Zentral oder dezentral Energie erzeugen? Am Hospitalhof in Stuttgart diskutieren Experten über das Stromnetz von morgen – und hadern mit der Energiewende.

Stuttgart - Die größten Sympathien bei den Zuhörern im Stuttgarter Hospitalhof erntete Gebhard Gentner am Montagabend mit diesem Satz: „Die Akzeptanz der Energiewende haben wir bei der Bevölkerung zum großen Teil verloren.“ Bei der Podiumsdiskussion, die zum Ende hin immer stärker vom Publikum geführt wurde, sprach der Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall zusammen mit zwei weiteren Experten über die Möglichkeiten, wie die Energiewende gelingen kann: Zentral gesteuert oder dezentral organisiert? Einfache Antworten konnte kein Diskutant liefern, denn zumindest darin waren sich alle einig: Die Lage ist sehr komplex.

 

Eingeladen hatten das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart (IZKT) und das Stuttgart Institute of Sustainability (SIS) im Rahmen der Gesprächsinitiative „Nachhaltige Lebenswelten“ (siehe 2. Seite). Der Moderator Helmut Bott, Professor für Städtebau und Entwerfen an der Universität Stuttgart, erwähnte gleich zum Einstieg in die Gesprächsrunde die für viele enttäuschende Nachricht, dass das Projekt Desertec, das in der Wüste Sahara Solarstrom für Europa produzieren sollte, wegen mangelnder Unterstützung der Gesellschafter eingestellt wird.

Presseberichten zufolge seien zum einen die Investoren unsicher, wie politisch stabil Nordafrika ist. Zum anderen habe Europa wegen des Booms an Solar- und Windkraftanlagen heute mehr Strom, als es brauche. „Heißt das, dass wir mit großen zentralen Energielösungen scheitern werden?“, fragte Bott in die Runde.

Das Aktivhaus B10 als Beispiel

„Wir haben den Weg zur dezentralen Energieversorgung eingeschlagen. Das ist unumkehrbar“, sagte Jonathan Busse. Er ist Mitbegründer und Geschäftsführer der AlphaEos AG. Das Stuttgarter Start-Up ist auf Intelligentes Wohnen, insbesondere für Energiemanagement, spezialisiert. Ein Beispiel ist das Aktivhaus B10 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung – ein Haus, das durch ein vorausschauendes Energiekonzept das Doppelte seines eigenen Erneergiebedarfs erzeugt.

So verwunderte nicht, dass Busse auch den Verbraucher in die Pflicht nahm: „Es führt kein Weg an der Vermeidung von Energieverschwendung vorbei.“ Ohne dass jeder einzelne bei der Energiewende mitspiele, werde es nicht funktionieren. Der Ausbau der erneuerbaren Energien durch private Initiativen in Deutschland sei hierfür ein Beispiel. „Nur mit den großen Konzernen wären wir heute nicht so weit“, sagte Busse. Er schränkte jedoch ein, dass dennoch zentrale Strukturen zur Stromverteilung benötigt würden.

Nur dezentral geht nicht

Doch nicht jedes Haus kann zum Aktivhaus umgebaut werden. Mit Blick auf die Wirtschaft warnte Hans Peter Schiffer vor einem ausschließlichen Fokus auf dezentrale Energieversorgung. „Die Industrie braucht Versorgungssicherheit“, sagte der Dozent für Wasserkraft und erneuerbare Energien an der Universität Stuttgart. Früher war Schiffer als Vorstand beim Technologiekonzern Voith und dort verantwortlich für Wasserkraft. Auch er könne sich vorstellen, dass die Energie dezentral produziert werde. „Die Frage ist aber, wie sie organisiert ist“, fügte er hinzu.

Der aktuelle Überschuss an Ökostrom führe zu einer „Verzerrung“ des Strommarktes, sagte Schiffer, und zu dem paradoxen Effekt, dass Strom aus Braunkohle wieder lukrativ für die Erzeuger werde, obwohl die Energiewende genau das verhindern wollte. „Die Technik stellt nicht das Problem dar, sondern die Marktstrukturen, die den Einsatz der Technik regeln.“ Wie diese Strukturen geändert werden müssten – diese Antwort blieb Schiffer allerdings schuldig: „Was volkswirtschaftlich richtig ist, da habe ich noch nicht das Maß aller Dinge gefunden.“

Gegenwind bei Windrädern

Gebhard Gentner von den Stadtwerken Schwäbisch Hall gab zu bedenken, dass man bei Diskussionen um die Energiewende „manchmal ein bisschen ideologisch wird“. Er plädierte für Blockheizkraftwerke und Nahwärmenetze, „aber kein Betreiber kann sich beim derzeitigen Strompreis an der Strombörse so etwas leisten“. Die Politik gebe hierfür auch keine Finanzierungsanreize. Man erwarte von den Stadtwerken unternehmerisches Handeln, aber ohne dass Risiken eingegangen werden dürfen. „Wir steuern auf die große, zentrale Offshore-Technologie zu, so ist es auch vom Gesetzgeber gewollt.“ Die dezentrale Onshore-Windkraft, also Windräder im Binnenland statt auf hoher See, hingegen gerate ins Hintertreffen. „Es macht keinen Spaß, Windkraftanlagen in Baden-Württemberg zu planen. Da bekommen sie unglaublich viel Gegenwind.“

Die Gesprächsreihe

Schwerpunkt
Das Internationale Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Uni Stuttgart und das Stuttgart Institute of Sustainability haben die Gesprächsinitiative „Nachhaltige Lebenswelten“ begründet. Die interdisziplinäre Reihe befasst sich mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, wie zum Beispiel Demografie, Klimawandel oder Mobilität. Pro Semester soll es drei Gesprächsrunden geben.

Termin
Am Montag, den 10. November, wird es um das Thema Sharing Economy gehen.