Eine Wiederbegegnung nach sieben Jahren: Als ein Sexualmörder die Anstaltspsychologin Susanne Preusker in der Haftanstalt Straubing in seine Gewalt bringt, arbeitet Thomas Galli dort als Jurist. Jetzt sprechen Preusker und Galli über den Sinn von Haftstrafen.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Magdeburg - Das Wiedersehen nach sieben Jahren kommt überraschend. Es ist nicht von langer Hand geplant. Spontan sagt Susanne Preusker (56) in einem Telefonat: „Mit dem würde ich ja gerne einmal über seine Thesen sprechen“. Er, das ist Thomas Galli, 42. Gefängnisdirektor, wie er sich selbst altmodisch nennt, „weil Anstalt so modern klingt“. Denn für fortschrittlich hält er die Idee vom generellen Wegsperren nicht. Galli will, und nur darauf wird er gerade in der Öffentlichkeit reduziert, Gefängnisstrafen abschaffen. Nicht grundsätzlich, nicht sofort und nicht ohne andere Strafmaßnahmen – und schon gar nicht für Mörder und schwerer Sexual- und Gewalttäter. Aber für eine differenziertere Betrachtung reicht manchen Kritikern die Zeit oder die Bereitschaft zum Nachdenken nicht.

 

Susanne Preusker will sich Zeit für das Gespräch nehmen. Sie leitete bis vor sieben Jahren die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Straubing. Beide kennen also den Strafvollzug aus der Sicht der Anstaltspsychologin und des Juristen. Und beide teilen eine schicksalhafte Erfahrung. Denn Preuskers Arbeit in Straubing endete abrupt. Am 7. April 2009 wird sie in ihrem Büro Geisel eines Sexualmörders. Er bedroht sie mit dem Tod und vergewaltigt sie während dieses siebenstündigen Martyriums immer wieder. Thomas Galli steht draußen bei dem leitenden Anstaltpsychologen, der mit dem Geiselnehmer verhandelt, und erlebt das Geschehen aus der Perspektive der Wartenden und Hoffenden. Die Geiselnahme endet unblutig. Der Täter wird zu 13 Jahren und neun Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Preusker wird nie mehr als Psychologin arbeiten.

Beide haben sich entschieden, mit Straftätern zu arbeiten

Galli sagt spontan zu, schon einen Tag, nachdem die Idee zum Gespräch geboren ist, nach Magdeburg zu kommen. Dort wohnt Susanne Preusker inzwischen mit ihrem Mann. Die Ex-Kollegen wollen über den Sinn und die Wirkung von Gefängnisstrafen diskutieren. Denn Gallis Thesen provozieren viele zum Widerspruch. In manchem wird Preusker ihm beipflichten – etwa darin, dass es Menschen gibt, die auch sie für nicht therapierbar hält. Eine Überzeugung, die sie schon geteilt hat, bevor sie Opfer eines solchen Täters wurde. Manches wird sie aber anders sehen als Thomas Galli. Was zwischen den beiden aber sofort wieder da ist, ist die kollegiale Gesprächsebene zweier Profis. Schließlich haben sie sich beide entschieden, mit Straftätern zu arbeiten. In gespannter Erwartung, aber voller Respekt für den anderen und seinen Lebensweg treffen die beiden in Preuskers Wohnung aufeinander. Ein Kaffee aus der Maschine noch für jeden, dann geht es ohne viel Vorgeplänkel los.

