Der DNA-Experte Manfred Kayser sieht eine Chance vergeben, wenn die Herkunft von Verdächtigen nicht bestimmt werden dürfte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)
Stuttgart - - Der DNA-Experte Manfred Kayser plädiert dafür, dass die immensen Erfolge der Wissenschaft auch in den praktischen Ermittlungen der Polizei Anwendung finden. Die neuen forensischen Möglichkeiten müssen auch genutzt werden, meint der Biologe.
Herr Professor Kayser, ist die deutsche Gesetzeslage zur DNA-Analyse noch zeitgemäß?
Nein. Sie stammt aus einer Zeit, als man nur Identität und Geschlecht bestimmen konnte und somit auch nichts weiter wollte. Die Wissenschaft hat in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht. Die Bestimmung von Aussehen, Alter und geografischer Abstammung eröffnet neue forensische Möglichkeiten, die aber bisher nicht genutzt werden dürfen. Wenn die Gesellschaft das will, muss man die Gesetzgebung dementsprechend anpassen.
Wie weit ist die Wissenschaft denn?
Validierte DNA-Tests erlauben es, Augen- und Haarfarbenkategorien mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, einen validierten Hautfarbentest haben wir gerade in Arbeit. An weiteren äußerlich-sichtbaren Körpermerkmalen wird geforscht. Ein validierter DNA-Test zur Altersabschätzung kommt sicher bald. DNA-Tests zur geografischen Abstammung erlauben eine kontinentale Zuordnung, an einer detaillierteren Eingrenzung wird gearbeitet.
Sind wir damit auf dem Weg zum gläsernen Menschen, wie zuweilen gewarnt wird?
Ich halte dieses Argument für falsch, was die forensische Nutzung angeht. Wir schauen mit dieser genau definierten Art der erweiterten DNA-Analyse nicht in einen Menschen hinein, sondern allein auf den Menschen drauf. Es geht um äußerlich-sichtbare Körpermerkmale. Diese sind nicht nur der Person selbst bekannt, sondern allen, die sie kennen und gesehen haben.
Es geht also nicht um ein „DNA-Passbild für alle Bürger“, wie Kritiker fürchten?
Nein. Zum einen geht es nicht um alle Bürger. Diese DNA-Analyse wird nur von solchen Tatortspuren gemacht, bei denen der Spurenleger den Ermittlungsbehörden noch nicht bekannt ist, es also keinen Treffer in der DNA Analysedatei gibt. Zum anderen: das Aussehen ist keine Privatsache. Im deutschen Reisepass stehen Körpergröße, Augenfarbe, und Geburtsdatum. Ein farbiges Passbild zeigt Haarfarbe, Glatze (falls ausgeprägt) und Gesicht. Die erweiterte DNA-Analyse, um die es hier geht, ergibt nichts anderes.
Baden-Württemberg will die geografische Abstammung nicht ermitteln lassen. Vergibt man damit eine Chance?
Auf jeden Fall! Ein Beispiel: die Kombination von braunen Augen und schwarzen Haaren gibt es überall auf der Welt. Es kann sich um einen Europäer, Asiaten oder Afrikaner handeln. Bei der Suche nach einem Unbekannten kann das von essentieller Wichtigkeit sein. Mit der geographischen Abstammungsanalyse kann ich das sehr gut unterscheiden.
Sehen Sie die Gefahr des „racial profiling“?
Das wäre ein Problem, wenn wir bestimmte Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Weltregionen weitaus genauer aus der DNA bestimmen könnten als andere. Das ist aber nicht so. Insofern teile ich diese Sorge nicht.
Sie arbeiten in den Niederlanden, wo die rechtlichen Möglichkeiten schon seit 2003 weiter sind. Mit welchen Erfolgen?
Das ist nicht ohne weiteres zu sagen. Diese Art der DNA-Tests spielen bei den Ermittlungen sehr früh eine Rolle. Welches Indiz letzten Endes zielführend war, wird zumindest nicht veröffentlicht.
Was raten Sie dem deutschen Gesetzgeber?
Wichtig ist, den Zweck und die Nutzung der DNA-Analyse im Gesetzestext zu verankern. Wissenschaftliches Wissen sollte dort nicht stehen, weil sich Wissenschaft stetig weiterentwickelt, und derartige Passagen später unpassend oder gar falsch werden können. Ein Beispiel: Die derzeitige deutsche Rechtslage erlaubt nur die forensische Nutzung sogenannter nicht-kodierender DNA-Abschnitte. Das wissenschaftliche Verständnis dafür, was nicht-kodierend ist, hat sich jedoch seither sehr gewandelt. Einige der DNA- Marker, die Augen- und Haarfarbenbestimmung erlauben, sind nach dem damaligen Wissenschaftsstand nicht-kodierend.