Wettbetrug, Manipulation, nun auch noch Doping: das Welttennis kommt nicht aus den Schlagzeilen. Der Fall von Superstar Maria Scharapowa erschüttert die Branche, und die Sponsoren reagieren.

Los Angeles - Als der Managementriese IMG am Wochenende eine „bedeutende Mitteilung“ von Maria Scharapowa ankündigte, war in Fachkreisen und im Universum der sozialen Netzwerke das fiebrige Spekulations-Lotto eröffnet. Während auf dem Youtube-Kanal des Unternehmens eine Countdown-Uhr heruntertickte, wurden alle möglichen und unmöglichen Theorien durchgespielt.

 

Was die bestbezahlte Sportlerin des Planeten dann mit brüchiger Stimme in einem schmucklosen Hotel-Konferenzsaal in Los Angeles vortrug, hatte aber niemand auf der Agenda. Es war der größte anzunehmende Schadensfall, den Scharapowa zu verkünden hatte, das Bekenntnis, bei einer Dopinguntersuchung am 26. Januar in Melbourne, dem Tag des Australian-Open-Viertelfinalmatchs gegen Serena Williams, positiv auf die Substanz Meldonium getest worden zu sein. „Ich habe einen Riesenfehler gemacht. Ich habe meinen Sport im Stich gelassen“, sagte Scharapowa.

Was Scharapowa vortrug, war zunächst schwer verständlich für all jene, die den Superstar des Frauentennis kennen, eines der einprägsamsten Gesichter des Sports überhaupt. Scharapowa hat nicht zu Unrecht den Ruf, ein Kontrollfreak zu sein, eine Perfektionistin. Und doch erklärte die 28-jährige Russin mit Wohnsitz in Kalifornien, es sei ihr entgangen, dass Meldonium seit dem 1. Januar verboten ist. Sie habe, so erklärte Scharapowa zur allgemeinen Verblüffung, den Anhang einer E-Mail der Welt-Antidoping-Agentur Wada vom 22. Dezember 2015 nicht geöffnet, in dem sich die aktualisierte Verbotsliste befand.

Nachlässigkeit oder Vorsatz?

Mit der Pressekonferenz begann unmittelbar auch der erbitterte Kampf um die Interpretations-Hoheit in der Causa Scharapowa. Handelte es sich um einen folgenschweren Fauxpas einer Sportlerin, die den Wirkstoff Meldonium nach eigenen Angaben schon seit 2006 unter anderem wegen Herzrhythmusstörungen und Diabetesproblemen einnimmt und schludrig übersah, dass er inzwischen verboten ist? Oder steckte doch eine andere Motivation hinter der Einnahme des beliebten Mittels?

Meldonium ist im Sport so beliebt, dass die Wada 2015 ihre Einnahme mit Sanktionen belegte, weil sie feststellte, dass die Arznei nicht mehr primär aus medizinischen Gründen eingesetzt wurde. Der jüngste ARD-Bericht zum russischen Doping-Unwesen hatte auch eine bedenkliche Zahl offengelegt: Bei 4316 Tests war 724 mal Meldonium nachgewiesen worden, eine Art In-Droge, von der beispielsweise die Agentur Antidoping Schweiz sagt: „Diese Substanz kann die sportliche Ausdauerleistung positiv beeinflussen, steigert die Regeneration nach Belastung, schützt vor Stress und wirkt stimulierend auf das Zentralnervensystem.“

Hatte Scharapowa von alldem nichts mitbekommen, vom Wirbel um diesen Wirkstoff – ausgerechnet sie, die Tennis-Unternehmerin mit großem Betreuerteam? Leicht nachzuvollziehen war das jedenfalls nicht. Auch, weil Meldonium in Scharapowas Wahlheimat, den USA, und in vielen anderen Ländern gar nicht zugelassen ist. Nur in Russland und in den baltischen Ländern wird die Substanz weithin als Therapiemittel bei Durchblutungsstörungen und zur besseren Sauerstoffversorgung eingesetzt, dort müsste sich der Tennis-Superstar die Medikamente wohl auch beschafft haben. „Maria wusste nicht, dass diese Substanz leistungsfördernd wirkt“, sagte ihr Anwalt John Haggerty.

Das hat dem Tennis noch gefehlt

Der Dopingfall trifft das Welt-Tennis in einem Jahr, das dereinst als „annus horribilis“ in seine Geschichte eingehen könnte. Schon zu den Australian Open war der Wanderzirkus wegen angeblichen Wettbetrugs in die Schlagzeilen geraten, vieles an den Vorwürfen war aufgeblasen, aber keineswegs alles. Später kam auch noch heraus, dass sich Schiedsrichter in unteren Turnierregionen an Manipulationen beteiligt hatten. Und nun die Affäre Scharapowa, der Sündenakt einer Athletin, die eine der bewegendsten Aufstiegsgeschichten der letzten Jahrzehnte geschrieben hatte.

Vor zwölf Jahren hatte das Tennis-Märchen des Mädchens aus Sibirien begonnen, das einst wegen besserer Karrierechancen nach Amerika ausgewandert war – damals, 2004, schlug sie als Teenagerin die haushohe Favoritin Serena Williams auf dem Centre Court von Wimbledon. Es war der dramatische, hollywoodreife Startschuss für eine großartige Laufbahn, in deren Verlauf sie noch bei allen anderen Majorwettbewerben mindestens ein Mal triumphierte, zuletzt 2012 bei den French Open

Die Sponsoren reagieren

Scharapowa, die hochgewachsene Blondine, war auch der erklärte Liebling der Sponsoren. Keine andere Sportlerin hatte in den letzten Jahren bessere Deals und namhafte Werbepartner als die Russin, stets war sie die Nummer eins unter den Großverdienerinnen im Sport. Einige ihrer Werbepartner wendeten sich umgehend von Scharapowa ab, Nike zum Beispiel legte das langjährige Vertragsverhältnis sofort auf Eis. Beim Stuttgarter Sportwagenbauer Porsche, für den Scharapowa als Markenbotschafterin tätig und damit die Werbefigur des Grand Prix in Stuttgart ist, verzichtet man noch auf solche Reaktionen: „Wir lassen Maria nicht fallen, aber Aktivitäten mit ihr ruhen im Moment. Wir warten ab, zu welchem Ergebnis die offizielle Untersuchung kommt“, sagte die Sprecherin der Porsche-Sportkommunikation, Viktoria Wohlrapp, der StZ.

Die Juristen haben nun zu entscheiden, wie sie Scharapowas Fehlverhalten bewerten – als, trotzdem zu ahndenden, Irrtum oder als absichtsvollen Vorgang. Davon hängt auch das Strafmaß ab, möglich sind bis zu vier Jahre Sperre.