Der Versandriese Amazon stockt sein Personal in Pforzheim um 200 Saisonkräfte auf. Vom Streik für eine Bezahlung nach dem Tarif des Einzelhandels war der Standort bisher kaum betroffen. Das könnte sich allerdings ändern.

Pforzheim - Ein bisschen hektischer hätte man sich das Ganze doch vorgestellt. Betriebsam, aber ruhig geht es zu im Auslieferungslager des Online-Versandriesen Amazon in Pforzheim. Einzig das ständige Hupen der Stapler durchbricht die Ruhe im Hochregalbereich. Die Fahrer müssen hupen, bevor sie um eine Ecke biegen, damit entgegenkommende Fahrzeuge und Fußgänger gewarnt sind: „Wir haben dadurch deutlich weniger Arbeitsunfälle als vergleichbare Logistikunternehmen“, sagt Alexander Bruggner. Der 46-Jährige ist als Standortleiter in Pforzheim zuständig für rund 1000 Mitarbeiter; in der Weihnachtszeit kommen noch einmal etwa 200 Saisonkräfte hinzu. Von der Stammbelegschaft sind 63 Prozent unbefristet beschäftigt.

 

Zelina Okumus gehört seit der Eröffnung des Logistikzentrums an der Autobahnausfahrt Pforzheim-Nord im Herbst 2012 dazu. Die 36-Jährige steht an ihrer Packstation und wiederholt die einzelnen Arbeitsschritte beständig: Zuerst nimmt sie einen Karton aus dem Paketwagen und scannt ihn ein. Dann faltet sie einen noch größeren Karton auseinander, legt den kleineren hinein und füllt den Hohlraum mit Füllmaterial. Am Ende klebt sie einen neuen Barcode auf den Pappkarton und schieb ihn durch ein Klebegerät. Fertig verpackt und zugeklebt rollt er über ein Laufband in Richtung Warenausgang. Die Packerin widmet sich bereits dem nächsten Artikel.

Vom 400-Euro-Job zur Vollzeitkraft bei Amazon

„Amazon war für mich und meinen Mann die Rettung zur Finanzierung unseres Hauses“, sagt die in der Türkei geborenen und in Heilbronn aufgewachsene junge Frau. Nach ihrem Hauptschulabschluss hatte sie lediglich eine Hauswirtschaftsschule besucht. Als „Ungelernte“ arbeitete sie danach in 400-Euro-Jobs als Reinigungskraft. Mittlerweile nach Pforzheim übergesiedelt, bekam sie im Logistikzentrum eine Festanstellung in Vollzeit. „Es geht hier vielen Menschen so wie mir: nur Hauptschule, keine Berufsausbildung, mangelnde Sprachkenntnisse“, sagt die zierliche Mutter von zwei Mädchen, die weder über die Arbeitsbedingungen noch über ihre Vorgesetzten ein schlechtes Wort verlieren mag. Sie arbeite nicht ausschließlich als Packerin, sondern wechsele regelmäßig auf die Seite der sogenannten „Picker“, also der Kollegen, die mit dem Stapler oder zu Fuß Artikel einsammeln.

Menschen aus 74 Nationen arbeiten in Pforzheim im Zwei-Schicht-Betrieb auf 110 000 Quadratmetern, einer Fläche von 17 Fußballfeldern. Damit hat der Standort quasi die Standardgröße, die meisten der übrigen acht Logistikzentren in Deutschland sind genauso groß. Bei der Mitarbeiterzahl steht Pforzheim jedoch mit dem Standort im nordrhein-westfälischen Werne am Ende, an anderen Standorten arbeiten mehr als 2000 Beschäftigte. Das liegt laut Geschäftsführer Bruggner daran, dass hier kaum Kleinstartikel wie Bücher, CDs oder DVDs umgeschlagen werden. Stattdessen durchlaufen das Lager größere Produkte wie Staubsauer, Kaffeemaschinen und andere Haushalts- und Elektrogeräte.

Für den Betriebsratschef Christos Kalpakidis ist die relativ geringe Mitarbeiterzahl einer der Hauptgründe, wieso sich der nordbadische Standort bisher nur an einer Streikaktion – zwei Tage im September – an den seit zwei Jahren andauernden bundesweiten Streiks gegen den US-Arbeitgeber beteiligt hat. Die Gewerkschaft Verdi fordert eine Bezahlung auf dem Niveau des Einzelhandels, Amazon sieht sich jedoch als Logistikunternehmen. Den Anteil der Gewerkschaftsmitglieder am Standort schätzt Kalpakidis auf weniger als zehn Prozent. Über ihren derzeitigen Verdienst würden sich nur die wenigsten Mitarbeiter in Pforzheim beklagen: Einsteiger verdienen 10,10 Euro pro Stunde. Wer länger als zwei Jahre dabei ist, erhält 12,53 Euro Stundenlohn und komme inklusive Bonus, Weihnachtsgeld und Mitarbeiteraktien auf einen Monats-Bruttolohn von 2344 Euro.

Bruggner fürchtet eher schlechtes Wetter als Streiks

Standortleiter Bruggner fürchtet im anstehenden Weihnachtsgeschäft denn auch eher schlechtes Wetter als spontane Arbeitsniederlegungen. Wie viele LKW das Betriebsgelände täglich verlassen, kann oder will er nicht sagen. Um einen Eindruck vom Warenumschlag in den kommenden Wochen zu bekommen, erinnert er nur an den verkaufsstärksten Tag von Amazon in Deutschland: Am 15. Dezember 2013 seien 4,6 Millionen Artikel geordert worden sein – 53 Produkte pro Sekunde.

Dirk Rindler, der zuständiger Verdi-Sekretär in Pforzheim, widerspricht der Darstellung von Betriebsrat und Standortleitung: „Da werden Luftprämien in den Lohn eingerechnet“, kritisiert er. Die aktuelle Entlohnung liege weit hinter den Forderungen der Gewerkschaft. Auch sei die Zahl der Mitarbeiter, die einen Tarifvertrag wollen, höher als dargestellt. Neue Streiks am Standort Pforzheim seien daher bereits in Planung. „Wenn die Streiks, wie Amazon behauptet, keine Wirkung zeigen, warum zahlt der Arbeitgeber dann für das vierte Quartal eine Anwesenheitsprämie von 200 Euro?“, fragt der Gewerkschaftsvertreter.