Claudia Pechstein und die Folgen: am Ende der Dopingvorwürfe steht ein Sieg für die Wissenschaft – aber kein Persilschein für die Sportlerin.

Stuttgart - Nach knapp zwei Jahren ist sich der Sprecher der deutschen Blutspezialisten endgültig sicher: Claudia Pechstein war nicht gedopt, hat zu Unrecht ihre zweijährige Sperre abgesessen und ist in diesem Falle Opfer eines unzulänglichen Versuches geworden, eine vermeintliche Dopingsünderin zur Strecke zu bringen. Tatsächlich sei eine Blutanomalie für ihre erhöhten Blutwerte verantwortlich und sonst nichts. Gerhard Ehninger, lange Jahre an der Tübinger Uniklinik tätig und inzwischen angesehener Blutspezialist an der Uniklinik Dresden, weiß seine Zunft, wie er sagt, inzwischen hinter sich. Das ist für den Präsidenten der deutschen Hämatologen nicht unwichtig. Es ist eben auch eine Sache der Berufsehre.

 

Nur wenige mögen sich noch an den ungewöhnlichen Auftritt von Gerhard Ehninger und drei seiner Fachkollegen auf einer Pressekonferenz in Berlin erinnern, als sie für Claudia Pechstein den medizinischen Freispruch verkündeten. Das war am 15. März 2010. Doch bald kamen postwendend Zweifel aus den eigenen Reihen – und der entlastende Effekt verpuffte. Wenn sich schon die Spezialisten nicht einig schienen, was sollte dann der Laie davon halten? Inzwischen berichtet der sportliche Professor auf Nachfrage während eines Skiurlaubs in der Schweiz vom letzten Stand. Es seien weitere Untersuchungen durchgeführt worden, die etwaige Zweifel beseitigt und schließlich auch, wie er sich schriftlich habe bestätigen lassen, seinen internen Kritiker aus Hannover überzeugt hätten. Der Fachkollege Arnold Ganser von der Medizinischen Hochschule Hannover hatte Nacharbeiten gefordert, und diese seien inzwischen erfolgt. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung würde demnächst folgen; sie soll dann veröffentlicht werden.

Kein Doping, sondern erblicher Defekt

Der ungewöhnliche Aufwand, der für eine an sich einfache Blutunteruntersuchung für eine relativ seltene Krankheit betrieben worden ist, hat vor allem mit der Prominenz der Patientin Pechstein zu tun, wird aber, davon ist Ehninger überzeugt, anderen Sportlern in einer vergleichbaren Lage zugutekommen. Dazu muss man den medizinischen Hintergrund kennen: Ehninger wurde noch als Oberarzt in Tübingen zum ersten Mal mit dem Erscheinungsbild der relativ seltenen angeborenen Kugelzellanämie (hereditäre Sphärozytose) befasst, eines in der Regel bei Erwachsenen unproblematischen Gendefekts. Er kannte sich also aus, als er wissenschaftlich mit dem „Fall Pechstein“ konfrontiert wurde. Ehninger und seine Fachkollegen befanden schon 2010, die bei der mehrfachen Goldmedaillengewinnerin gefundenen Werte an unreifen Blutkörperchen (Retikulozyten) „beruhten nicht auf Doping, sondern auf einem erblichen Defekt“. Daran habe sich nichts geändert.

Laut Ehninger wird die Sache zusätzlich dadurch kompliziert, dass bei zehn Prozent von ohnehin nur etwa 40 000 Trägern dieses Gendefekts der auslösende Faktor bei manchen Betroffenen mit den gängigen biochemischen Methoden nicht eindeutig nachzuweisen sei. Diese Menschen sind Träger des Typs Perotta 6 – dazu gehöre Pechstein wie auch ihr Vater. Entscheidend sei daher, dass bei einer solchen Verdachtsdiagnose aufgrund erhöhter Blutwerte mit unklarem Befund wenigstens ein weiteres Indiz hinzukommen müsse, etwa das Blutprofil. Dass nur aufgrund eines einzigen zweifelhaften Beweises die Sportlerin aus dem Verkehr gezogen worden sei, hält er nach wie vor für einen Skandal. Es sei, beruflich gesehen, einem „Todesurteil“ nahegekommen, sagt Ehninger, der als Forscher eher zur Zurückhaltung neigt.

Aus Ehningers Sicht bedeutet die jetzt gewonnene Klarheit der medizinischen Diagnose auch einen Sieg für seine Wissenschaft, nicht unbedingt für Claudia Pechstein. Immerhin hat die 40-jährige Spitzensportlerin nach ihrer Sperre jetzt in Berlin wieder einen Weltcupsieg errungen. Inzwischen seien zwar die Regeln geändert und eine so gravierende Sperre nur aufgrund ,,eines einzelnen erhöhten Blutwertes“ nicht mehr möglich. Aber Pechstein sei damit nicht öffentlich rehabilitiert. Der Blutspezialist Ehninger, ein interessierter, aber nicht engagierter Beobachter der Sportszene, will der kämpferischen, aber auch schillernden Spitzensportlerin nicht grundsätzlich einen Persilschein ausstellen. Aber für den Teil, der ihr in diesem Zusammenhang angelastet worden sei, sei sie als ,,Opfer“ anzusehen.