Die Affen in der Stuttgarter Wilhelma haben ihr neues Zuhause bezogen. Die Architektur lehnt sich in Teilen an eine herausragende Anlage in Leipzig an. Ein Besuch im Pongoland.

Leipzig/Stuttgart - Vor dem Reich der Affen steht ein ockerfarbener Safari-Truck. Ein Schild weist auf die nächste Expedition hin. Der Truck parkt unweit eines afrikanischen Hüttendorfs. Wind raschelt durch das Schilf, das den Blick frei gibt auf eine Landschaft mit Felsen, Bäumen und einem Flusslauf. Noch ist kein Schimpanse zu sehen, kein Gorilla zu hören, es ist still, hier im Affenparadies, zehn Minuten entfernt vom Leipziger Hauptbahnhof.

 

Jörg Junhold betritt eine der Aussichtsplattformen, er schirmt die Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab. Es ist ein kalter Frühlingstag im Leipziger Zoo. Junhold, 48, haben verschlungene Wege in den Zoo geführt: Nach einem Studium der Veterinärmedizin ging er als Marketingmanager von Mars in die Tiernahrungssparte. 1997 wechselte er aus der Sparte Katzen- und Hundefutter ins Raubtiersegment – als neuer Chef des Leipziger Zoos ist er Herr über Löwen und Schimpansen.

In Stuttgart wird am nächsten Dienstag die neue Affenanlage eingeweiht. Gegenüber dem alten Menschenaffenhaus vergrößert sich allein die Fläche um das 14-Fache auf 10 000 Quadratmeter. Zwölf Gorillas und 13 Bonobos leben auf einer weitläufigen Außenanlage. Auch die Inneneinrichtung ist komfortabler geworden: mit Spielgeräten und einem Fernseher – „Schöner Wohnen“ für Primaten. Die Stuttgarter Menschenaffen haben sich in den vergangenen Wochen in ihrer neuen Heimat eingelebt. Die würde vielleicht anders aussehen, wenn es nicht die Affenanlage Pongoland in Sachsen gäbe – der Leipziger Zoo besitzt einen Bau, der europaweit Maßstäbe gesetzt hat. Hier arbeiten Forscher des Max-Planck-Instituts für Anthropologie mit den Tieren, während Besucher den Verhaltensforschern durch eine Glasscheibe bei der Arbeit zusehen können.

Artenschutz und Action

Jörg Junhold wagt den großen Spagat: Artenschutz und Action für die Besucher, Forschung und Freizeitpark mit Themengastronomie. Die Wilhelma und der Leipziger Zoo lassen sich nur bedingt vergleichen, weil in Stuttgart der historische Kern des Zoos und die Botanik die Anlage stärker prägen als in Leipzig. Dennoch lohnt sich der Seitenblick nach Sachsen. „Disney“, sagt Jörg Junhold, „das ist für mich kein Schimpfwort.“ Der Leipziger Zoo wurde an der amerikanischen Ostküste neu erfunden. Als Junhold Zoodirektor wurde, entwickelte er einen Masterplan für den „Zoo der Zukunft“. Dann flog er in die USA, und die Reise veränderte alles. Er besichtigte ein Dutzend Zoos, die anders aussahen als das, was die europäische Zooarchitektur kannte.

Junhold sah Kunstfelsen und Wasserfälle, Landschaften, die einer Savanne oder einem Regenwald nachempfunden waren. In den amerikanischen Zoos steckte die DNA der Freizeitparks mit ihren Märchenschlössern und Filmkulissen, mit Hightech und großen Emotionen. Nach dieser Reise krempelte der Direktor seine Pläne um. Darüber, wie der Zoo der Zukunft aussehen sollte, entschieden neben den Tierkuratoren auch Freizeitforscher und Marketingexperten. „Eigentlich“, so Junhold, „wollten wir hier moderne Architektur, doch davon sind wir abgekommen. Die Architektur soll in den Hintergrund treten.“

Das Ergebnis ist die fast perfekte Illusion, nicht in Leipzig zu sein, sondern in Afrika, Asien, Südeuropa – je nachdem, wo man sich im Zoo befindet. Auf der Aussichtsplattform sehen die Besucher keine einzige Metallstange. „Edelstahlgitter mögen wir nicht“, erzählt der Direktor, „wir wollen, dass die Illusion funktioniert.“ Dabei werden alle Sinne angesprochen: An einem Kraftmesser können die Besucher zwei Griffe zusammendrücken und ihre Kraft mit jener eines Gorillas vergleichen. Per Knopfdruck ertönt das Brusttrommeln eines Gorillas. „Einstimmungsbereich“ nennt Junhold das Areal mit Truck und Hüttendorf.

Afrika in Sachsen

Wer derart von afrikanischen Eindrücken made in Sachsen eingestimmt ist, betritt einen Holzpfad, der durch eine künstlich angelegte Sumpflandschaft führt. Ein Flusslauf trennt die Außenanlagen, in denen sich Schimpansen, Gorillas, Bonobos und Orang-Utans tummeln. Manche hangeln sich an Seilen entlang, die zwischen Bäumen gespannt sind, andere dösen in Hängematten. Die Menschenaffen leben hier auf 16 000 Quadratmeter Fläche.

