Die dritten Programme sollen laut Volker Herres experimentierfreudiger werden. Beim SWR kann man schon einige Projekte vorweisen.

Deutschland - Als die dritten Programme der ARD zwischen 1964 und 1969 auf Sendung gingen, hatten sie eine klar umrissene Aufgabe: Sie sollten Angebote für Minderheiten bieten, die im Ersten zu kurz kamen, sie sollten regionale Belange in den Vordergrund stellen und waren zudem die Heimat von Schul- und Bildungsfernsehen ("Telekolleg"). Diese Merkmale haben die Dritten weitgehend hinter sich gelassen. Einzig die Regionalsendungen erinnern noch an die einstige Aufgabe.

 

Experimente werden auf digitalen Sendern gewagt

Ansonsten haben sich die früheren Ergänzungsangebote längst zu eigenen Vollprogrammen entwickelt. Vergangenheit ist auch der Innovationscharakter: Experimente werden weitgehend gescheut und finden, wenn überhaupt, vorwiegend beim ARD-Digitalsender Eins Plus statt. Der ARD-Programmdirektor Volker Herres ist deshalb der Meinung, dass sein Senderverbund "die dritten Programme wieder innovativer nutzen" sollte.

Er findet, dass sich die Regionalsender "stärker auf ihre traditionelle Rolle als Entwicklungsstuben für neue Formate und Protagonisten besinnen sollten". Dann würde sich vielleicht auch das Image bessern. Der MDR zum Beispiel brüstet sich damit, seit 14 Jahren das erfolgreichste Dritte zu sein, genießt aber wegen seines altbackenen Programms zumindest bei Kritikern auch einen denkbar schlechten Ruf.

Fester "Experimentierplatz" beim SWR

Dennoch fallen die Reaktionen der Senderrepräsentanten unerwartet offensiv aus: Die von Herres geforderten Innovationen gebe es längst! Der SWR-Intendant Peter Boudgoust hat kürzlich nach seiner Wiederwahl gar angekündigt, im SWR- Fernsehen einen festen Experimentierplatz einrichten zu wollen. Der Sendeplatz soll "nach innen und außen dokumentieren, dass wir es ernst meinen mit der programmlichen Erneuerung. Die Zuschauer erwarten, dass das Ungewöhnliche gewöhnlich wird bei uns." Aber ob das überhaupt im Sinn des Publikums ist?

Den meisten Zuschauern scheint es ganz recht zu sein, dass sie bei ihren Dritten ebenso wie bei ARD und ZDF zumindest zur Hauptsendezeit von Überraschungen weitgehend verschont bleiben. Immerhin unterscheiden sich die dritten Programme in einem ganz wesentlichen Punkt von der Konkurrenz: nur sie haben regionale Informationen zu bieten.

Pluspunkt: regionale Themen

Tatsächlich zählt die regionale Berichterstattung zu den Angeboten, die von Jüngeren bevorzugt genutzt werden. Die "Generation Internet" allerdings erreicht man auch damit nicht. Das gelingt in der Regel nur punktuell, etwa mit Berichten über die Katastrophe bei der Duisburger Love-Parade. Damit kam der WDR bei Zuschauern unter dreißig immerhin auf Marktanteile von 22 Prozent: ein seltener Ausreißer!

Um diese Zielgruppe, die mit dem öffentlich-rechtlichen Kinderkanal Kika aufgewachsen ist, zurückzugewinnen, setzen die Dritten auf eine Bündelung der Verbreitungswege: Trimedialität wird innerhalb der ARD offenbar als Schlüssel zu einer jüngeren Zukunft betrachtet. Der SWR hat's vorgemacht: Die im Dritten ausgestrahlte Science-Fiction-Serie "Alpha 0.7" wurde im Hörfunk fortgesetzt. Und ergänzend dazu gab es ein Internetangebot. Daher der Begriff Trimedialität: Fernsehen, Funk und Netz machen gemeinsame Sache, mittlerweile freilich nicht mehr nur beim SWR.

Der NDR entwickelt derzeit auf drei Kanälen das Unterhaltungsformat "NDR Comedy Contest", beim Bayerischen Rundfunk gibt es die Jugendmarke "on 3". Und auch beim MDR ist ein trimediales Projekt im Februar gestartet. Dabei werden Beiträge des Informationsmagazins "Umschau" für die junge Jump-Hörerschaft journalistisch aufbereitet.

Generation Internet

Dass Projekte dieser Art überhaupt nötig sind, belegt abermals, wie schwer es ist, junge Zuschauer zu erreichen. Manchmal aber kommt man an das Zielpublikum ran. Im SWR-Fernsehen beispielsweise schneidet Pierre M. Krause mit seiner für Eins Plus produzierten und im SWR wiederholten Wissensshow "Es geht um mein Leben" überdurchschnittlich gut ab: Mit seiner unkonventionellen Art gewinnt er Zuschauer unter dreißig. Auch "Alpha 0.7" war in diesem Alterssegment erfolgreich. Beide Produktionen hatten und haben auf ihre Art experimentellen Charakter. Das neue Format "Ausflug mit Kuttner" ist ebenfalls in Kooperation mit Eins Plus entstanden - von dieser "Experimentierstube" profitiert der SWR nach Angaben von Fernsehdirektor Bernhard Nellessen sehr.

Aber auch im SWR-Fernsehen selbst gebe es "immer wieder neue, erfolgreiche Formate", darunter das landespolitische Magazin "Zur Sache" oder die Kabarettshow "Spätschicht - Die Comedy-Bühne". Der Trend zeigt beim SWR ohnehin nach oben. Dank eines im Frühjahr 2009 eingeleiteten "Strategieprozesses" konnte der Marktanteil seither von 6,1 auf derzeit 6,9 Prozent gesteigert werden. Zu den beim jungen Publikum beliebten Produktionen zählt unter anderem die Schwarzwaldserie "Die Fallers", das Quiz "Sag die Wahrheit" sowie die oft investigativen Reportagen der Reihe "betrifft".

Aber auch die anderen ARD-Sender lassen die Vorwürfe von Volker Herres nicht auf sich sitzen. Der RBB sieht sich nach Aussage der Intendantin Dagmar Reim gar als "Fernsehlabor". Der NDR hat laut Fernsehdirektor Frank Beckmann einen Innovationsetat, der 5 Prozent der verfügbaren Programmgelder umfasst. Die Qualität des NDR-Fernsehens wird auch außerhalb des Sendegebiets sehr geschätzt: Bundesweit kommt das Programm auf 2,6 Prozent. Gemeinsam mit dem WDR ist es damit bundesweit das erfolgreichste Dritte. Auch beim Bayerischen Rundfunk legt man laut Sendersprecher Christian Nitsche Wert auf das "große schöpferische Potenzial der Mitarbeiter", schließlich stehe der BR nicht nur für "Qualität und Zuschauernähe", sondern auch für Innovation. Erfolgreichste Sendung im bayerischen Fernsehen aber war 2010 mit 47 Prozent "Fastnacht in Franken".

Fastnacht, Fasching und Karneval haben sich im Fernsehen jedoch noch selten als Quell von Innovation erwiesen.