Die christlichen Kirchen müssen sich nach Auffassung von Lokalredakteur und Religionsexperte Martin Haar reformieren. Damit sie attraktiver werden. Dies sagte er beim Pressestammtisch des Seniorenrats Leinfelden-Echterdingen und der Filder-Zeitung.

Echterdingen/Möhringen - Die Zeit der Volkskirchen ist nach Auffassung von Martin Haar, Lokalredakteur und Religionsexperte in der Redaktionsgemeinschaft der Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung, vorbei. Zu diesem Fazit kam er am Ende eines Vortrags, den er beim Pressestammtisch des Stadtseniorenrats L.-E und der Filder-Zeitung am Dienstag, 14. Februar, in der Zehntscheuer hielt.

 

„500 Jahre Reformation. Sind die christlichen Kirchen ein Auslaufmodell?“, lautete die Fragestellung, mit der sich der Referent auseinandersetzte. „Es gibt mehr Todesfälle als Taufen“, rezitierte er die Klagen von Pfarrern und brachte so das Dilemma der evangelischen und der katholischen Kirche auf den Punkt. Hinzu kämen die Kirchenaustritte. „Man kann heutzutage ganz gut ohne Kirche leben und glauben“, griff er die Meinung vieler Menschen auf, die sich Ersatzangeboten wie dem Buddhismus oder dem Hinduismus zuwenden. Wenn die christlichen Kirchen wieder attraktiv werden wollen, müssten sie sich reformieren. Insbesondere die Gottesdienste bedürften einer Umgestaltung.

Dies zeigten die Gospel-Haus-Gottesdienste des Theologen Siegfried Zimmer in der Stuttgarter Friedenskirche. Dorthin kämen etwa 800 Leute, während woanders der Pfarrer, der Mesner und der Organist unter sich blieben. Es gehe darum, von der bisherigen Gestaltung des Gottesdienstes mit Predigt und Orgelmusik wegzukommen. „Das ist manchmal zu eng, zu miefig und zu altmodisch,“ sagte Haar.

Ein Problem sei auch, dass Pfarrer bei ihrer Tätigkeit zu viele Talente haben müssten. Sie sollten gute Redner, gute Seelsorger, gute Manager und womöglich auch noch Bauherrn sein, wenn beispielsweise ein Gemeindehaus erstellt werde. „So wird das Mittelmaß zum Standard“, sagte Haar, der bedauerte, dass zu wenig mitreißende Predigten gehalten würden.

Unterstützung für seine Meinung bekam der Referent aus dem Publikum. Ein Zuhörer meinte, es sei ein Grundproblem, dass die Kirchensteuer über den Staat eingezogen werde und nicht direkt von den Gläubigen der Kirchengemeinde gegeben werde. Ein anderer Zuhörer forderte, dass die Kirchen noch mehr auf Jugendliche zugehen müssten, wenn sie wieder attraktiv werden wollten. Dem stimmte der Referent zu. „Dafür fehlen aber die Profis“, sagte Haar. Es gehe darum, das diejenigen, die mit den Jugendlichen zugange sind, auch deren Sprache sprechen.

Eine Frau aus Bernhausen berichtete, dass es in den Kirchen ihrer Heimatgemeinde bereits entsprechende Neuerungen gebe. Der katholische Pfarrer Andreas Marquardt sei so modern, dass er erst vor Kurzem wieder die Hästräger der Heuler-Hexen in den Gottesdienst geholt habe. Und in der evangelischen Jakobuskirche hätten Konfirmanden den ganzen Gottesdienst gestaltet.