Wer bremst verliert: Beim Downhill-Mountainbiken geht es darum, möglichst schnell ins Tal zu kommen. Eine Trainingsfahrt in Stuttgart mit zwei Profis.

Stuttgart - Leise raschelt Laub unter den Füßen, die Ruhe im Wald stören nur ein paar keifende Krähen in den Wipfeln. Plötzlich dröhnen dumpfe Schläge aus der Böschung, Äste brechen und, loses Geröll rutscht den Hang herunter: Zwei Mountainbiker pflügen durch das Idyll. Sie greifen voll in die Bremsen: Die dicken Reifen beißen in den Schotter, die Räder kommen nach wenigen Metern zum Stehen. Die jungen Männer grinsen sich an, der Stuttgarter Ferdinand Brunold und sein Leonberger Kumpel Robin Schmitt sind in ihrem Element. Im himmelblauen und neonorangen Dress sind sie Paradiesvögel im Wald. „Eine Runde geht noch.“

 

Ferdinand und Robin gehören zum Mag-41-Racingteam, einer Gruppe von vier jungen Leuten, die sich dem Downhill-Sport verschrieben haben. Seit einem Jahr fährt es in ganz Europa Rennen. Robin ist 21 Jahre alt, sein Jurastudium liegt auf Eis, der 16-jährige Ferdinand trainiert neben der Schule mehrmals die Woche. Was fasziniert sie an diesem Trendsport? „Draußen in der Natur sein, sich aus eigener Kraft fortbewegen, mit Kumpels abhängen und natürlich der Spaß beim Bergabfahren“, sagt Robin. „Wenn dann auch noch die Sonne auf das Gesicht scheint, sind es einfach glückliche Momente. Danach ein kühles Bier, und der Tag ist perfekt.“

Was Ferdinand und Robin in ihrer Freizeit treiben, hat nur wenig damit zu tun, was man gewöhnlich unter Mountainbiken versteht. Downhillen bedeutet: bergab fahren, und zwar ausschließlich bergab und, wie Robin sagt, „immer Highspeed“. Weitere Besonderheiten: „Ein Downhill-Rad hat mit einem normalen Mountainbike wenig gemein. Die Gabel mit massiver Stahlfeder kostet so viel wie Federgabeln für ein Motorrad. Bergauf fahren geht mit dem Downhill-Bike wegen der dicken, schwer zu tretenden Gänge und des hohen Gewichts nicht.“

Unter den Kunststoffpanzern rinnt der Schweiß

Folglich werden die schweren Brocken den Waldweg mühsam hochgeschoben. Ferdinand und Robin tragen einen Vollvisierhelm und eine Protektorenweste, die Rücken, Brust und Schultern schützt. Vor Stauchungen und Verletzungen im Nacken bewahrt sie eine Halskrause, die den Kopf stabilisiert. Arme und Beine stecken ebenfalls in Schonern. Unter den martialisch anmutenden Kunststoffpanzern rinnt der Schweiß literweise.

Im Weltcuprennen ist diese Ausrüstung Pflicht – „dabei passiert auf Rennen mit Hobbyfahrern wesentlich mehr“, sagt Robin. Sein persönliches medizinisches Bulletin: ein Oberarm- und ein Mittelhandbruch, dazu einige Prellungen und die üblichen Schürfwunden. Halb so wild, meint Robin: „Würde ich Fußball in der Regionalliga spielen, wäre schon mehr kaputtgegangen.“ Außerdem sinke beim Downhillen mit zunehmender Erfahrung das Verletzungsrisiko automatisch. „Man lernt, wie man richtig stürzt, und weiß, welche Linie fahrbar ist und welche nicht.“ Selbst die besorgten Eltern vertrauen inzwischen weitgehend auf die Fahrkünste ihrer Sprösslinge, nur Robins Mutter will noch immer nicht bei den Rennen zuschauen.

Stuttgart ist ein urbanes Paradies für Downhiller. Ringsum gibt es Wald und Hügel, ideales Trainingsterrain für die Trendsportler. An diesem Tag sind Ferdinand und Robin in der Wernhalde zwischen dem Fernsehturm und der Neuen Weinsteige unterwegs. Reifen an Reifen rasen sie hintereinander her, springen über kleine Erdhügel – drehen dabei das Hinterrad elegant zur Seite – und manövrieren durch enge Kurven. Der Spaß am Rande der Großstadt ist allerdings begrenzt. Zum einen, sagt Ferdinand, bevorzugten Könner wie er „krasseres Gelände“. Zum anderen ist das Radfahren auf Wegen, die schmaler als zwei Meter sind, generell verboten. Im Klartext: Downhillen ist in Stuttgarts Wäldern illegal.

Das Trainingsgelände in Bad Wildbad

Deswegen weichen die Fahrer, sooft es geht, auf offizielle Bikeparks aus. Der nächste liegt in Bad Wildbad, dort gibt es für die Downhill-Gemeinde mehrere Strecken mit jeweils rund 200 Metern Höhenunterschied. In dem zerklüfteten Schwarzwaldgelände zeigt sich, wie anspruchsvoll diese Sportart ist: Die Trails am Sommerberg sind mit Felsbrocken, Geflechten aus dicken Wurzeln und ruppigen Steinfeldern gespickt. Zusätzlich zu den natürlichen Herausforderungen gibt es künstlich gebaute Hindernisse: Steilwandkurven aus Brettern und komprimierter Erde, meterhohe Sprungschanzen und Holzrampen machen den Ritt ins Tal zur Höllenfahrt. Dafür geht es anschließend gemütlich via Bergbahn oder Schlepplift nach oben.

