Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer müssen in der Flüchtlingspolitik einen gemeinsamen Nenner finden. Gelingt es ihnen schon in dieser Woche, einen Kompromiss zur Begrenzungder Zuwanderung auszuhandeln?

Berlin - Es ist noch längst nicht alles wieder gut zwischen den beiden Schwestern. Das hat sich am Wochenende beim Bundestreffen der Jungen Union gezeigt, als die CSU-Delegation aus Bayern mit verschränkten Armen und ohne Applaus die Parteivorsitzende und den Generalsekretär der CDU begrüßte. Als Angela Merkel und Peter Tauber den Saal in Paderborn betraten, blieben die jungen Christsozialen demonstrativ sitzen.

 

Dabei haben sich die Streithähne inhaltlich schon weit angenähert. Da war der Auftritt der Kanzlerin nach der verlorenen Berlin-Wahl, als sie einräumte, dass ihr „Wir schaffen das“ vielen zu wenig war, und sie sich wünschte, die Uhr zurückdrehen zu können. In ihrer Paderborner Rede ging Merkel wieder auf die bayerischen Befindlichkeiten ein, in dem sie eine stärkere Bekämpfung der Fluchtursachen gelobte und mehr Abschiebungen nicht anerkannter Asylbewerber ankündigte: „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden.“

Am Ende von Merkels Rede, in der sie für eine konsequente Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wie der Wirtschaft in Deutschland warb, applaudierten denn auch einige JU-Delegierte aus dem Freistaat. „Das war eine starke Rede zu den Zukunftsthemen dieser Republik“, lobte der bayerische Landesvorsitzende Hans Reichhart: „Wir müssen aber noch Vergangenheitsbewältigung betreiben.“

In München ist von „null Annäherung“ die Rede

Da ist sie wieder, die noch ungelöste Frage einer Obergrenze, die andere Annäherungen überlagert. Sonst läuft es nämlich zurzeit ganz gut zwischen Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, der erst am Freitag mit der Einigung auf die künftigen Finanzbeziehungen von Bund und Ländern einen ihm wichtigen Punkt abhaken konnte. Das wiederum verleitete Merkel zur Aussage, die Verständigung „freut Bayern besonders“. Damit beförderte sie sofort Spekulationen, ob ihre nachgiebige Haltung in der Finanzfrage ebenfalls Teil ihrer Bemühungen war, auf Bayerns Ministerpräsidenten zuzugehen. In puncto Obergrenze aber gibt es bisher „null Annäherung“, wie aus der Münchner Staatskanzlei zu hören ist.

Der CSU-Vorsitzende unterstützt die CDU-Chefin in ihrem Bestreben, die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge über mehr Entwicklungshilfe, konsequenteren EU-Außengrenzschutz und Rücknahmeabkommen mit Nachbarländern zu reduzieren. Die Absichtserklärung Merkels, alles dafür zu tun, dass sich eine Lage wie im Herbst 2015 nicht wiederholt, reicht Seehofer aber nicht. Er will darüber hinaus eine gesetzlich fixierte Garantie, dass im Falle einer erneuten Masseneinwanderung automatisch ein Begrenzungsmechanismus greift. „Dieses Kernelement werde ich nicht aufgeben, nur damit Harmonie herrscht“, hat Seehofer jetzt bekräftigt. Immerhin lehnt die Kanzlerin mit Verweis auf das Grundgesetz seit Kurzem nur noch eine „statische Obergrenze“ entschieden ab.

