Die Dressurreiterin Isabell Werth beendet ihr WM-Jahr in der Stuttgarter Schleyerhalle und nimmt Kurs auf Rio de Janeiro. Das Ziel ist ambitioniert: die Einzel-Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016.

Odense - Diese Frau nimmt kein Blatt vor den Mund: „Das Stallzelt war für unsere Pferde und für uns eine Zumutung: Es zog so heftig, dass man sich die Schwindsucht holen konnte.“ Gemeint war mit dieser harschen Kritik aus berufenem Munde das internationale Turnier im dänischen Odense, wo Isabell Werth am Wochenende mit ihrem Don Johnson in die Weltcupsaison 2014/15 gestartet ist. „Ich bin sehr zufrieden mit dem dritten Platz für Don Johnson, eine gute Leistung von uns beiden beim Weltcupauftakt.“ Dass die Kampfrichter die Niederländer Edward Gal und Adelinde Cornelissen so üppig mit Punkten bedacht haben – ein kurzes Kopfschütteln und Schulterzucken von ihr.

 

Nein, eine Diplomatin ist an dieser 45-jährigen Landwirtstochter aus Rheinberg am Niederrhein nicht verloren gegangen. Isabell Werth spricht Klartext, umso wertvoller ist ihr aufrichtiges Lob für diejenigen, die es trifft: „Beim German Masters in Stuttgart zähle ich ja schon zum Inventar. Das 30. Turnier steht bevor, ich selbst sattele hier seit zwanzig Jahren. Mitte November starte ich in der Schleyerhalle mit El Santo und Don Johnson in der Weltcuptour, mit Bella Rose in der klassischen Tour.“ In ihrem heimischen Trophäenschrank gibt es bereits zehn German-Master-Titel – am 23. November, dem Schlusstag des diesjährigen Turniers von Stuttgart, dürfte der 11. Master-Titel fällig sein.

Bei Bella Rose kommt Isabell Werth ins Schwärmen

Wenn von der zehnjährigen Westfalenstute Bella Rose die Rede ist, gerät Isabell Werth regelrecht ins Schwärmen: „Ich möchte meinen Toppferden wie Gigolo oder Satchmo wirklich nicht zu nahe treten – aber dieser Fuchs ist das beste Pferd, das ich jemals unter dem Sattel hatte.“ Als Dreijährige habe sie Bella Rose bei ihrem Züchter entdeckt, in dieser Saison habe die Stute ihr WM-Debüt gegeben: „Es war erst das vierte Turnier des Jahres, erst der sechste Grand Prix überhaupt. Wir hatten das zweitbeste Resultat, unser Team hat wieder einmal das WM-Gold gewonnen.“ Schade, nur, so Isabell Werth, „dass sich Bella Rose dann eine Entzündung im Huf geholt hat – die WM war für uns gelaufen, dabei standen die Chancen gut, auch Einzelmedaillen in der Klassischen Tour oder der Kür zu holen.“ Aber die Dressurkönigin, die alle Höhen und Tiefen ihres Sports durchlebt hat, sagt: „Vielleicht hatte diese leichte Verletzung, die nach fünf Tagen auskuriert war, auch ihr Gutes: Bella Rose hat eine lange Pause bekommen, nun bereiten wir uns auf Stuttgart vor – ihr erstes Turnier seit der WM von Caen Ende August.“

Ein Vierteljahrhundert an der Weltspitze, mehr als 30 Medaillen bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und anderen Championaten – was motiviert die erfolgreichste Profireiterin des modernen Dressursports? „Es macht mir nach wie vor großen Spaß, talentierte Pferde auszubilden. Dabei habe ich auch Rückschläge erlebt, habe Pferde trainiert, die nicht die allerhöchste Klasse hatten – aber nur wer diese Erfahrungen besitzt, kann auch herausragende Talente wie jetzt eben Bella Rose in den Topsport bringen.“ Und dann kommt der Satz, auf den nicht nur Monica Theodorescu, die Bundestrainerin wartet, sondern die vielen Fans von Isabell Werth: „Ich will wieder ganz oben stehen mit meinen Pferden, will allen zeigen, dass ich es nach wie vor kann.“

Das Einzelgold in Rio de Janeiro steht auf der Wunschliste

Ganz oben, das bedeutet im Falle der 45-Jährigen: der Olympiasieg 2016 in Rio de Janeiro – wenn es sich irgendwie machen lässt. Das wäre ihr zweites Einzelgold nach 1996 auf Gigolo und ihr sechstes Olympiagold überhaupt, den möglichen Olympiasieg mit der Mannschaft noch gar nicht mitgezählt. Damit hätte sie auch noch den legendären Reiner Klimke überflügelt, stünde nach jeglicher Lesart ganz oben auf der olympischen Erfolgsliste.

Bis dahin ist es freilich noch ein langer Weg. Deshalb kümmert sich Isabell Werth im Tagesgeschäft um den reiterlichen Nachwuchs. Am 28. Oktober um 18 Uhr kommt sie zum Reiterverein nach Göppingen, um dort die jungen Talente aus dem Landeskader zu unterrichten.