Vor dem Landgericht Ulm startet der Schadenersatzprozess zwischen dem Ulmer Drogerieunternehmer Erwin Müller und der Schweizer Sarasin-Bank. Ein internes Gutachten warnte die Bank schon 2013 vor einem Rechtsstreit auf deutschem Boden.

Ulm - Am heutigen Montag beginnt vor der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ulm der lang erwartete Schadenersatzprozess, in dem der Ulmer Drogerieunternehmer Erwin Müller von der Schweizer Privatbank J. Safra Sarasin rund 45 Millionen Euro zurückfordert. Das Gericht wird nach eigener Ankündigung „im Verhandlungstermin die Frage erörtern, ob ein Zahlungsanspruch des Klägers besteht“. Erwin Müller glaubt beweisen zu können, beim Kauf von Fondsanteilen vor rund sieben Jahren vorsätzlich falsch beraten worden zu sein.

 

Die Streitparteien stehen sich in der Sache bereits zum vierten Mal gegenüber; ein längst verhärteter juristischer Kampf, in dem sich mittlerweile sogar die Anwälte beider Seiten diverser Rechtsbrüche bezichtigen. Müllers Argumentationslinie immerhin ist klar: Er habe 2010 nicht gewusst, dass seine Geldeinlage in Höhe von 50 Millionen Euro – die Hälfte davon war ein Darlehen der Sarasin-Bank – über einen vom Schweizer Geldhaus vertriebenen so genannten Sheridan-Fund in Cum-Ex-Transaktionen gesteckt wurde. Dabei handelte es sich um ein komplexes System von Aktientranskationen rund um den Dividendenstichtag.

Als das Bundesfinanzministerium eingriff, war das Geld schon futsch

Unter Einbeziehung mehrerer US-Pensionsfonds ließen sich die Luxemburger Sheridan-Initiatoren eine nur einmal einbehaltene Kapitalertragsteuer mehrfach bescheinigen; die Bundeskasse zahlte in der Regel anstandslos. 2012 stoppte das Bundesfinanzministerium sämtliche Steuererstattungen auf solche Deals; das Sheridan-Geschäftsmodell brach zusammen. Die Gelder der Anleger waren zu diesem Zeitpunkt bereits verschwunden.

Den Vorsitz der Verhandlung hat die Zivilrichterin Julia Böllert; sie kennt den Sachverhalt bereits aus einem Vorprozess im Jahr 2014. Erwin Müller hatte 2013 zunächst eine Teilklage auf Schadenersatz in Höhe von einer Million Euro eingereicht. Ziel war es, damit zu klären, ob für die juristische Aufarbeitung ein deutsches oder – wie von der Sarasin-Bank verlangt – ein Schweizer Gericht zuständig ist. Der 2010 von Erwin Müller unterschriebene Vertrag zur Geldanlage enthielt im Kleingedruckten offenbar eine Standardrechtswahlklausel über die Anwendung von Schweizer Recht im Konfliktfall. Darüber hinaus bestritten die Sarasin-Anwälte stets jede falsche Beratung oder Betrugsabsicht. Richterin Böllert fegte die Vertragsklausel 2014 jedoch fort. Müller, so entschied sie, könne vor ein deutsches Gericht ziehen.

Ein Urteil ist am ersten Prozesstag noch nicht zu erwarten

Seine Klage sei nach dem so genannten Lugano-Übereinkommen zu behandeln. Es überträgt Europarecht zur Frage der gerichtlichen Zuständigkeit in internationalen Streitfällen fast gleichlautend auch auf die Schweiz. Kern des Übereinkommens ist, dass Verbraucher an ihrem Heimatort um ihre Ansprüche kämpfen dürfen. Erwin Müller macht geltend, sein Geschäft mit der Sarasin-Bank als Privatmann gesucht zu haben und nicht stellvertretend für sein Unternehmen. Im Jahr 2015 bestätigte das Oberlandesgericht Stuttgart die Ulmer Entscheidung. Im Juli vergangenen Jahres wies der Bundesgerichtshof (BGH) eine Nichtzulassungsbeschwerde des Basler Geldhauses ab.

