Manfred Theilacker aus Oberstenfeld hat acht Jahre lang die Geschichte der Spiegelberger Spiegelglashütte erforscht. Jetzt hat der 74-jährige Seniorstudent an der Universität Stuttgart seine 800-seitige Doktorarbeit über die Glashütte vorgelegt.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Spiegelberg - Es ist eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Heute würde man wohl von Managementversagen sprechen. Aber die Handlung spielt ja anno dazumal. Die wissenschaftliche Erzählung der Historie der Spiegelberger Spiegelglashütte beginnt Anfang des 18. Jahrhunderts. Manfred Theilacker aus Oberstenfeld (Kreis Ludwigsburg) hat acht Jahre lang geforscht und geschrieben, „jeden Tag, auch an den Wochenenden“, wie er sagt. Jetzt hat der 74-jährige Student der Universität Stuttgart seine 800-seitige Doktorarbeit vorgelegt. Sie trägt den etwas sperrigen Titel „Kulturgut Glas und Spiegel – Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Spiegelfabrik Spiegelberg – ein Regiebetrieb des Herzoglichen Kirchenrats“ und wurde mit der Bestnote magna cum laude bewertet, mit sehr gut.

 

Wobei es dem Doktorvater Franz Quarthal offenbar nicht immer ganz leicht gefallen ist, sich durch das Mammutwerk zu beißen. In seinem Gutachten lobt der inzwischen emeritierte Professor die große Detailkenntnis des Autors. Theilackers „mikroskopischer Blick auch auf kleine historische Einzelheiten“ sei aber auch ein Problem der vorgelegten Arbeit, die der Doktorand schließlich „nach intensiven Beratungsgesprächen“ gegenüber dem ursprünglichen Entwurf fast die Hälfte gekürzt habe. Manfred Theilacker hatte zunächst rund 1400 Seiten eingereicht.

„Der Mensch hat sich nicht geändert“

Wer den frische gebackenen Herrn Doktor trifft, der bekommt außer ungezählten Details über die Eröffnung und das schlussendliche Scheitern der Hütte nach rund 100 Jahren jede Menge unterhaltsame Anekdoten serviert. Etwa die Geschichte vom ersten Pächter der Spiegelglashütte, der offenbar ein rechter Hallodri gewesen sein muss. Er habe geflucht, getrunken, sei wohl ein Schürzenjäger gewesen. Theilacker sagt mit einem Feixen im Gesicht: „Der Mensch hat sich nicht geändert.“ So eine (Wirtschafts-) Geschichte könnte sich ganz bestimmt jederzeit wiederholen.

Mit seiner umfangreichen Studie über ein württembergisches Einzelunternehmen in der vorindustriellen Phase betrete Theilacker Neuland, schreibt der Zweitgutachter Gert Kollmer-von Oheimb-Loup. Er beleuchte in der Arbeit auch die sozialen Verhältnisse zu jener Zeit im Raum Spiegelberg, die Personalentwicklung der Hütte und die Bedeutung der Spiegelmanufaktur im regionalen, nationalen und internationalen Handel mit Glas und Spiegeln im 18. Jahrhundert. Theilacker könne „in überzeugender Weise“ zeigen, dass die Gründe für das Scheitern der Hütte auf die vorgegebene staatliche Verwaltungsstruktur und die Unfähigkeit der Pächter und Verwalter zurückzuführen sei, so der Befund des Historikers.

Das Promotionsstudium war ein Fulltime-Job

Manfred Theilacker ist eigentlich gelernter Kaufmann und Betriebswirt. Er war rund 25 Jahre lang bei Siemens beschäftigt. Mit Mitte fünfzig habe er vom Arbeitgeber ein lukratives Ausstiegsangebot bekommen und dieses sofort angenommen. Er habe schon immer Philosophie studieren wollen – und das dann auch eine Zeit lang an der Fernuni Hagen getan. Später war er Gasthörer im Studium generale an der Uni Stuttgart. Mit 65 hat er dann sein Geschichtsstudium begonnen. Eher zufällig sei er eines Tages über die Historie der Spiegelglashütte gestolpert – und hatte sein Thema für die Doktorarbeit. Im Rückblick sagt er: Das Promotionsstudium sei ein Fulltime-Job gewesen, er sei mehr eingespannt gewesen als zu seiner Zeit bei Siemens. Seine Gattin habe sein Treiben halt „erduldet“, sagt der Historiker.

Mit Blick auf die Spiegelglashütte konnte selbst der Fachmann Theilacker allerdings eine Frage nicht allumfassend beantworten: Waren die Spiegel aus Spiegelberg von schlechter Qualität? Einige Quellen bestätigen diese Einschätzung. Er habe aber auch eine Anekdote aus dem Staatsarchiv in Stuttgart gewühlt, die anderes vermuten lässt. Herzog Karl Eugen von Württemberg habe einmal einen besonders schönen Spiegel aus Venedig mit nach Hause gebracht – und von seiner Spiegelberger Manufaktur verlangt, auch solch hochwertige Produkte herzustellen. Schließlich habe sich aber herausgestellt, dass dieser Italienimport in Spiegelberg gefertigt wurde.

Die Doktorarbeit ist also abgeschlossen. Was nun? Fährt Manfred Theilacker vielleicht endlich mal wieder mit seiner Gattin in den Urlaub? Er guckt erstaunt und sagt dann: „Eine gute Idee.“ Aber zunächst müsse er sein zweites Buchprojekt beenden, kündigt er an. Er schreibt zurzeit an einem Werk, das am Ende den Titel „Die kluge Sprache“ tragen soll. Außerdem wolle er unbedingt sein Studium generale an der Uni Stuttgart fortsetzen.