Seit Jahrhunderten wird die schwächelnde Donau in Tuttlingen zu einem stattlichen Gewässer aufgestaut. Doch wegen einer neuen europäischen Wasserrichtlinie stellt das Umweltministerium das Wehr in Frage. Jetzt tobt der Volkszorn.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Tuttlingen - Am Steg hängt ein Banner. „Tuttlingen ohne Donau ist wie Spätzle ohne Soß’“, steht darauf. Was darunter fließt, sieht tatsächlich wie Soße aus. Im Sommer, wenn der längste Strom Mitteleuropas wenige Kilometer nach der Quelle im Karst versickert, ist es nicht viel, was in Tuttlingen ankommt. Dieser Tage wird das besonders deutlich. Normalerweise staut ein Wehr die Donau zweieinhalb Meter hoch. Doch jetzt wird dessen Standfestigkeit geprüft. „Da musste das Wasser abgelassen werden“, sagt Thomas Kienzle. Dass die Tretboote, die der 63-Jährige als Vorsitzender des örtlichen Heimatforums spendiert hat, nun auf dem Trockenen liegen, sei zu verschmerzen. Schlimm wäre nur, wenn es dabei bleiben würde.

 

Tatsächlich ist um den Wasserspiegel ein heftiger Streit entbrannt, bei dem es nicht nur um Tretboote, sondern auch um das Selbstverständnis der 36 000-Einwohner-Stadt geht und um den Kampf Menschheit gegen Bachflohkrebs. Seit Jahrhunderten wird die Donau in Tuttlingen gestaut. Früher waren die Mühlen und Gerber zu versorgen. Heute dient das Wehr nur zur Zier. Trotzdem füllen täglich Leserbriefe den örtlichen Gränzboten. Und wenn sich Kienzle und seine Mitstreiter freitags auf den Markt stellen, um für die Erhaltung des sommerlichen Donaustaus zu kämpfen, kann er sich lange Erklärungen sparen. „Wo kann ich unterschreiben?“, fragt ein Mann, den Stift in der Hand. Schon kommt der nächste.

Der Umweltminister spricht ein Machtwort

„So eine Bürgerbewegung hatten wir hier noch nie“, sagt Kienzle. Jürgen Hilscher steht da auf verlorenem Posten. „Eigentlich“, sagt der Mann vom Wasserwirtschaftsamt des Kreises Tuttlingen, „müssten wir das Wehr ganz entfernen.“ Das sei die logische Konsequenz aus der europäischen Wasserrichtlinie. Sie will die Wasserqualität verbessern, Flüsse wieder fließen lassen und die Gewässer für Fische und Kleinstlebewesen durchgängig machen. Lange stand deshalb eine Totalabsenkung im Raum. Mit dem Segen des Stuttgarter Umweltministeriums soll es jetzt wenigstens einen Meter nach unten gehen. Auf weniger will sich der Umweltministers Franz Untersteller (Grüne) nicht einlassen. Der Kompromiss reize den Spielraum der Behörden voll aus, so der Minister. Doch seit sein Machtwort publik wurde, ist der Grüne im schwarzen Tuttlingen ein rotes Tuch. „Die Bösen sitzen nicht in Brüssel“, stellte der Baubürgermeister Willi Kamm (SPD) klar . „Der Böse ist Untersteller.“

Das Niveau sei tief gesunken, murmelt Stefan Helbig. Der Erste Landesbeamte und Landrats-Stellvertreter repräsentiert die Genehmigungsbehörde und weiß eigentlich schon, wie zu entscheiden ist. Die Grundlage bilde ein Gutachten, das die Stadt Tuttlingen selbst in Auftrag gegeben habe. „Wie viel Stau verträgt die Donau?“, lautete der Titel. Darin kommt der Experte zu dem Schluss, dass die seit einigen Jahren praktizierte Totalabsenkung in den fünf wasserreichen Wintermonaten viel gebracht habe. Fließwasserfische wie Nasen, Elritzen, Äschen und Groppen hätten die Donau besiedelt. Am Wehr sei die Wasserqualität gut. Dennoch, so der Gutachter, sei auch für den Sommer die Absenkung um wenigstens einen Meter zu empfehlen. Dies verbessere die Durchwanderbarkeit für den Bachflohkrebs und die Eintagsfliegenlarve und halbiere die Stauwirkung. Vor allem würde sich dies günstig auf die Problemzone, den oberhalb gelegenen „Tuttlinger Schlauch“ auswirken. Dort steht das Wasser im Sommer in einer geraden Betonwanne. Künftig könnte es wieder fließen.

Der Gegenspieler sieht aus wie Jürgen Klopp

Aus fachlicher Sicht gebe es keine zwei Meinungen, sagt Hilscher. Doch ausgerechnet Michael Hensch, der Umweltbeauftragte der Stadt Tuttlingen, ist sein entschiedenster Gegenspieler. Der 56-Jährige, der ein bisschen wie Jürgen Klopp aussieht, arbeitet seit 26 Jahren bei der Stadt und hat für die Ökologie manche Sträuße ausgefochten. Doch diesmal ist er anderer Meinung. Hier gehe es um das historische Stadtbild, sagt er und deutet auf einen Kupferstich von Matthias Merian aus dem Jahr 1643. Da ist bereits ein Wehr zu sehen. Mit der kleinen Landesgartenschau 2003 habe man das Ufer umgestaltet und die Donau für die Bürger erlebbar gemacht. Die Menschen säßen am Ufer, Jugendliche sprängen – etwas verbotener Weise zwar – von den Brücken ins Wasser, die DLRG komme zum Tauchtraining, einmal im Jahr gibt es einen Triathlon. All dies wäre bei einer Absenkung nicht mehr möglich. Zudem werde der Baumallee am Ufer das Wasser abgegraben. Der ökologische Nutzen sei dagegen minimal. „Was bringt mir eine Durchwanderbarkeit, wenn an 200 Tagen im Jahr sowieso kein Schwarzwaldwasser ankommt?“ Der Minister ignoriere die Besonderheit der Donauversickerung.

Auch Guido Wolf steht in der Kritik

Für Hensch hat es auch Guido Wolf (CDU) verbockt. Als Landrat habe es der heutige Justizminister versäumt, mit allen Beteiligten eine Lösung zu suchen. Wolfs Versuch, den Aufruhr in seinem Wahlkreis durch die Entsendung der Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, Gisela Erler, zu befrieden, schlug fehl. Die Sache sei ja entschieden, da komme eine Bürgerbeteiligung zu spät, urteilte die Grünen-Politikerin.

Der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck (CDU) ist dennoch fest entschlossen, nach Abschluss der Standfestigkeitsprüfung den gewohnten Sommerstau wieder zu beantragen. „Notfalls gehen wir bis zum Europäischen Gerichtshof“, sagt Hensch. Bis der Fall entschieden ist, dürfte noch viel Wasser im Donaubett versickern.