Die sächsischen Gorillas könnten sich nun auch bei ihren schwäbischen Verwandten wohlfühlen. Von einer „inszenierten Naturlandschaft“ spricht der Landschaftsarchitekt der neuen Anlage in Stuttgart: Die Affen leben hier im Schatten einer Kunstfelsenwand, deren Struktur an das Cannstatter Travertin erinnert. Kein Zaun trennt Besucher und Tiere, lediglich ein sechs Meter breiter See verhindert den Kontakt. Die Unterschiede im Konzept zeigen sich vor allem im Inneren der Menschenaffenhäuser: In Stuttgart dominieren Glas und Sichtbeton. Der Architekt Sebastian Jehle bekennt sich zu einem funktionalen Gebäude: „Wir wollten kein Disneyland schaffen mit Fototapete von einer Regenwaldlandschaft.“

Der Grat zwischen Kitsch und Können ist schmal beim Kulissenbau, räumt der Leipziger Zoodirektor ein. Leipzig geht weit bei seinen Inszenierungen: nicht nur bei den Menschenaffen, sondern vor allem in Gondwanaland, einer Kuppel, unter der sich ein Regenwald mit Baumwipfelpfad und balinesischem Restaurant verbirgt. Hier schippern die Besucher per Boot über einen Fluss. Zu Beginn der Fahrt erleben sie eine Zeitreise als Multimediaspektakel, auf einer Leinwand zucken Blitze, aus Boxen grollt Donner. Es geht erdgeschichtlich vom Urknall bis zur Gegenwart, straff erzählt in zwei Minuten.

Die Forderungen der Tierschützer

Bei den Affen herrscht derweil Siesta mit Fellpflege. Jörg Junhold sagt, es gehe ihm nicht nur um Unterhaltung. Er redet über den Artenschutz, über das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Tieren und darüber, dass ihm für manche Tierschützer das Verständnis fehlt. Im vergangenen Jahr hat die Tierschutzorganisation Great Ape Project Wirbel in der deutschen Zoowelt gemacht. Unter dem Schlagwort „Grundrechte für Menschenaffen“ testeten die Mitglieder der Organisation die Haltungsbedingungen von Menschenaffen in den deutschen Tiergärten – mit verheerenden Ergebnissen. Jörg Junholds Stimme wird lauter, wenn er über den Test spricht, obwohl Leipzig mit am besten abschnitt. Er spricht von „falschen genetischen Rückschlüssen“ der Tierschützer und von überzogenen Forderungen: „Menschenrechte für Menschenaffen? Das geht mir zu weit, manche Angriffe sind nicht fachlich begründet, sie spielen auf einer emotionalen Ebene.“

Vor dem Zoodirektor öffnet sich eine automatische Tür. Ein süßlicher Geruch empfängt jeden, der das Innere des Affenhauses betritt. Nur bei einem Gehege trennt eine Glasscheibe den Menschen vom Menschenaffen. Wasser plätschert von einer Felswand herab, über der Farne und Palmen thronen. Dann hebt aus der Ferne ein Brüllen an, mit dem ein behaarter Clanchef die Machtverhältnisse klarstellt. Bei den Schimpansen liegen Salatblätter und Karotten verstreut auf dem Boden. In einem Buch vor dem Gehege wird die Affenbande persönlich vorgestellt: mit Geburtstag, Verwandtschaftsverhältnissen und einzelnen Charaktereigenschaften.

Da hält sich also gerade Lobo, der am 24. April 2004 in Leipzig auf die Welt kam, an einem Kletternetz fest. Lobo ist laut Steckbrief etwas ängstlicher als sein Bruder Lome, in dessen Nähe er sich gerne aufhält. Seite für Seite entfalten sich im Familienalbum der Schimpansen Tierpersönlichkeiten mit ihren Eigenheiten. Zoos wollen Geschichten über Tiere erzählen, vor allem über jene, die in ihren natürlichen Lebensräumen bedroht sind. Das ist auch ein Leitbild des Stuttgarter Zoochefs Dieter Jauch.

Ein harter Wettbewerb

Aber die Art und Weise, wie diese Geschichten heute erzählt werden, hat sich verändert: Im Leipziger Zoo liefern sogenannte QR-Codes, die mit dem Smartphone erschlossen werden, den Besuchern Hintergrundwissen. Auf Facebook ist der Zoo dank des Hypes um das schielende Opossum Heidi bei mehr als 50 000 Freunden angelangt. Junhold, jetzt wieder ganz Marketingmann, spricht über regelmäßige Besucherumfragen, die der Zoo durchführt, und über professionelle Marktforschung. „Wir versuchen, Trends zu verstehen, und herauszufinden, wie unsere Besucher ticken.“

Den Zoo sieht er schon heute in einem harten Wettbewerb mit Shoppingzentren, Kultureinrichtungen und anderen Ausflugszielen. Junhold stellt sich die Frage: „Wie setzt sich der Zoo am Frühstückstisch der Familie in diesem Wettbewerb um Aufmerksamkeit durch?“ In Ballungsräumen wie Leipzig und Stuttgart ist die Konkurrenz besonders groß. Jörg Junhold verlässt das Affenhaus. Es ist Mittagszeit in Leipzig, und die ersten Besucher des Zoos reihen sich beim Urwald-Café und beim Urwald-Grill in die Schlangen ein. Es gibt Schnitzel mit Brötchen oder Bockwurst, hier in Afrika, mitten in Sachsen.