Der DJ Westbam hat eine literarische Liebeserklärung an das Nachtleben veröffentlicht. Mit Ingmar Volkmann hat er über durchkokste Partys, Schopenhauer und die Musik der vergangenen 30 Jahre gesprochen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die vergangene Woche war sicherlich eine der emotionaleren im Leben des Maximilian Lenz. Lenz, als DJ und Musikproduzent in Deutschland besser bekannt unter seinem Pseudonym Westbam, hat innerhalb von fünf Tagen erst seinen Mentor und Entdecker William Röttger verloren, dann seinen 50. Geburtstag gefeiert und schließlich mit dem Buch „Die Macht der Nacht“ ein sehr lesenswertes Sittengemälde der vergangenen 30 Jahre Popkultur abgeliefert.

 

Dass Westbam nicht nur Ton, sondern auch Text kann, ist einerseits überraschend. Seine Hits wie „Sonic Empire“ oder „Celebration Generation“ hätten nicht darauf schließen lassen, dass Lenz sich wie in seinem Buch geschehen mit Seneca und Schopenhauer auseinandersetzt und vor allem ein reflektierter Beobachter seines Umfelds, aber auch seiner eigenen Wirkung ist. Andererseits ist Westbam einer – wenn nicht der – Übervater der ravenden Gesellschaft der 90er Jahre. Vielleicht steht er sogar stellvertretend für den hemmungslosen Hedonismus dieser Dekade, für die Abkehr vom Politischen und die Hinwendung zum drei Tage wach und Boing, Bummtschak des Beats. Als Erfinder des Riesen-Rave-Events Mayday, als Hitproduzent, als Fastschwager von DJane Marusha, (sie war mit seinem Bruder Fabian liiert), war Westbam Mittelpunkt der Raving Society der 90er.

Mit Kokainpaste an der Nasenspitze

Der DJ und Produzent selbst stammt aus gutem Hause: Sein Vater Otto Lenz war Professor für Kunstpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Münster. Seine ersten musikalischen Gehversuche macht Westbam als Punk. Mit seiner Band Kriegsschauplatz tritt er 1981 neben Gruppen wie Einstürzende Neubauten oder Die Tödliche Doris beim „Festival Genialer Dilletanten“ im Berliner Tempodrom auf. Später produziert er Musik für einen zappelnden elektronischen Mainstream.

Maximilian Lenz beschreibt in „Die Macht der Nacht“ eindrücklich, wie er mit Kokainpaste an der Nasenspitze durch den Rotterdamer After-Hour-Morgen schwebt. Auch sonst scheint er kaum einer Substanz abgeneigt gewesen zu sein. Der ravenden Gesellschaft hat nicht Red Bull Flügel verliehen, sondern Speed, Ecstasy und Kokain, wie Westbam in seinem Buch eindrucksvoll belegt. Was wohl seine eigenen Söhne nach der Lektüre dieses Werks sagen? „Wenn man Kinder vom Drogennehmen abhalten will, ist es das Beste, was man machen kann, sie selbst zu nehmen. Denn Kinder wollen sich in unserer Kultur von den Eltern abheben“, so Westbam. Im Kontrast zum Drogenkonsum, der im Buch geschildert wird, stellt er dem Werk ein Zitat von Seneca voraus, der Stoiker war und Verzicht predigte. „Den Seneca-Satz ,Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen schleift es mit sich’ habe ich als 17-Jähriger entdeckt. Technokultur ist aber eher aus der ,Mehr-hilft-mehr-Schule’ und daher kein direkter Ausläufer des Stoizismus“, sagt Lenz.

„New Wave war der letzte große Reformversuch“

Der Römer Seneca ist auch gar nicht der Lieblingsdenker des Westfalen, Schopenhauer hat es ihm mehr angetan. „Dass die Jagd nach dem nächsten Spaß häufig Leid und Desaster mit sich bringt, davon handelt mein Buch unter anderem auch“, sagt er. Jetzt muss aber kein Techno-Fan Angst haben, dass es sich bei „Die Macht der Nacht“ um einen tiefenphilosophischen Monolog handelt. Es geht vor allem um Musik, um alles, was nach Rock’n’Roll kam. „New Wave war so etwas wie der letzte große Reformversuch von Rock’n’Roll durch Gesundschrumpfen“, heißt es in dem Buch.

„Ich versuche, die Geschichte von den letzten Tagen von Rock’n’Roll bis zur Technopostmoderne zu erzählen. Wenn man erst mal in der Postmoderne angekommen ist, wie Rock’n’Roll 1980, gibt es ästhetisch nicht mehr viel Neues zu erzählen. Deshalb geht, für viele etwas überraschend, meine Erzählung hauptsächlich bis 1997, weil da Techno genau am selben Punkt angelangt war“, sagt der Musik-Vernarrte.

Womit wir zum Schluss beim einzigen Kritikpunkt an „Die Macht der Nacht“ angelangt wären: Gerne hätte man noch mehr über den aktuellen Westbam erfahren, der sich 2013 mit „Kick it like a Sensei“ und Kollaborationen mit Iggy Pop neu erfunden hat. Vielleicht im nächsten Buch?