Der Ärger bei Dieselfahrern in Stuttgart ist groß. Ihnen war der Diesel als umweltschonend verkauft worden. Nun zeigt sich: alles heiße Luft. Fahrverbote und Wertverlust drohen. Bäckermeister Jürgen Frank hat regiert: Er fährt elektrisch.

Stuttgart - Wenn Rene Belmega aus Pattonville (Kreis Ludwigsburg) wieder geboren wird, dann nicht als Feinstaubmolekül. „Mein Feinstaubkarma ist ganz gut“, sagt er, „im Sommer fahre ich mit dem E-Bike zur Arbeit in den Stuttgarter Osten.“ Im Winter nutzt er das Familienauto, einen Mercedes Viano, da sei er wesentlich schneller als mit den Öffentlichen. Wenn von 2018 das Fahrverbot während des Feinstaubalarms auf besonders belasteten Straßen gelte, werde er Bus und Bahn nehmen. Sauer auf die Politiker ist er nicht. „Ich finde es eher traurig, wie sich eine der reichsten Städte so kurzperspektivisch verhält, man erkauft sich schlicht Zeit“, sagt er. Das Thema sei seit Jahren akut, „wenn es nach mir geht, soll das Auto ganz raus aus der Stadt.“

 

Auch der Fellbacher Thomas Haag ärgert sich über die Kurzatmigkeit der Politik. „Schon lange weiß man um das Problem, hätte man vor zehn Jahren reagiert und gesagt: Ab 2018 müssen Verbrennungmotoren raus aus der Stadt hätten sich alle darauf einstellen können.“ Doch nun enteigne man quasi die Dieselfahrer. Vor anderthalb Jahren hat er seinen VW Phaeton gekauft, mit dem er an den Arbeitsplatz an der Paulinenbrücke fahre, weil „ich das Auto im Job brauche“. Er arbeitet im Vertrieb, ist viel unterwegs, besucht Kunden. Wie sich das in Zukunft gestalte, sei ihm nicht klar. Der Dieselfahrer sei der Sündenbock, diese Maßnahme reiner Aktionismus.

Ärger über Politik und Industrie

Oliver Haaga, Besitzer einer Druckerei mit Sitz an der Tübinger Straße und in Echterdingen ärgert sich über die ganze Richtung. Fahrradstraße, Abbau von Parkplätzen, Straßensperren, einspurige Straßen, nun Fahrverbote – all das vergraule seine Kunden. Seine drei Diesel sind geleast. Früher habe man ihm gesagt, „sie sind das Umweltfreundlichste, was es gibt, nun gelten Sie als Dreckschleudern! Was denn nun?“

Frank Müller wohnt im Stuttgarter Westen. Er nutzt im Alltag das Rad und den Nahverkehr. Doch besitzt er auch ein Wohnmobil. „Ich müsste also gegen das Verbot verstoßen, um in den Urlaub zu starten oder nach Hause zu fahren.“ Aber klar sei, man müsse etwas tun. „Ich bin ein Anhänger der Verkehrsreduzierung in der Innenstadt, beklage da aber die nötige Bereitschaft vor allem bei Pendlern, umzudenken. Schon allein die Quote der Autos, in der morgens und abends nur eine Person sitzt, ist der Wahnsinn.“ City-Maut und günstigerer Nahverkehr hielte er für geeignete Instrumente.

In die Innenstadt fährt die Familie Dättel von Vaihingen aus immer mit der Bahn. Ihr Auto, einen California Multivan Baujahr 2012, wollten sie eigentlich noch lange fahren. Katja Dättel: „Doch wenn die Blaue Plakete kommt für Stuttgart, dann hätten wir ein Problem.“ Deshalb überlegen sie momentan, das Auto „jetzt noch zu verkaufen und einen T 6 mit Euro 6 Norm zu kaufen“. Sie ärgert sich, dass „die Politik und die Industrie den Diesel propagiert haben, obwohl sicherlich klar war, dass die Industrie bei den Abgaswerten manipuliert hat“. Sie wartet übrigens immer noch darauf, dass sich VW meldet und einen Termin für ein Software-Update vorschlägt.