Wiedersehen nach sieben Jahren: Susanne Preusker und Thomas Galli Foto: Lorenz

Galli, der aus Augsburg stammt, leitet seit zwei Jahren die sächsische Justizvollzugsanstalt Zeithain bei Dresden. Galli geht es aber nicht um die sächsischen Verhältnisse im Speziellen, sondern um den Strafvollzug im Allgemeinen. Aber seit der Vater von drei Kindern in seiner noch andauernden Elternzeit das Buch „Die Schwere der Schuld“ geschrieben hat, haftet ihm das Etikett an, der Knastchef zu sein, der die Gefängnisse abschaffen will. Auch wenn das nur die halbe Wahrheit ist, macht ihm das zunehmend das Leben innerhalb der Justizverwaltung schwer. Galli hat neun Geschichten über Gefängnisinsassen mit durchaus literarischem Anspruch geschrieben. So wie Ferdinand von Schirach über seine Weltsicht als Anwalt schreibt, geht Galli in seinem Buch als Autor, Kriminologe und JVA-Chef dem „menschlichen und nachvollziehbaren Impuls“ nach, hart zu strafen. Er erzählt von konkreten Menschen, lässt seine Kritik nur verhalten durchklingen. Seine Haltung ist jedoch eindeutig: „Es hilft in aller Regel den Opfern nichts, verhindert keine zukünftigen Straftaten und fügt in vielen Fällen den Tätern sinnlosen Schaden zu.“ Auf staatliche Zwangsmaßnahmen will Galli jedoch nicht verzichten, noch will er einzelne Täter aus der Verantwortung für das entlassen, was sie anderen angetan haben.

Preusker: „Gefängnisse sollen Menschen nicht besser machen.“

Susanne Preusker widerspricht vehement, schnell und sehr norddeutsch. Sie stammt aus Hildesheim. Gefängnisse seien für sie keine Orte, „die Menschen besser machen sollen.“ Dieser Idee hat sie, obwohl sie im Strafvollzugsgesetz steht, nie angehangen. „Das Gefängnis bestraft den, der mehrfach etwas getan hat, auf einer sehr hohen Ebene der Rechtsgüter“, sagt Preusker. „Es nimmt ihm seine Freiheit.“ Für Preusker ist das der einzig gangbare Weg. Das sei auch aus Sicht der Opfer wichtig, sagt sie. Sie erzählt von einer Bekannten, in deren Gartenhaus eingebrochen worden sei. Seitdem habe die Frau Angst. Keine große Sache in der Kriminalitätsstatistik Aber für die Frau sei das eine enorme Beeinträchtigung ihres Lebens. „Die Angst der Menschen vor Kriminalität geht nicht durch Knast weg“, hält Galli dagegen. „Die Angst der Menschen geht aber auch nicht durch Nicht-Knast weg“, kontert Preusker.

„Was würden Sie machen, wenn Sie könnten, wie Sie wollten?“, hat ein Stern-TV-Team Galli letztens vor den Mauern seiner Anstalt stehend gefragt. Innenaufnahmen oder gar Lesungen lässt das zuständige Ministerium nicht mehr zu. Diebe, Betrüger, Menschen mit Haftstrafen bis zu vier Jahren sitzen hier ein. „Ich würde sie freilassen“, sagt Galli spontan – und wundert sich über seine Offenheit. 15 Jahre ist er nun als Jurist in Diensten des Strafvollzugs tätig. In dieser Zeit hat er sich immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Was erreichen wir mit Gefängnisstrafen?“

Der Gefängnisdirektor Galli will nicht alle einsperren

Galli spricht nachdenklich im Idiom seiner schwäbisch-bayrischen Heimat, denkt lange darüber nach, was er sagt. Etwa 66 000 Menschen sitzen bundesweit in 185 Haftanstalten ein. Die Frage, die Galli bewegt, haben vor ihm schon andere gestellt: Strafrechtsreformer, Sozialwissenschaftler und Juristen. Galli wiederholt also nur – allerdings in schwierigen Zeiten und als Vertreter der Rechtspflege, dem der Staat eine Anstalt mit 200 Insassen anvertraut hat. Da steht man unter verschärfter Beobachtung. Galli ist Regierungsdirektor.

Außerdem stehen die Zeiten generell nicht auf Lockerung oder Veränderung, wenn sich die Gesellschaft in permanentem Alarmzustand fühlt und das Sicherheitsbedürfnis von Tag zu Tag wächst. Und auch Preusker und Galli teilen ja die gemeinsame, wenn auch sehr unterschiedlich erlebte Erfahrung, dass selbst das Gefängnis kein Ort absoluter Sicherheit ist. Nicht für einen ganz persönlich und für die Gesellschaft auch nicht. „Ich hatte nie ein Erfolgserlebnis, wie es sich der Gesetzgeber vielleicht vorstellt. Ich hatte nie das Gefühl, einen Gefangenen auf den Pfad der Tugend zurückgebracht zu haben,“ sagt Galli. Er selbst ist Anstaltsleiter geworden, weil er die Idee hatte, etwas anders machen zu wollen. Nun merkt er: Mit seinem Denken stößt er an Grenzen und entwickelt nun Verständnis für seine früheren Chefs.