Ein Urteil ist an diesem ersten Prozesstag nicht zu erwarten. Ein Ulmer Gerichtssprecher deutete an, dass es zum Auftakt zunächst wohl um die Klärung der Frage gehe, ob im Prozess deutsches oder Schweizer Recht anzuwenden sei. So etwas sei nicht unüblich, so der Sprecher: „Bei Familienstreitsachen zum Beispiel kommt es häufig vor, dass man das Heimatrecht der Streitpartner anwendet.“ Offenbar gibt es einen entsprechenden Vortrag der Sarasin-Bank. Die Frankfurter Kanzlei Hengeler Mueller, die Sarasin vertritt, wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern. Sollte das Gericht tatsächlich zum Schluss kommen, dass Schweizer Bundesrecht oder kantonales Recht zu gelten hat, würde sich die Kammer womöglich selber Rechtshilfe beschaffen, heißt es. Dann könnte ein Rechtsgutachten des Max-Planck-Instituts in Freiburg nötig werden, der Prozess würde sich damit stark in die Länge ziehen.

Ein brisantes interenes Gutachten der Bank

Die Klägerseite glaubt daran nicht. Die Frage der Rechtsanwendung sei klar in der so genannten Rom-I-Verordnung geregelt, heißt es aus dem Lager des Klägers Müller. Dort sei geregelt, dass Verbraucher in internationalen Streitfällen die Vorschriften ihres Heimatlandes wählen könnten, wenn sie „günstiger“ erschienen.

Unterdessen gibt es Hinweise, dass die Sarasin-Bank ihre Siegchancen vor Gericht nicht als hoch einschätzt. Darauf deutet eine „Analyse der Ausgangsrisiken“ in der Streitsache gegen Erwin Müller hin, die bereits im März 2013 Anwälte der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer im Auftrag des Basler Geldhauses erstellt haben. In der ins Deutsche übersetzten Zusammenfassung heißt es unter anderem, es scheine, „dass EM (steht für Erwin Müller) weder eine Präsentation noch ein Datenblatt zum Sheridan Fund erhielt“. Es seien „eine Reihe wesentlicher Aspekte und spezifischer Risiken EM gegenüber nicht erwähnt“ worden. Zum Beispiel „das Risiko, dass das Kapital ganz oder teilweise verloren gehen könnte“. Es sei „überwiegend wahrscheinlich, dass EM einen Prozess gegen die BSC [Bank Sarasin & Cie AG, Anm. d. Red.] wegen falscher Beratung (. . .) vor deutschen Gerichten gewinnen wird“.

Ob der scheue Unternehmer wohl selbst erscheint?

In keinem Prozess zur Sache ist Erwin Müller bisher selber erschienen. An diesem Montag könnte sich das ändern. „Das persönliche Erscheinen des Klägers ist angeordnet“, teilt das Landgericht schriftlich mit. Ob der öffentlichkeitsscheue Unternehmer dann auch wirklich kommt, ist damit noch nicht gesagt. „Kein Kommentar“, sagt Müllers Anwalt.

Cum-Ex-Geschäfte sind auch 2017 ein Thema im Bundestag

U-Ausschuss
Seit Februar 2016 ist ein von den Fraktionen der Grünen sowie der Linken gebildeter Ausschuss mit der Aufklärung von Cum-Ex-Geschäften befasst. Bisher gab es 42 Sitzungen. Der Abschlussbericht soll in einer der letzten Plenarsitzungen der laufenden Wahlperiode des Bundestags diskutiert werden.

Zeugen
Unter den 79 bisher gehörten Zeugen war am 16. Februar auch der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Zum 1. Januar 2012 seien Cum-Ex-Transaktionen durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz unterbunden worden. Schneller, so Schäuble, habe nicht gehandelt werden können.

Schaden
Der Fiskus hat nach Schätzungen von Fachleuten Milliarden Euro durch Cum-Ex-Geschäfte verloren. Laut dem Minister Schäuble seien solche Schätzungen „nicht seriös“. Unter Wissenschaftlern besteht ein Dissens, ob die Aktienhandel illegal waren oder ein „Fehler im System“ ausgenutzt wurde.