Bald sind Erst- und Zweitstimme gefragt. Hier soll es um kuriose und ernste Beobachtungen und Begleiterscheinungen im Bundestagswahlkampf gehen - als Drittstimme sozusagen. Heute geht es um den nicht eben dramatischen Kampf um Platz 1.

Berlin - Gibt es etwas Spannenderes, als im Radio die Bundesligakonferenz am letzten Spieltag zu verfolgen? Bibbern bis zum Schluss, wahlweise Sorge oder Hoffnung, dass ein Kommentator gleich „Tor in Leverkusen“ oder „Tor in Stuttgart“ hineinrufen könnte, gefolgt von sekundenlanger quälender Ungewissheit, wer denn nun das Meisterschaftsrennen auf der Zielgerade für sich entschieden hat! Einfach großartig! Gab’s nur schon ewig nicht mehr! Von der Saison 2009/2010 einmal abgesehen, als Schalke am 34. Spieltag noch eine theoretische Meisterschaftschance gehabt hätte, wenn es mit zehn Toren Unterschied gewonnen hätte, ging es letztmals ein Jahr zuvor im Saisonfinale so richtig um die Wurst mit dem besseren Ende für den VfL Wolfsburg. Lang her ist das, und seither herrscht an der Spitze gepflegte Langeweile – mit vorzeitigen Meisterschaften noch und nöcher und dem ewig gleichen Sieger FC Bayern München.

 

Die ein oder andere Parallele mit der Politik drängt sich da durchaus auf. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen am Entscheidungstag hat die Republik zuletzt im Jahr 2005 erlebt, als die Union von Angela Merkel mit weniger als einem Prozentpunkt Vorsprung auf die Sozialdemokraten von Gerhard „Acker“ Schröder über die Ziellinie lief und – wenn man so will – nur die Tordifferenz den Ausschlag gab. Verschiedene Herausforderer wurden seither auf mal größerem, mal kleinerem Abstand gehalten, Merkel aber blieb Bundeskanzlerin. Und es ist kein Ende in Sicht, da sie mit einem Umfragevorsprung zwischen 13 und 17 Prozent in die Bundestagswahl am kommenden Sonntag geht, dass selbst größere Last-Minute-Schwankungen kaum mehr etwas an einem weiteren Seriensieg der Kanzlerin ändern dürften. Platz 1, so scheint es, ist vergeben an den FC Bayern Merkel.

Das heißt aber noch lange nicht, dass die Wahl langweilig wäre – im Gegenteil. Wie die Bundesliga auch bezieht die Bundestagswahl ihre Spannung daraus, was sich unterhalb des ersten Ranges abspielt. Wer ergattert einen der lukrativen Champions-League-Plätze, wer spielt in der Europa League? Gerade im Rennen um den dritten Platz beispielsweise, um den sich den Meinungsforschern zufolge mit Linken, Grünen, Liberalen und der AfD gleich vier Parteien streiten, wird entschieden, welches Bild Deutschland in den nächsten Jahren in Europa abgibt. Und von diesen vieren haben zumindest auch FDP und Grüne die Chance, Teil der nächsten Bundesregierung zu sein und am Sonntagabend als Champions gefeiert zu werden. All das hat es in sich: In der Bundesliga strömen die Zuschauer trotzdem, und auch bei dieser Wahl erwarten die Demoskopen eine deutlich höhere Beteiligung als zuletzt.

Nur der Abstiegskampf vermag anders als in der Liga noch nicht recht zu elektrisieren. Zumindest bisher sehen die Umfragen niemanden unter die Fünf-Prozent-Hürde krachen. Stattdessen erwarten alle, dass die Bundesliga, Entschuldigung: der Bundestag aufgestockt wird und in den nächsten Jahren mit mehr Fraktionen und mehr Abgeordneten als je zuvor bespielt wird.

Aber schon der berühmte Politologe Adi Preißler von Borussia Dortmund wusste, dass Umfrageergebnisse irren können und nur die Wahl selbst zählt. „Entscheidend is auf’m Platz“, sagte der Begründer der modernen Demoskopie bereits in den sechziger oder siebziger Jahren. Und hat der FC Bayern Merkel nicht erst kürzlich mit 0:2 gegen Hoffenheim verloren?