Markthändler fürchtet teuren Austausch der Fahrzeuge

Die Pferdemetzgerei Beerwart aus Waiblingen steuert jeden Freitag Stuttgart an, um auf dem Wochenmarkt Wurst und Fleisch zu verkaufen. Den Verkaufswagen zieht ein Jeep mit Dieselmotor. Trotzdem sieht Rolf Beerwart Fahrverbote gelassen: „Wir haben Leasingfahrzeuge, unser derzeitiges ist ein Jahr alt, erfüllt also die Vorgaben.“ Raphael Fernandez aus Plochingen fährt mit seinem Diesel nach Stuttgart zu seiner Freundin. Er hofft, dass es eine Ausnahmeregelung für Anwohner und ihre Besucher gibt, für die Handwerker solle es ja auch Ausnahmen geben. „Die Stadt kann ja nicht verlangen, dass sich die Betroffenen ein neues Auto kaufen“, sagt er.

Das Käseparadies Widmann in Waiblingen-Beinstein beliefert Wochenmärkte in der Region und darüber hinaus. 25 Verkaufswagen wären von dem Fahrverbot betroffen. Diese sind auf dem Stuttgarter Wochenmarkt sowie in einigen Stadtteilmärkten präsent. „Ich weiß noch nicht, ob wir eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Falls nicht, wäre das existenzbedrohend für uns“, sagt Markus Widmann. Der Austausch der Spezialanfertigungen, würde das Unternehmen rund 2,5 Millionen Euro kosten. Erst vor wenigen Jahren hatte Widmann seine Dieselfahrzeuge umrüsten müssen, um die neuen Abgasnormen zu erfüllen.

Bäckermeister Jürgen Frank hat zwei Geschäfte in der Innenstadt. Seit drei Jahren hat er einen Mercedes Vito, der elektrisch angetrieben wird. „Das ist ein Pilotprojekt mit der Uni Karlsruhe“, sagt Frank, „220 Vitos wurden an Kleingewerbe in Stuttgart, und 200 in Berlin vergeben.“ Den Laptop, der Daten sammelte, „habe er in regelmäßigen Abständen mit der Post nach Karlsruhe geschickt. „Wir sind superzufrieden“, sagt er, „wir liefern morgens aus, anschließend können wir den Wagen aufladen.“ Die Reichweite beträgt 70 Kilometer im Winter, 110 Kilometer im Sommer. „Das reicht uns“, sagt Frank, „unsere Kunden sind in der Innenstadt und in Degerloch.“ 2018 läuft der Versuch aus, und Frank sucht nach Ersatz. Der ist aber nur mit Mühe zu finden. Mittlerweile hat er den Street Scooter im Blick. Das ist ein Lieferfahrzeug, das Studenten der Technischen Hochschule Achen entwickelt und gebaut haben. In 18 Monaten. Mittlerweile hat die Post das Unternehmen gekauft und baut 30 000 Fahrzeuge, um ihre Zustellautos zu ersetzen. Frank: „Es ist sehr schwierig, einen zu bekommen, aber es scheint so, dass wir im März zum Zug kommen.“

Handwerker reift zur Selbsthilfe

Er ist damit eine große Ausnahme. Von den 25 000 Fahrzeugen der Stuttgarter Handwerker sind knapp 19 000 Diesel. Etliche Handwerker würden gerne Lieferwagen mit elektrischem Antrieb kaufen, ärgern sich aber darüber, dass „vor allem die deutschen Hersteller das völlig verschlafen haben“. In Nordrhein-Westfalen hat der Bäckermeister Roland Schüren zur Selbsthilfe gegriffen. Er will seine Erdgasautos ersetzen, fand aber keine Lieferwagen auf dem Markt. Jetzt sammelt er von Kollegen 100 Bestellungen und wird dann eine Ausschreibung an Hersteller und Umrüster schicken.

Binnen kurzer Zeit hat er die Zahl fast erreicht. Anfragen kamen auch aus Stuttgart. Der Name des neuen Autos: Bakery Vehicle 1.