Kompromiss zu „Obergrenze“ bei Flüchtlingszahlen

Wie eine flexible Auslegung des Begriffs aussehen könnte, zeichnet sich nur in groben Zügen ab. Der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach ebenfalls in Paderborn von einem „Einwanderungsbegrenzungsgesetz“, deutete aber auch Kompromissbereitschaft an: „Wir werden das Konzept der Obergrenze nicht aufgeben. Wir werden aber versuchen, einen gemeinsamen Weg mit der CDU zu gehen.“

Am Freitag hatte es ein weiteres Gespräch zwischen Merkel und Seehofer unter vier Augen im Kanzleramt gegeben – in ähnlich konziliantem Ton. Da ist zwar im Umfeld von Seehofer einerseits davon die Rede, dass es in der Sache „nichts Neues“ gegeben habe. Andererseits werden der gute Wille und die jüngsten Einigungen zur Erbschaftssteuer und zu den Bund-Länder-Finanzen als „hilfreich“ bezeichnet: „Die Chancen steigen, dass wir uns einigen.“ Einen konkreten Termin für ein Folgetreffen gibt es noch nicht. Doch glauben nicht wenige in Berlin und München, dass in dieser Woche etwas passieren muss, also der Versuch einer endgültigen Aussprache ansteht. Es soll „eine echte Lösung sein, nicht nur ein Formelkompromiss“.

Die zugehörige Lesart der CSU, die am 4. und 5. November in München zu ihrem Parteitag zusammenkommt, geht so: Weil es ein wenig Zeit brauche, um der Basis eine mögliche Versöhnung des Spitzenpersonals kommunikativ zu verkaufen, müsse es in diesen Tagen dazu kommen. Sonst nämlich wäre ein Auftritt der Kanzlerin in München mit entsprechenden Jubelbildern nicht mehr zu machen.

Merkels Signale für eine weitere Kanzlerkandidatur

Im Umkehrschluss wäre es dann auch schwer hinzubekommen, dass Seehofer Anfang Dezember zum CDU-Parteitag nach Essen kommt, wo Merkels Wiederwahl als Bundesvorsitzende ansteht und ihre erneute Kanzlerkandidatur ausgerufen werden könnte. Ohne sichtbare Rückendeckung durch die CSU könnte Merkel sich eventuell gegen einen erneuten Griff zur Macht entscheiden. Weil es eben noch keine Einigung gibt, so heißt es aus dem Kanzleramt, lässt Merkel ihre erneute Kandidatur weiter offen. Auch beim JU-Tag kam sie dem offen geäußerten Wunsch nach Klarheit in der Kandidatenfrage nicht nach.

In der CDU wird die Dringlichkeit, den wunden Punkt zwischen beiden Schwesterparteien zu heilen, dagegen unterschiedlich eingeschätzt. „Wer wen wann zum Parteitag einlädt, ist nachrangig“, meint etwa Generalsekretär Tauber: „Wichtiger ist ein Signal der Verständigung, und da sind wir auf einem guten Weg.“ Das soll wohl heißen, dass eine schnelle Lösung, die nur auf die Choreografie der Parteitage zielt, wenig bringt. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ mahnte Tauber am Sonntag eine Einigung „bis zum Jahreswechsel“ an. Paul Ziemiak, Bundeschef der Jugendorganisation, ist anderer Meinung: „Wir brauchen eine Einigung spätestens zum CDU-Parteitag.“ Wer Merkels Paderborner Rede verfolgt hat, kann kaum Zweifel daran hegen, dass sie eine vierte Amtszeit anstrebt. Als die Kanzlerin sagte, dass sich „in den nächsten fünf Jahren“ entscheide, ob Deutschland auch im Digitalzeitalter erfolgreich sein könne, klang das, als wolle sie diese Zeit aktiv mitgestalten. Und sie sprach so engagiert über die nächste Wahl, bei der es gelte, „mit einer starken CDU und einer starken CSU Rot-Rot-Grün in Deutschland zu verhindern“, dass kaum einer der Anwesenden ihre Rolle mehr infrage stellen mochte.

CSU-Generalsekretär Scheuer nahm fast schon die Kandidatenkür vor, als er die Kritik eines CSU-Delegierten konterte, der der CDU „eine desolate Parteiführung“ bescheinigte. Dann setzte Scheuer sogar noch hinzu, die Union müsse auch nach 2017 „die Kanzlerin stellen“. Aber da ist eben noch die Geschichte mit der Obergrenze, die dem im Wege steht.