Galli will mehr Geld in die Jugendarbeit stecken

Die Gesellschaft habe nichts davon, wenn diese Menschen einsitzen, ist Galli dennoch überzeugt. Im Gegenteil: Die Haft zerschlage soziale Beziehungen zu den Familien, bedeute den Verlust der Arbeitsstelle. Arbeit für die Allgemeinheit und Geldstrafen, von denen auch die Opfer profitieren, sind für Galli die richtige Antwort auf Verbrechen. Galli benutzt das Wort Abschreckung. Dennoch will er verstärkt auf gemeinnützige Arbeit setzen. Wohlgemerkt meint Galli dabei nicht Mörder und Vergewaltiger. Aber er spricht von einer für „den Steuerzahler letztlich kostensparenderen Form“ der Verbrechensahndung. Das heißt auch mehr Geld in die Kinder- und Jugendarbeit zu stecken. „Prävention ist die große Aufgabe der Gesellschaft.“ Denn aus seiner praktischen Arbeit weiß er: Die meisten Täter kommen aus desolaten Verhältnissen, seien aber im Kern Menschen wie Du und Ich.

Susanne Preusker gibt ihm dennoch nicht recht. „Dass der Schritt in die Kriminalität Beziehungen zerstört, ist kein nobelpreisverdächtiges Wissen“, sagt sie. Dafür entscheide man sich bewusst. Sie hat mit zeitlichem Abstand eine erstaunliche emotionale Distanz zu dem Geschehen in Straubing entwickelt. „Es gibt nichts, wo ich mir sagen müsste, das hättest du anders machen müssen“, sagt sie über ihren Umgang mit Straftätern. „Man spricht ja in der Statistik von einer Irrtumswahrscheinlichkeit von fünf Prozent“. Letztlich habe die zugeschlagen, sagt sie nüchtern mit einem Achselzucken.

„Es gibt Menschen, die bleiben gefährlich“

Seit 2009 hat sie mehrere Bücher geschrieben: eines über die Geiselnahme und ihren Kampf zurück ins Leben, eines über Hundeerziehung und ihre Staffordshire-Hündin Emmie und einen Krimi mit Titel „Die Sicherungsverwahrten“. Sie bezieht inzwischen Berufsunfähigkeitsrente. Noch immer bekommt sie als Folge der Geiselhaft Panikanfälle, wenn sich Türen hinter ihr schließen. Dass sie sich vor Kurzem wieder in ein Flugzeug gesetzt hat, ist ein großer Schritt zurück in die Normalität. „Ich habe das Erlebte in mein Leben integriert.“ Denn Opfer will sie nicht sein. Aber diesen Eindruck vermittelt sie auch nicht.

Wer also soll mit welchen Strafen belegt werden? In einem Punkt sind sich die beiden Praktiker erstaunlich einig. Für beide gibt es Menschen, die sie für nicht therapierbar halten. Die Rede ist von den Straftätern, denen Gutachter und dann auch Gerichte eine so große Gefährlichkeit unterstellen, dass sie auch nach Verbüßung ihrer Strafe zum Schutz der Allgemeinheit nicht freikommen sollten. „Es gibt Menschen, die sind gefährlich und die bleiben gefährlich“, sagt Susanne Preusker. Galli stimmt ihr bei. „Zu glauben, jemand müsse nur intensiv genug therapiert werden, damit er wieder eine Chance hat, geht an der Realität vorbei“, sagt er. Beide wissen, dass sie damit die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, des Bundesgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes gegen sich haben. Aber zumindest in ihrem Wunsch, eine humane Wohnform für die Betroffenen zu finden, sind sie dann wieder auf Linie der Rechtsprechung. Ob Galli aber nach der Elternzeit den Weg zurück in die JVA Zeithain finden wird, steht in den Sternen. Er hätte so gerne ein Signal, dass sich etwas tut im Strafvollzug.