Auf dem Killesberg wird Natur zerstört, um Reptilien anzusiedeln. Eine verquere Logik, findet Lokalchef Jan Sellner. Bei allem Respekt vor dem Artenschutz.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Das legendäre Schilda liegt auf Stuttgarter Gemarkung! Der Beweis wird derzeit – unübersehbar – auf dem Killesberg erbracht. Die Rede ist nicht von den Blumenrabatten im Höhenpark, die das Garten-, Friedhofs- und Forstamt in seiner unergründlichen Weisheit durch Dauergrün ersetzen wollte. Die Rede ist auch nicht von den Plänen desselben Amtes, die Freilichtbühne dichtzumachen, eine der schönsten weit und breit – zwei lokale Possen, die darauf hindeuten, dass das Thema Lebensgefühl in der Stadtverwaltung dringend eines Aktenlaufs bedarf.

 

Als würden chinesische Mäuerle gebaut

So sehr man darüber den Kopf schütteln mag, Schilda-Qualität hat ein dritter Vorgang aus diesem Sommer: die Vorbereitungen für den Umzug mehrerer Hundert Mauereidechsen von ihrem bisherigen Quartier im Neckartal auf die Feuerbacher Heide am Killesberg als eine Folge von Stuttgart 21. Wer sich das als geschmeidige, dem unauffälligen Charakter der Reptilien gemäße Maßnahme denkt, hat keine Vorstellung davon, was sich Behörden – in diesem Fall das Regierungspräsidium – ausdenken können: Wo Wiese war, werden derzeit unter Verwendung von 15 000 Tonnen Kalkstein monströse Eidechsen-Wohninseln geschaffen. Es sieht aus, als würden auf der Feuerbacher Heide chinesische Mäuerle gebaut oder, sagen wir es so: Die geplante Asienanlage in der Wilhelma ist nichts dagegen.

Dass sich Anwohner darüber ärgern und diesen Ärger in Leserbriefen zum Ausdruck bringen, ist nur allzu verständlich. Die inzwischen umgepflügte Wiese war ein weitgehend intaktes Stück Natur – und wurde von den Bürgern behutsam genutzt und behandelt. Durch die grobe Reptilien-Neubausiedlung ändert sich der Charakter der Feuerbacher Heide, die überdies Stuttgart mit Kaltluft versorgt. Kritiker sprechen von „Verschandelung“ und „Versteinerung“. Nicht anderes ist es.

Eidechsen-Spezialist hält Anlage für überdimensioniert

Bestätigt sehen dürfen sie sich durch Hubert Laufer, Landschaftsökologe und Eidechsen-Spezialist. Er hält die Maßnahme auf dem Killesberg für überdimensioniert. Hätte die Bahn rechtzeitig für Ausgleichsflächen gesorgt, so lautet seine These, könnte man sich den Aufwand und den Ärger am Killesberg sparen. Artenschutz steht über dem Naturschutz – so steht es geschrieben. Statt aber vorausschauend und vor allem pragmatisch mit dem Thema umzugehen, wird der Artenschutz in grotesker Weise verabsolutiert: Man zerstört Natur in der Hoffnung, damit Eidechsen zu schützen. Das erinnert an den Schildbürger-Klassiker „Vom richtigen Verscheuchen der Vögel“. In dem Schwank sollen Krähen vom Gemeindeacker verscheucht werden, weil sie sich über die Aussaat hermachen. Was passiert? Vier Männer tragen den Gemeindevorsteher auf den Acker, damit der die Aussaat nicht zertrampelt.

Fazit: Eidechsen sind wichtig, wichtig ist aber auch Augenmaß. Das muss man zurückgewinnen, sonst kommt ein Unsinn zum anderen. Auch die Schildbürger waren ursprünglich mal kluge Leute.

jan.sellner@stzn.de