Hubert von Goisern hat die Neue Volksmusik mit erfunden. Aber wiederholen mag er sich nicht, wie der Dokumentarfilm von Marcus H. Rosenmüller zeigt. Lieber spielt er auf afrikanischen Dorfplätzen, als in Musikgeschäftroutine zu versacken.

Stuttgart - Bei Sonnenaufgang fährt er mit dem Boot raus auf den Hallstätter See – zum Fischen. Ein paar Kilometer von seinem Heimatort entfernt hantiert Hubert von Goisern mit seiner Angelrute und erzählt, wie er derjenige wurde, der er ist: Sein Großvater hatte ihm einst eine Ziehharmonika geschenkt. „Opa, i find des so ein greisliches Instrument“, fand der Enkel, der damals noch um die Welt stromerte und noch Hubert Achleitner hieß, „und i mog die Leit nit, die so was spühn.“

 

Die Legende geht dann so, dass er das Instrument einfach ungenutzt stehen ließ, bis er sich Jahre später betrunken an seiner Zerstörung versuchte. Dabei entdeckte er den Klang, den er als „Wahnsinn“ empfand. Der Rest ist Geschichte: Hubert von Goisern hat mit seiner Ziehharmonika Furore gemacht, er hat Pop- und Volksmusik miteinander verschmolzen und unter der Rubrik „Neue Volksmusik“ ein Genre geprägt, dessen heutige Selbstverständlichkeit damals nicht vorauszusehen war.

Afrika statt Popstar-Rummel

Diese außergewöhnliche Geschichte einer musikalischen Laufbahn, die relativ spät begann, erst so um die Vierzig, und die seit 25 Jahren die abenteuerlichsten Wendungen nimmt und die unerwartetsten Erfolge feiert, vermengt der bayerische Regisseur Marcus H. Rosenmüller mit der Geschichte des Menschen Hubert.

Der wiederum neigt dazu, immer dann was anderes zu machen, wenn auch nur die Gefahr droht, dass sich in Kunst oder Leben Monotonie einschleichen könnten: Als sich Hubert von Goisern Mitte der neunziger Jahre mit seinem ziehharmonikabefeuerten Duoprojekt Alpinkatzen endlich so was wie einen Popstar-Status erspielt hatte, fand er es plötzlich spannender, gratis auf schwierig zu erreisenden Dorfplätzen in Westafrika aufzutreten als für Geld in gut gefüllten Hallen daheim.

Und nachdem er – nun inspiriert von afrikanischer und tibetischer Folklore – die traditionellen Weisen seiner Heimat im Salzkammergut für ein Pop-Publikum erschlossen hatte, fuhr er zwei Sommer lang mit einem Konzertschiff die Donau entlang und spielte auch dort, wo ihn niemand kannte und keiner Eintritt zahlte. Seinen ersten Nummer-eins-Hit in Österreich „Brenna tuat’s guat“ konnte der vielleicht leidenschaftlichste Ausbrecher und Wiedereintaucher der deutschsprachigen Popmusik erst 2011 platzieren. Und Anfang Mai kommt sein starkes neues Album „Federn“ (Live-Kostprobe im Film), das einerseits konsequent nach Hubert von Goisern klingt – und andererseits wieder anders als zuvor.

Es brennt schon lange

Hubert von Goiserns Reflexionen über das Dasein als solches und seine eigene Rolle darin inszeniert Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot“) im Angesicht des Seewassers oder langjähriger Weggefährten. Und dann spiegelt er die Erkenntnisse eines großen Künstlers mit selten gesehenem Beweismaterial aus dem Archiv. Hubert jodelnd in Dakar, improvisierend in Kairo, rockend irgendwo in Österreich, wo sein erster Hit „Koa Hiatamadl“ ein Erdbeben ausgelöst hat, das ihm selbst bald unheimlich wurde.

„Leben ist Verschwendung“, räsoniert Hubert von Goisern auf seinem Boot am See. Marcus H. Rosenmüllers Dokumentation „Brenna tuat’s schon lang“ zeigt, dass es bei diesem Ausnahmemusiker schon lange gebrannt hat. Beziehungsweise, dass es gut ist, wenn’s mal glimmt, mal kokelt und dann wieder lichterloh lodert. Eine feine Lebensinspiration nicht nur für Fans.

Hubert von Goisern – Brenna tuat’s schon lang. Deutschland 2015. Regie: Marcus H. Rosenmüller. Dokumentarfilm. Mit Hubert von Goisern, Xavier Naidoo, Wolfgang Niedecken. Ohne Altersbeschränkung. Am Mittwoch, 29. April, kommt Hubert von Goisern um 19.30 ins Kino Delphi.