Die Schnellsten schaffen die 1,7 Kilometer lange Abfahrt in drei Minuten. Geschwindigkeiten von 50 Kilometer pro Stunde lassen den Puls in die Höhe schnellen. Einen Teil der Schläge, die das schwere Gelände an seine Bezwinger weitergibt, schlucken die Dämpfer des Rads – 200 Millimeter Federweg sind Standard. Den Rest erledigen die angewinkelten Arme und Beine der Fahrer, die auf breiten Pedalen wie Jockeys in Steigbügeln stehen. Der rasante Balanceakt kostet viel Kraft.

Beim Wettkampf kommt zur körperlichen die psychische Belastung. „Am Start fühlst du dich nur scheiße“, sagt Robin. „Auf der Strecke bist du dann hochkonzentriert, siehst nichts mehr außer deinen Weg.“ Oberste Regel: cool bleiben, selbst wenn die Räder über die Wurzelteppiche scheppern. Der Kick liegt im Unberechenbaren. „Ich wurde schon oft gefragt, ob ich ein Adrenalinjunkie bin“, sagt Robin. „Ich dachte immer, dass ich keiner bin, mittlerweile glaube ich aber schon.“ Und Ferdinand stellt die Gleichung auf: „Wenn du schnell bist, hast du Spaß, und wenn du Spaß hast, bist du schnell.“ Ferdinand hat offenbar jede Menge Spaß: Er ist deutscher Juniorenvizemeister.

Deutschland schnellstes Rennteam

Erst vor einem Jahr gegründet, ist das schwäbische Racingteam bereits vom Erfolg verwöhnt. Benny Strasser aus dem Enzkreis holte im Sommer den Deutschen Meistertitel und nahm als einer von zwei deutschen Fahrern an der Weltmeisterschaft teil. Der Nachwuchsmann Ferdinand Brunold ist ihm bereits dicht auf den Fersen: In diesem Jahr geht er im Weltcup an den Start, allerdings außer Konkurrenz, weil er mit 16 für die offizielle Wertung noch zu jung ist. Einen Titel hat sich die selbstbewusste Truppe selbst verliehen: Deutschlands schnellstes Downhill-Team.

Die geschäftstüchtigen Fahrer haben ein eigenes Online-Magazin gegründet, „Mag 41“, und finanzieren sich über Sponsoren. Ohne die großzügigen Gönner könnten die vier Schüler und Studenten vermutlich keinen Blumentopf gewinnen: Downhill-Fahren ist kein Sport für Mittellose. Allein die Ausrüstung kostet 10 000 Euro, und wenn nach einem Sturz die Federgabel kaputt ist, sind rund 1500 Euro für das Ersatzteil fällig. Dazu kommen die Nutzungsgebühren für den Downhill-Park – in Bad Wildbad 26 Euro pro Fahrer und Tag.

Das Team profitiert davon, dass die Mountainbikebranche floriert und die Downhill-Szene ein lässiges Image besitzt, das sich bestens vermarkten lässt: Wer sich ein Hightechbike leisten kann, hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein iPhone in der Tasche und erfrischt sich mit stark koffeinhaltiger Markenlimonade, die Flügel verleiht. Dass den Trendsport mangels legaler Trainingsmöglichkeiten die Aura des Verbotenen umgibt, macht ihn für diese coole Zielgruppe erst recht interessant.

Der Trendsport boomt in Stuttgart

Brave Wandersleute sind indes nicht begeistert, wenn Wälder zu Rennstrecken umfunktioniert werden. Zumal die Zahl der Downhiller kontinuierlich zunimmt, wie Hagen Dilling, der kommissarische Leiter des Forstamts Stuttgart, feststellen musste: „Ärger bleibt da nicht aus. Zwischen Downhillern und Spaziergängern besteht ein klassischer Interessenkonflikt: Wo die einen entspannt schlendern wollen, rasen die anderen auf ihren Rädern bergab.“

Robin rollt in der Wernhalde demonstrativ langsam an einer Frau mit Kinderwagen vorbei. Er nickt und grüßt. „Das Vorurteil vom bösen Biker gibt es leider, weil manche rücksichtslos durch die Natur heizen“, sagt er. Er und seine Kumpels würden sich selbstverständlich gut benehmen: „Gegenseitiger Respekt zahlt sich aus.“

Chance für ein friedliches Miteinander

Dank der Kessellage bietet Stuttgart hervorragende Bedingungen für Abfahrer auf ihren Bikes. Am Marienplatz sind an sonnigen Wochenenden zig Downhiller in voller Montur anzutreffen. Von dort aus geht es mit der Zacke bis zum Degerlocher Albplatz und dann in den Wald. Die Downhiller tummeln sich auf engen Pfaden und haben teilweise Hindernisse eingebaut. In und um Stuttgart gibt es ungefähr 15 illegale Downhill-Strecken mit Rampen, Schanzen und Steilwandkurven.

Seit Jahren ist eine offizielle Downhill-Strecke in der Dornhalde zwischen Degerloch und Heslach geplant, um den Konflikt zu entschärfen. „Wir wollen die Sportler in dieses Gebiet locken, um den übrigen Wald zu schonen“, sagt der Forstamtsleiter Dilling. Die Strecke ist die einzige Chance für das friedliche Nebeneinander von Spaziergängern und Downhillern. Die einen könnten den Stuttgarter Wald ungestört genießen und die anderen in einen legalen Adrenalinrausch verfallen.