Die Anzahl kirchlicher Trauungen in den Bezirken unterm Fernsehturm ist gering. Die Gemeinden machen den Trend dafür verantwortlich, dass immer mehr Zugezogene in Stuttgart leben. Diese würden lieber am alten Heimatort heiraten.

Filder - Die Heiratswilligen von heute sind eine anspruchsvolle Klientel. „Einmal hat mir ein Paar abgesagt, weil es zu einer ganz bestimmten Uhrzeit heiraten wollte und ich an diesem Tag nur eine Stunde später Zeit gehabt hätte“, erzählt der evangelische Sillenbucher Pfarrer Wolfgang Berner-Föhl. Es scheint nicht so, als könnte er sich vor lauter Trauanfragen nicht retten. Er schätzt, dass er im vergangenen Jahr höchstens sechs Paaren seinen Segen gegeben hat.

 

Andere evangelische und katholische Gemeinden hatten 2014 noch weniger Trauungen zu verzeichnen. In den katholischen Gemeinden in Sillenbuch oder Heumaden etwa gab sich überhaupt kein Paar das Jawort. In der katholischen Gemeinde in Degerloch traten immerhin drei Paare vor den Altar. Der dortige Diakon Thomas Leopold will in den seltenen Trauungen aber kein Zeichen für eine Schwächung der Gemeinde erkennen.

Viele Zugezogene in der Großstadt

Leopold erklärt das Phänomen mit dem großen Anteil an Zugezogenen in der Großstadt. Der Diakon nimmt seine persönlichen Erfahrungen als Beispiel, um das zu erklären: „Ich habe auch nicht an meinem Wohnort geheiratet, sondern in der alten Heimat“, sagt Leopold. Er habe damals noch studiert, erzählt er. Natürlich sei er auch an seinem Studienort Teil der katholischen Gemeinde gewesen, sagt er. Dennoch wollte er dort nicht heiraten.

Thomas Leopold vermutet, dass die Nähe zu Familie und alten Freunden bei vielen Zugezogenen den Ausschlag gibt, nicht am gemeinsamen Wohnort zu heiraten, sondern am Heimatort einer der beiden Partner. Eben so wie es auch bei ihm gewesen sei, sagt er. Allerdings sei die Verbundenheit mit Eltern, Verwandten und Freunden damals nur ein Teil seiner Motivation gewesen. „Viele junge Leute, die heiraten, sind in einer Umbruchphase. Sie sind mental noch nicht richtig angekommen am neuen Wohnort und in der neuen Kirchengemeinde“, sagt der Degerlocher Diakon.

Es gibt mehr Taufen

Die recht hohe Anzahl an Taufen in der Degerlocher Gemeinde Mariä Himmelfahrt sind für Thomas Leopold hingegen Beleg dafür, dass das Ankommen in den Kirchengemeinden nur eine Frage der Zeit sei. „Das regelt sich von selbst, sobald Kinder da sind“, sagt er.

Einen anderen Grund dafür, dass manche Gemeinden auf den Fildern selten oder nie ein Brautpaar vor dem Altar sehen, könnte in den nicht nur vom Sillenbucher Pfarrer Wolfgang Berner-Föhl beschriebenen hohen Ansprüchen vieler Paare liegen. Sein Beispiel für diese Erwartungshaltung, das Paar, das nur an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit heiraten wollte, mag eine kuriose Ausnahme sein. Häufig würden Paare aber genau überlegen, ob die Kirche vor Ort auch ihren optischen Ansprüchen entspricht, bestätigen Vertreter der Kirchengemeinden auf den Fildern.

Hochzeiten werden stärker inszeniert

Wolfgang Berner-Föhl spricht davon, dass Hochzeiten heute von vielen stärker inszeniert würden als in der Vergangenheit. „Es gibt die einen, die das locker sehen und nur im kleinen Kreis feiern wollen, und dann gibt es diejenigen, die jedes Detail im Voraus planen möchten“, sagt er.

Die Traumkirche für die Traumhochzeit ist für viele eben nicht die Kirche der eigenen Gemeinde. So würden manche Paare auch an einem Ferienort heiraten wollen, in dem sie eine besonders schöne Zeit erlebt haben, berichten die Pfarrer aus den Fildergemeinden. Andere würden eine Kirche in einer landschaftlich reizvollen Region Deutschlands suchen für ihren ganz besonderen Festtag.

In den Gemeinden unter dem Fernsehturm scheinen wenige Kirchen den romantischen Ansprüchen vieler Paare zu genügen. Wolfgang Berner-Föhl hält die Kirche in Alt-Heumaden für relativ beliebt. Die Gemeinde Sankt Michael in Sillenbuch wiederum führt ihre Null-Statistik 2014 bei Trauungen darauf zurück, dass die Architektur der Kirche manche nicht ansprechen würde. So stellt es eine Mitarbeitern der Gemeinde da, die für 2014 die Zahlen zu den Trauungen recherchiert hat. Einig sind sich die Vertreter der Gemeinden aber darin, dass Paare freie Hand haben sollten bei der Planung dieses auch aus religiöser Sicht ganz besonderen Tages.