptstadt präsentiert hätte, eben dort, wo das Ifa seinen Hauptsitz hat. „Zum Hundert-Jahr-Jubiläum unseres Hauses wollten wir die Sammlung unbedingt am Stammort zeigen“, beteuerte Elke aus dem Moore, die Leiterin der Ifa-Kunstabteilung. Wer nun ermessen will, um welchen Genuss sich die Stadt gebracht hat, muss also ins Badische fahren: Insgesamt umfasst die Sammlung 23 000 Kunstwerke aus den vergangenen sechzig Jahren, darunter die wichtigsten Vertreter der deutschen Nachkriegskunst. Und wenn die Werke nicht gerade für Ausstellungen um die Welt reisen, lagern sie im Depot. Man sieht sie deshalb normalerweise nicht in Stuttgart – jetzt sogar dann nicht, wenn das Ifa seinen Hundertsten feiert.

Millas „Bürgerschloss“: charmant, durchdacht, konkret

Petra von Olschowski, die als Rektorin der Stuttgarter Kunstakademie das Gespräch moderierte, empfand diesen Verlust als besonders herb. Und niemand wollte ihr widersprechen, auch nicht die auf dem Podium sitzende Vertreterin der Politik. Brigitte Lösch fiel als Vizepräsidentin des Landtags die undankbare Aufgabe zu, den Umzugsbeschluss des Landtags zu verteidigen. Sie tat’s, aber sie tat’s mit Bauchgrimmen, hat sie doch mittlerweile auch erkannt, dass man den Beschluss zu leichtfertig getroffen hat: Als die Wahl auf das Kunstgebäude fiel, sei den Entscheidern nicht klar gewesen, welche Konsequenzen das haben würde, sagte sie – und nannte die Termine, mit denen man fortan im Kunstgebäude rechnen müsse. Die aufwendige Umrüstung des Kuppelsaals zum Plenarsaal soll im März 2013 beginnen; rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl 2016 soll dann der Rückumzug über die Bühne gehen; der Landtag wird, wenn alles nach Plan läuft, dann rund zweieinhalb Jahre im Provisorium getagt haben.

Einerseits verliert die Kunst also Orte in der Innenstadt, andererseits aber – und das war vom Podium herab auch zu hören – könnte sie auch wieder welche gewinnen. Wie man Verluste an öffentlichem Räumen ausgleichen könnte, illustrierte der Ausstellungsdesigner Johannes Milla, der zum wiederholten Male dafür warb, das Neue Schloss für Bürger zu öffnen. Die Pläne, die er für sein „Bürgerschloss“ ausgearbeitet hat, sind charmant, umfassend und sehr konkret. Sein Masterplan reicht von einem Politiklabor für Schulkassen über einen Schlosskindergarten und einen Performance-Saal bis hin zum „Café Eckensee“. Mag sein, dass viele dieser Pläne nur auf dem Papier weiterleben werden, manche aber könnten den Sprung in die Wirklichkeit dann doch schaffen. Milla und Lösch erklärten übereinstimmend, dass die Landesregierung darüber nachdenke, einzelne Vorschläge aus dem Bürgerschloss-Konzept tatsächlich aufzugreifen – und zwar im Mitteltrakt des Schlosses, wo der Ministerpräsident mehr Repräsentationsräume habe, als er faktisch brauche.

Der Plan ist gut. Und man darf gespannt sein auf seine Umsetzung in rudimentärer Form: als „Neues Bürgerschlössle“.