Der DRK-Nothilfeexperte Andreas Kasseck reist diesen Dienstag von der bengalischen Hauptstadt Dhaka ins Krisengebiet Cox’s Bazar.

Stuttgart – - Herr Kasseck, die Lage der insgesamt fast 500 000 geflohenen Rohingya wird immer aussichtsloser. Was hören Sie aus dem Bezirk Cox’s Bazar in Bangladesch, wo das Deutsche Rote Kreuz mit dem Roten Halbmond zusammenarbeitet?
Die Lage ist besonders dramatisch, weil sich gleich mehrere Katastrophen überlagern. Bangladesch leidet wegen heftigen Monsunsregens unter den schwersten Überschwemmungen seit 30 Jahren, hinzu kommen die Flüchtlinge. Bereits im vergangenen Oktober kamen mehr als 80 000 Menschen über die Grenze und jetzt weitere 400 000 auf einmal. Die Rohingya sind zu Fuß geflüchtet, haben nichts oder wenig mitnehmen können. Viele sind traumatisiert. Es mangelt an medizinischer Versorgung, Trinkwasser, Nahrung und Unterkünften. Bei der Verteilung einiger weniger Hilfsgüter kam es zu fast chaotischen Situationen, da die Flüchtlinge Hunger haben.
Gerade erst hat eine Horde Elefanten, die durch ein Flüchtlingslager gezogen ist, zwei Menschen getötet, die im Freien übernachtet haben. Haben die meisten nicht einmal ein provisorisches Dach über dem Kopf?
Es wurden bisher 16 000 Planen und Werkzeug verteilt, unter diesen Planen übernachten im Schnitt jeweils fünf bis sechs Menschen, in der aktuellen Situation eher acht oder zehn. Es fehlen sichere Unterkünfte. Das ist eine Priorität unserer Arbeit, aber bei so vielen Menschen schwierig, zumal die Fläche, über die wir reden, nicht sehr groß ist. Und die Regierung hat die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge weiter eingeschränkt. Polizei, Militär und Grenzschutz riegeln das Gebiet ab, die lokale Bevölkerung soll keine Flüchtlinge bei sich aufnehmen oder in Fahrzeugen mitnehmen. Ein Riesenproblem ist auch die Versalzung des Grundwassers, was eine Aufbereitung zu Trinkwasser sehr schwierig macht. Wir müssen jetzt vor Ort eine solide Bedarfsplanung aufstellen und gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen und den UN koordinieren, wer ganz konkret die Trinkwasserversorgung betreut, Lebensmittel beschafft oder aber die Gesundheitsversorgung leistet.
Bei anderen humanitären Katastrophen waren die Helfer oft schneller vor Ort. Hätte die Hilfe für die Rohingya früher erfolgen müssen?
Es handelt sich um eine der längsten und schwersten vergessenen Krisen. Das ist in der Weltöffentlichkeit etwas untergegangen. Und wir sind im Umfang unserer Hilfe auf Spenden angewiesen. Das Rote Kreuz hat bereits im März einen internationalen Aufruf gestartet, der leider kaum gehört verhallte. Zuletzt hat uns der Hurrikan in den USA Aufmerksamkeit gestohlen. Aber wir planen, langfristig in Cox’s Bazar zu bleiben, weil die Menschen in absehbarer Zeit vermutlich nicht nach Myanmar zurückkehren können.
Die Regierung Myanmars hat Hilfsorganisationen den Zugang zur Region Rakhine weitgehend untersagt. Sind die Rohingya dort auf sich allein gestellt?
Der Zugang zu den betroffenen Menschen in Rakhine ist sehr schwierig. Und wir wissen nicht, wie viele Menschen an der Grenze feststecken, weil sie von der Flucht abgehalten werden aus welchen Gründen auch immer. Das Problem ist extrem komplex.