Im Betrugsprozess gegen den Radprofi Stefan Schumacher sind die Plädoyers gehalten. Das Verfahren ist bisher einzigartig in Deutschland. Am Dienstag wird das Urteil verkündet.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Das letzte Wort hat Stefan Schumacher. Fünf Jahre sind vergangen, seit sein Fall im Oktober 2008 mit Bekanntwerden einer positiven Dopingprobe begann. An diesem Dienstagnachmittag steht der 32-Jährige vor dem Landgericht Stuttgart, Saal 6. Es ist der 18. Verhandlungstag in diesem Betrugsverfahren, das mit einer Hausdurchsuchung am 9. Oktober 2008 seinen Anfang nahm und im Mai 2010 in einen Prozess mündete. Sechs Stunden wurden die Plädoyers gehalten, nun erhebt sich der Radprofi. Er stemmt die Hände auf den Tisch, er, Stefan Schumacher, der Angeklagte, hat jetzt das Schlusswort. „Ich kann nur sagen: Ich habe Hans Holczer definitiv nicht betrogen – was nicht heißt, dass ich keine Fehler gemacht habe.“

 

Das vom deutschen Sport samt der dafür zuständigen Politik mit Spannung erwartete Verfahren endet am Dienstag, den 29. Oktober. Um 12 Uhr wird das Urteil verkündet. Es geht um Freispruch oder um eine Geldstrafe. Aber es geht auch noch um mehr. Der Prozess ist eingebettet in eine Debatte um den Sinn und Unsinn eines Antidopinggesetztes. Je nach Ausgang soll es den Befürwortern oder Gegnern eines solchen neue Argumente liefern. Allerdings ist der Fall sehr speziell und taugt nach Einschätzung vieler Experten nur bedingt als Lackmustest.

Wusste sein damaliger Teamchef vom Doping?

Schumacher wird vorgeworfen, seinen damaligen Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer um drei Monatsgehälter betrogen zu haben, weil er Doping bei der Tour de France am 17. Juli 2008 trotz mehrfacher Nachfrage geleugnet hat. Später war er positiv. Schumachers Seite argumentiert, Holczer könne nicht betrogen worden sein, da er vom Doping im Team gewusst habe. Holczer bestreitet das vehement.

Zu Beginn hatte der Vorsitzende Richter Martin Friedrich einen Vorstoß unternommen, das Verfahren abzukürzen. Die Kammer schlug vor, den Prozess gegen die Zahlung von 10 000 Euro einzustellen. Der Staatsanwalt lehnte ab. Mehr als zwei Stunden plädierte danach Peter Holzwarth für eine Verurteilung des Angeklagten. Schumacher habe in dem Gespräch Doping geleugnet, obwohl er vor Gericht es so dargestellt habe, dass es doch jeder gewusst haben muss. Die sei unlogisch. Zudem hätten diverse Zeugen ausgesagt, dass sie überrascht von der positiven Probe gewesen seien. Seinem Manager Heinz Betz, so Holzwart, habe Schumacher erst im Oktober 2008 die Wahrheit gesagt, „aber Holczer hätte es im Juli wissen müssen?“

Aus Sicht von Holzwarth sei der Zeuge Holczer glaubwürdig gewesen in seinem Verhalten und seinen Ausführungen, Schumacher hingegen habe jahrelang Doping bestritten. Man könne Holczer keine Mitwisserschaft unterstellen, was auch die Aussagen der Teamärzte belegt hätten. „Sie haben allesamt Holczer gestützt.“ Selbst wenn Holczer gezweifelt habe, liege auch dann ein Betrug vor, „wenn er nicht ausschließt, dass die Behauptung doch stimmen könne“, so Holzwarth. Also das Leugnen Schumachers an besagtem Tag 2008, der das Zentrum der Anklage ist. Kurzum: „Es gibt eine Täuschungshandlung des Angeklagten Schumachers und einen Irrtum Holczer.“ Die Staatsanwaltschaft fordert eine Geldstrafe, 210 Tagessätze á 80 Euro.

Das Motto sei gewesen: „Lass dich nicht erwischen“

Schumachers Anwälte Dieter Rössner und Michael Lehner plädierten auf einen Freispruch – versehen mit Kritik an der Staatsanwaltschaft, die verengt den Fokus auf den Angeklagten gerichtet habe statt gegen das System zu ermitteln, also gegen Ärzte, Betreuer und so weiter. Im Plädoyer warf die Verteidigung Holczer eine „konstruierte Wirklichkeit“ vor. Holczer, der Hauptbelastungszeuge, sei durchweg nicht glaubwürdig, was der Prozess deutlich gezeigt habe. Beweise für eine Mitwisserschaft gibt es aber keine.

Holczer, so die Verteidigung, sei aber Kind und Teil des Systems gewesen, in dem Erfolg ohne Doping nicht möglich gewesen sei. Jedem sei das klar gewesen. Außer Sprüchen hätte es im Team auch keinen Antidopingkampf gegeben. Das Motto sei gewesen: „Lass dich nicht erwischen.“ Zudem sei kein Schaden entstanden. Die Aussagen der Ärzte seien auch kaum glaubwürdig, wenn man sich deren Vita anschaue.

Schuldig im Sinne der Anklage? Oder doch im Zweifel für den Angeklagten? Am Dienstagmittag gibt es endlich die Antwort.