Bald sind Erst- und Zweitstimme gefragt. Hier soll es um kuriose und ernste Beobachtungen und Begleiterscheinungen im Bundestagswahlkampf gehen – als Drittstimme sozusagen. Heute geht es um kreative Ideen, die das Wahlvolk zum Wählen animieren sollen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Über Stil lässt sich streiten. Über das Wahlrecht nicht. Es ist das Königsrecht jedes Bürgers in einer Demokratie. Aber Millionen verzichten auf diese Möglichkeit jedes Einzelnen, auch ein bisschen mitzuregieren. Die Wahlbeteiligung ist über Jahre immer weiter gesunken. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen haben jeweils nicht einmal drei Viertel der Wahlberechtigten abgestimmt. Dieses Mal rechnen Experten zwar mit einem größeren Zulauf. Viele wollen dem nicht einfach tatenlos zusehen. Quer durch die Republik gibt es kreative Ideen, um das Wahlvolk zum Wählen zu animieren.

 

Zu freizügig für Facebook

Besonders offenherzig geht das Model Leila Lowfire diese Frage an. Damit wären wir wieder bei Stilfragen. Leila Lowfire entblößt sich für die Wahl. Der Schauspieler Matthias Weidenhöfer, der schon im „Tatort“ zu sehen war, steht ihr dabei zur Seite. Mit einer provokanten, wenn auch keineswegs unansehnlichen Pose wollen sie Wahlabstinenzlern einen Denkanstoß geben. Ihr Slogan lautet: „#nippelstatthetze“ – die entsprechende Illustration verstößt allerdings gegen die in solcher Hinsicht puritanischen Richtlinien von Facebook.

Ähnlich spektakulär, doch nicht gleichermaßen freizügig alarmiert die Industriegewerkschaft Metall ihre Mitglieder. Im furiosen Tempo des Sommergewitters aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ illustriert sie via Youtube, welche Missgeschicke einem Nichtwähler drohen: „Der 24. September kann der schlimmste Tag Deines Lebens werden“, lautet die Botschaft für alle, die den Sonntag lieber verschlafen wollen.

Wahllokal statt Parkbank

Einer ganz anderen Zielgruppe widmet sich die Aktion „Straßenwahl“ in Hamburg. Das Magazin „Hinz & Kuntz“ versucht so, Obdachlose an die Wahlurne zu bewegen. Es braucht tatsächlich keinen festen Wohnsitz, um als Souverän im Sinne des Grundgesetzes zu gelten. Allerdings hätten sich wählwillige Tippelbrüder schon bis zum 3. September melden müssen, um ihre Aufnahme ins Wählerverzeichnis der Hansestadt zu beantragen.

Ein ehrgeiziges Ziel hat die FAZ. Gemeinsam mit kreativen Werbeleuten hat sie die Aktion „80 Prozent für Deutschland“ ins Leben gerufen. Die Zahl steht als Zielmarke für die Wahlbeteiligung. Dazu müssten immerhin fünf Millionen mehr Wahlberechtigte als 2013 ermuntert werden, diesmal ihr Kreuz zu machen.

Mister 90 Prozent

Noch ehrgeiziger ist der Designer Johannes Erler, der unter anderem auch für das Staatstheater Stuttgart arbeitet. Er steht hinter der Initiative „Mit mir 90 Prozent“, deren Anliegen in Zeitungsanzeigen zu besichtigen sind. Die zeigen in großen Lettern Stichworte, die an diesem Sonntag nachrangig sind. Zum Beispiel: chillen, smooven, cruisen, homern – die sind alle durchgestrichen. Stattdessen empfiehl die 90-Prozent-Annonce: wählen.

Das fast utopische Ziel einer 90-prozentigen Mobilisierung des Wahlvolks haben in der deutschen Geschichte bis jetzt erst zwei Männer erreicht: die SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Als die zur Wahl standen, blieben tatsächlich weniger als zehn Prozent zuhause. Nur hieß das damals noch nicht „homern“. Dieses Wort hat übrigens die Comicfigur Homer Simpson zum Vorbild. Dem „Wörterbuch der Jetztsprache“ zufolge bedeutet es: „auf dem Sofa liegen, Chips fressen, Bier trinken und Fernsehen“.