Eberhard Jäckel ist tot. Der emeritierte Geschichtsprofessor stirbt im Alter von 88 Jahren. Die Erforschung des Holocaust war sein Lebensthema. Vom Leben im Elfenbeinturm hielt der Historiker wenig – und trat 1967 wegen Willy Brandt der SPD bei.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Er wollte das Unvorstellbare, wie er den industriellen Massenmord an den europäischen Juden selbst nannte, erforschen. Eberhard Jäckel wollte verstehen, wie es sein konnte, dass ein Regime beschließt, Menschen jüdischen Glaubens zu ermorden und das dann auch umsetzen kann. Jäckel, der am Dienstag in seiner Wahlheimat Stuttgart-Birkach im Alter von 88 Jahren gestorben ist, sagte denn auch selbst rückblickend über sein Forscherleben: „Der Nationalsozialismus hat mein Berufsleben bestimmt.“

 

Hitler wollte von Anfang an, was er tat

Damit untertrieb er nicht. Der Professor mit der leicht nasalen Stimme, der wohlüberlegt und druckreif formulierte, war einer der führenden Holocaustforscher. Er lehrte in der Nachfolge von Golo Mann als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart von 1967 bis 1997. Im Jahr 1969 erschien mit „Hitlers Weltanschauung“ eines der Standardwerke zur Erforschung der NS-Zeit. Jäckel bewies: „Hitler wollte, was er tat, von Anfang an.“ Und er räumte mit der verbreiteten Stammtischmär auf, dass der Diktator vom Judenmord nichts wusste.

Dabei war er kein unpolitischer Mensch, kein Forscher im Elfenbeinturm. 1967 trat er wegen Willy Brandt in die SPD ein, engagierte sich später noch im Wahlkampf für die Sozialdemokraten und blieb SPD-Stammwähler. Als Historiker wurde er einer breiten Öffentlichkeit auch durch die Dokumentarfilme „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ bekannt, die er gemeinsam mit der Journalistin Lea Rosh für die ARD drehte. Zusammen mit ihr gehört er zu den Initiatoren des Berliner Holocaustdenkmals. In die Schlagzeilen geriet er 1983, weil auch er Jahre vor dem „Stern“-Skandal um die gefälschten Hitlertagebücher ein vermeintliches Hitlergedicht und andere Texte vom Stuttgarter Fälscher Konrad Kujau gekauft hatte.

Können wir im Krieg auf der Straße spielen?

An den Beginn des Zweiten Weltkriegs, den er als Zehnjähriger zusammen mit seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern in Dortmund erlebte, hat er eine kuriose, sehr kindliche Erinnerung. „Können wir jetzt nicht mehr auf der Straße spielen?“, habe er seine Mutter gefragt. Was Krieg bedeutet, konnte sich der Halbwaise zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen. Aus der Zeit der Evakuierung seiner Schule nach Ostpreußen in die Nähe des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig erinnerte er sich jedoch an die Gespräche der Erwachsenen, die von den Schreien der Menschen im Lager handelten.

Einen wirklichen Eindruck von den Gräueln der Nazizeit bekam er freilich wie viele andere erst nach Ende des nationalsozialistischen Regimes. Die Lektüre von Eugen Kogons „Der NS-Staat“ über das System der Konzentrationslager bezeichnete er als sein Erweckungserlebnis. Obwohl im Jahr 1929 im niedersächsischen Wesermünde geboren, wurde der Sohn eines Ingenieurs anders als so viele andere seiner Generation kein Flakhelfer mehr, wohl aber bekam er eine vormilitärische Ausbildung. Aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft lief er, so erzählte er, zu Fuß zurück nach Hause zurück. Als das größte Wunder seines Lebens bezeichnete er jedoch die Freundschaft zu israelischen Historikern wie Gerhard Weinberg und Otto Kulka. Sie seien Hitlers so genannten Endlösungsplänen gerade noch entkommen.