Mit dem Tod hat sich die Böblingerin Susanne Weismann nie beschäftigt. Bis sie anfing, als Ehrenamtliche Familien zu begleiten, in denen jemand gestorben oder schwer erkrankt ist.

Landkreis Böblingen - Die Böblingerin Susanne Weismann engagiert sich beim Kinder- und Jugendhospizdienst im Landkreis Böblingen. Sie begleitet Familien, in der jemand gestorben beziehungsweise ein Elternteil oder ein Kind schwer erkrankt ist. Hier erzählt sie von ihrer Arbeit:

 

„Als ich vor etwa zwei Jahren gelesen habe, dass der Kinder- und Jugendhospizdienst Ehrenamtliche sucht, habe ich mich für die Qualifizierung angemeldet, die alle Interessierten besuchen sollten. Wir waren etwa zwanzig Frauen und ein Mann. Ich fand den Kurs teilweise ziemlich heftig – ich hatte mich ja vorher nicht mit dem Thema Tod auseinandergesetzt. Bei einer Übung sollten wir uns beispielsweise vorstellen, was wir machen würden, wenn wir nur noch sechs Monate zu leben hätten. Was würden wir unbedingt noch erledigen wollen, wen anrufen? Dann wurde der Zeitraum, den wir uns vorstellen sollten, immer kürzer: drei Monate, ein Monat, zwei Wochen. . . Ich bin da ausgestiegen. Über diese Fragen wollte ich nicht nachdenken. Ich hatte deshalb auch Zweifel, ob ich tatsächlich die Richtige für das Engagement beim Hospizdienst bin.

Zwischen Hilflosigkeit, Wut und Trauer

Aber gleich nach dem ersten Einsatz waren diese Zweifel verflogen. Ich kam in eine Familie, in der der Vater ganz plötzlich an Herzversagen gestorben war. Er hinterließ seine Frau und zwei Töchter, die damals sieben und 13 Jahre alt waren. Ich traf die Familie wenige Wochen nach dem Trauerfall. Sie musste auf einmal versuchen, den Alltag ohne den Partner und den Vater hinzubekommen. Die Mutter schwankte zwischen Hilflosigkeit, Wut und Trauer. Vom Hospizdienst waren drei Helferinnen in der Familie, ich habe mich um die ältere Tochter gekümmert. Neben dem Schock über den Tod ihres Vaters kamen bei ihr Sorgen dazu, die man eben in der Pubertät hat. In einer solchen Situation ist Empathie wichtig, Sensibilität – und gesunder Menschenverstand.

Ich habe das Mädchen zuerst jede Woche, später dann alle zwei Wochen getroffen. Meistens haben wir etwas unternommen: sie war zum Beispiel sehr tierlieb, deshalb waren wir mit meinen beiden Hunden spazieren. Einmal habe ich auch einen Nachmittag mit einem Hundetrainer für sie organisiert. Wir waren im Kino, im Sensapolis oder Eis essen.

Freunde sollten den Kontakt nicht abbrechen

Die jüngere Tochter hat sehr viel von ihrem Papa erzählt. Die ältere nicht. Sie hat viel mit sich selber ausgemacht. Ich habe ihr angeboten, dass wir gemeinsam das Grab ihres Vaters auf dem Friedhof besuchen. Sie hat das lange abgeblockt. Nach einiger Zeit sind wir dann doch gemeinsam hingegangen. Ich finde es sehr schön, wie groß das Vertrauen ist, das die Familien uns Ehrenamtlichen entgegenbringen.

Häufig ist es leider so, dass enge Freunde von einem Trauerfall überfordert sind und sich abwenden. Auch das 13-jährige Mädchen hat erzählt, dass viele ihrer Freundinnen nicht wussten, wie sie mit ihr nach dem Tod ihres Vaters umgehen sollen. Ich denke, Freunde und Verwandte dürfen in solchen Situationen ruhig ihre Hilflosigkeit äußern. Sie dürfen gerne sagen, dass sie gar nicht richtig wissen, was sie Tröstliches sagen könnten. Aber sie sollten sich nicht abwenden und den Kontakt abbrechen. Darunter leiden die Betroffenen dann nämlich doppelt. Wir Ehrenamtlichen haben natürlich den Vorteil, dass wir eine etwas größere emotionale Distanz haben und auf die Situation vorbereitet sind. Deshalb können wir die Familien durch diese schwere Zeit begleiten.

Ich engagiere mich ehrenamtlich, weil ich selber sehr viel Glück im Leben habe: meine Familie, meine beiden erwachsenen Kinder sind gesund, ich stehe auf der privilegierten Seite des Lebens. Von diesem Glück möchte ich ein bisschen zurückgeben. Mein Engagement ist allerdings nichts Einseitiges: die Familien schenken mir unheimlich viel Vertrauen und schöne Momente. Gerade begleite ich einen vierjährigen Jungen, dessen Eltern schwer erkrankt sind. Er ist so lustig und lebendig, dass die wöchentlichen Treffen mit ihm häufig zu den Höhepunkten meiner Woche zählen.“

Das Gespräch wurde protokolliert von Kata Kottra.

Wie der Kinder- und Jugendhospizdienst Familien hilft

Wie der Kinder- und Jugendhospizdienst Familien hilft

Die Bezeichnung Hospizdienst ist etwas irreführend, denn die Initiative betreut nicht nur todkranke Kinder und Jugendliche. Sie begleitet auch Familien, in denen ein Elternteil schwer erkrankt oder gestorben ist. Die Mitarbeiter besuchen die Familien, hören zu oder unternehmen etwas mit den Kindern. Der Hospizdienst ist unter 0 70 31 /65 96 40 0 oder www.kiho-bb.de zu erreichen.

Seit 2006 gibt es im Landkreis Böblingen einen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst. Getragen wird er vom evangelischen Kirchenbezirk im Zusammenarbeit mit den katholischen Kirchengemeinden. Das Angebot steht allen Familien unabhängig von der Konfession offen. Auch die Krankenkassen unterstützen die Initiative. Daneben ist diese jedoch auch auf Spenden angewiesen.

Drei Hauptamtliche und 41 Ehrenamtliche – überwiegend Frauen – gehören zurzeit zum Team. Freiwillige müssen eine spezielle Schulung durchlaufen, in der sie sich mit Fragen um die Themen Tod und Trauer auseinandersetzen und für mehrere Wochen in einer sozialen oder medizinischen Einrichtung mitarbeiten. Häufig kümmern sich mehrere Ehrenamtlichen um verschiedene Mitglieder einer Familie.